EU-Austritt Großbritanniens: Rückschlag bei Brexit-Verhandlungen – wegen irischer Grenze
Gelingt es noch, einen chaotischen Austritt Großbritanniens aus der EU zu verhindern? Am Sonntagabend sieht es dafür plötzlich sehr düster aus.
Die Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens haben einen schweren Rückschlag erlitten. Vertretern der EU und Großbritanniens gelang es am Sonntag nicht wie geplant, einen Durchbruch zu erzielen. „Trotz intensiver Anstrengungen sind einige zentrale Punkte noch immer offen“, teilte EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Abend nach einer Unterrichtung der EU-Botschafter mit. Er hatte sich zuvor noch einmal persönlich mit dem britischen Brexit-Minister Dominic Raab getroffen. Über das weitere Vorgehen sollen nun die Staats- und Regierungschefs bei einem am Mittwochabend beginnenden EU-Gipfel in Brüssel beraten. Davor werde es keine weiteren Verhandlungen mehr geben, hieß es aus EU-Kreisen.
Es gilt als wahrscheinlich, dass danach weiter verhandelt wird. Nach Angaben Barniers ist vor allem weiter die Frage umstritten, wie künftig Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden können. Eine Garantie dafür - den sogenannten Backstop - macht die EU zur Bedingung für ein Austrittsabkommen.
Auf der Insel blasen die EU-Feinde zum Gefecht
Auf der Insel blasen die EU-Feinde innerhalb und außerhalb der konservativen Regierungspartei unterdessen zum Gefecht: Keinesfalls dürfe Premierministerin Theresa May einer auf Dauer angelegten Zollunion zustimmen. Der frühere Brexit-Minister David Davis rief Mays Kabinett sogar offen zur Revolte auf.
In den vergangenen Tagen kristallisierte sich bereits ein Kompromiss heraus, der auf Mays „Chequers-Papier“ basiert. Dieses sieht eine vergleichsweise weiche Variante des EU-Austritts Ende März vor: Großbritannien solle einen engen Assoziationsstatus mit der EU bekommen. Das Land würde in einer Zollunion mit den 27 Partnern verbleiben. Nordirland bliebe zusätzlich befristet im Binnenmarkt für Güter sowie teilweise auch für Dienstleistungen. Damit wäre zwar das Problem der inneririschen Grenze gelöst; allerdings bekäme der britische Teil Irlands einen ökonomischen Sonderstatus.
Bisher unterstützen die zehn DUP-Abgeordneten May
Besonders gegen Letzteres laufen neben den konservativen EU-Feinden wie David Davis auch die erzkonservativen DUP-Unionisten unter der früheren nordirischen Ministerpräsidentin Arlene Foster Sturm. Ihr Brexit-Sprecher im Unterhaus forderte die Torries auf, Mays zu stürzen. Bisher unterstützen die zehn protestantischen DUP-Abgeordneten Theresa May in allen wichtigen Abstimmungen. Die nächste Kabinettssitzung in London ist für Dienstag geplant.
Auf dem Treffen der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg will Großbritanniens Chefdiplomat Jeremy Hunt der EU nach wie vor eine enge Kooperation nahelegen. Besonders „globale Probleme wie Migration und Cyber-Attacken“ könne man nur gemeinsam angehen. Noch vor 14 Tagen hatte er die EU mit der Sowjetunion verglichen.
Corbyn will mit Misstrauensvotum Neuwahlen erzwingen
Finanzminister Philip Hammond, Anführer der EU-freundlicheren Kabinettsmitglieder, lockt derweil unentschlossene Parlamentarier mit der Aussicht auf höhere Sozialausgaben sowie staatliche Investitionen. Nach einer Vereinbarung mit der EU werde das Land eine „Deal-Dividende“ erhalten, argumentiert der als fiskalischer Falke bekannte 62-Jährige. Damit nicht genug: Sobald die Brexit-Unsicherheit beendet sei, könne die Regierung einen Finanzpuffer von 15 Milliarden Pfund (umgerechnet gut 17 Milliarden Euro) abbauen.
Der Verbleib in der EU-Zollunion ohne zeitliche Begrenzung entspricht den Vorstellungen der Labour-Opposition. Zwar will deren Vorsitzender Jeremy Corbyn die Abstimmung über den EU-Deal in ein Misstrauensvotum gegen die Regierung umwandeln und damit Neuwahlen erzwingen. Für einen Urnengang aber fehlen ihm die Stimmen. Dass ein Votum gegen den Brüsseler Deal den Chaos-Brexit zur Folge haben könnte, bereitet vielen Labour-Abgeordneten schlaflose Nächte.
Mays Team hat deshalb in den vergangenen Wochen Geheimgespräche mit kompromisswilligen Oppositionsabgeordneten geführt. Eine Brüskierung der konservativen DUP-Unionisten kommt wohl nur dann in Frage, wenn in der Downing Street der Eindruck besteht, man habe bei der im November fälligen Abstimmung genug Deal-Befürworter hinter sich.