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SWITZERLAND-US-POLANSKI-CRIME
© AFP

Nach Festnahme: Roman Polanski ist den Spekulationen ausgeliefert

Für die einen ist er ein Kinderschänder, für die anderen ein Opfer der US-Justiz. Im Fall Roman Polanski werden Emotionen, Fakten und die Verfahrensgeschichte oft vermengt. – Versuch einer Klärung

Zwei Tage nach der überraschenden Verhaftung des Regisseurs Roman Polanski in der Schweiz wegen eines mehr als 30 Jahre alten amerikanischen Haftbefehls löst der Fall große Emotionen und widerstreitende Urteile in den USA und in Europa aus. Für die einen ist Polanski ein Kinderschänder, der nun endlich seiner gerechten Strafe zugeführt werden kann. Andere sehen in der Entwicklung ein weiteres Beispiel für ein unbarmherziges Justizsystem in den USA, das „Amok läuft“, wie der frühere französische Kulturminister Jack Lang sagte.

Unstrittig ist: Polanski hatte 1977 nach einem Fotoshooting mit einem 13-jährigen Mädchen Sex in Los Angeles. Damit beging er eine Straftat und verstieß gegen moralische Gesetze. 1978 bekannte er sich in einem Strafprozess für schuldig, kam 42 Tage hinter Gitter, floh aber vor Festlegung des endgültigen Strafmaßes nach Frankreich. Die USA beantragten einen internationalen Haftbefehl. Polanski vermied seither Staaten, in denen er eine Auslieferung befürchten musste.

Der Fall hat viele weitere Aspekte, die verschiedene Beobachter mit jeweils guten Argumenten zu sehr unterschiedlichen Urteilen bringen, ob Polanski 31 Jahre danach noch juristisch verfolgt werden soll oder nicht. Dazu gehören die zweifelhafte Rolle der Mutter des Mädchens und das fragwürdige Vorgehen der Strafjustiz in Los Angeles. Dem damaligen Richter wurde in einem neueren Urteil vom Februar 2009 „schwerwiegendes Fehlverhalten“ bescheinigt. Eine solche Bewertung führt in den USA häufig dazu, dass der Strafanspruch des Staates erlischt. Einen Großteil der verwickelten Umstände berichtet der Dokumentarfilm „Roman Polanski – Wanted and Desired“ des US-Senders HBO von 2008. Er erzählt auch seinen tragischen Lebensweg. Polanskis Mutter wurde 1942 in Auschwitz umgebracht, seine zweite Frau Tate 1969 hochschwanger von Anhängern eines Sektenführers in den USA ermordet.

US-Medien berichten sehr unterschiedlich. Fernsehsender schlagen eine populistische Note an und behaupten, es gehe um den Vergewaltiger eines Kindes sowie um gegensätzliche Moralmaßstäbe in Amerika, dem freizügigen Europa und dem verlotterten Hollywood. Zeitungen informieren sachlich korrekt: Der Anklagepunkte Vergewaltigung wurde im damaligen Strafverfahren fallen gelassen, und auch das Opfer, Samantha Geimer, sagt: „Ich würde es nicht Vergewaltigung nennen.“ Sie widerspricht freilich auch Polanskis Darstellung, sie hätten einvernehmlichen Sexualverkehr gehabt. Sie habe unter Alkohol und Drogen gestanden, die Zudringlichkeiten nicht gewollt, aber auch nicht Nein gesagt, weil sie nicht wusste, wie sie ihn abwehren sollte. Geimer ist seit Jahren verheiratet. Sie wünscht ein Ende des Verfahrens.

Übergangen wird heute in den USA die Rolle ihrer Mutter. Sie stand damals im Ruf, vieles zu versuchen, um ihrer Tochter eine Filmkarriere zu eröffnen. Polanski soll nicht der einzige Mann gewesen sein, mit dem sie ihre Tochter unter zweifelhaften Umständen, wie hier angeblichen Probeaufnahmen in leichter Bekleidung, unbeaufsichtigt allein ließ.

Für neuen Wirbel sorgten am Dienstag Spekulationen, Polanski habe seine Verhaftung durch sein juristisches Vorgehen erst provoziert. Seit Jahren versucht er die Justiz in Los Angeles zur Einstellung des Verfahrens zu bewegen. Ein Stützargument des Antrags war, dass sie nie ernsthafte Anstalten gemacht habe, ihn tatsächlich festnehmen zu lassen.

US-Juristen erklären Polanskis rechtliches Dilemma so: Wenn er sich entschließe, in den USA vor Gericht zu erscheinen, habe er gute Aussichten, den Fall abzuschließen, ohne noch einmal ins Gefängnis zu müssen. Nach der ursprünglichen Vereinbarung zwischen Anklage und Verteidigung sollten die 42 Tage, die er zur psychologischen Beobachtung einsaß, zugleich die endgültige Freiheitsstrafe sein. Wenn der Prozess jetzt noch einmal neu aufgerollt würde, müssten die in der Zwischenzeit gerichtlich festgestellten schweren Verstöße des damaligen Richters Lawrence Rittenband gegen Verfahrensregeln zur Sprache kommen. Doch eine Garantie für einen glimpflichen Ausgang hat Polanski nicht. Im Februar urteilte der neue Richter, er könne den Antrag, die Anklage fallen zu lassen, erst entscheiden, wenn Polanski persönlich erscheine.

So wird sich erst einmal das Auslieferungsverfahren hinziehen. Die USA haben 60 Tage, um der Schweiz die Unterlagen zu unterbreiten. Polanski will die Auslieferung anfechten. Parallel bemühen sich die Außenminister Frankreichs und Polens, Bernard Kouchner und Radoslaw Sikorski, offenbar um eine Begnadigung Polanskis. Doch die kann in seinem Fall nicht die US-Regierung aussprechen, sondern nur Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Der Anklagepunkt betrifft ein Einzelstaatsgesetz.

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