AfD-Parteitag in Stuttgart: Richtung Rechtsaußen
Die AfD tritt nach ihren Wahlerfolgen beim Parteitag selbstbewusst auf – und lässt spüren, welchen Kurs sie einschlagen will.
Am Vorabend hatte Parteichef Jörg Meuthen noch „großes Kino“ angekündigt. Das wolle die AfD bei ihrem Programmparteitag in Stuttgart bieten. Bis aber über Minarettverbote, Nato-Austritt und Abschaffung der Erbschaftsteuer gestritten wird, ist es ein langer Weg. Zunächst einmal müssen die rund 2100 Parteimitglieder sich durch eine Demonstration von Linksautonomen kämpfen. Den Tagungsort auf dem Stuttgarter Messegelände hat die Polizei weiträumig abgesperrt. Mehrere hundert Demonstranten werden vorübergehend in Gewahrsam genommen.
Der Parteitag beginnt am Samstag deshalb mit einstündiger Verspätung. Es bleibt nicht das einzige Problem am ersten Tag des auf zwei Tage angesetzten Treffens: Kurzzeitig halten sich zu viele Personen in der Messehalle auf. Das Tagungspräsidium fordert Mitglieder und Pressevertreter deshalb auf, sich von Zeit zu Zeit „in der Lobby zu erfrischen“. Wirklich hartgesottene Parteimitglieder hält das nicht davon ab, immer wieder neue Anträge zu stellen. „Wir brauchen nicht zwei Tage, sondern zwei Wochen, wenn wir so weitermachen“, ruft einer am späten Nachmittag entnervt in das Saalmikrofon.
Eröffnet wird das Treffen durch Parteivize Alexander Gauland, der an die Wahlerfolge der AfD in drei Bundesländern am 13. März erinnert: „Es sind Erfolge, die den etablierten Parteien mittlerweile das Fürchten lehren – Gott sei Dank“, sagt er unter donnerndem Applaus. Gleichzeitig appelliert er an die Mitglieder, „nicht über jedes Komma zu streiten“ – eine Aufforderung, der nicht jeder der Anwesenden nachkommen will.
Dennoch ist auch an diesem ersten Tag des Parteitags zu spüren, in welche Richtung die AfD sich entwickeln will. Das lässt sich nicht nur an dem deutlichen Applaus ablesen, mit dem der Thüringer Fraktionsvorsitzende Björn Höcke, der heimliche Chef des Rechtsaußen-Flügels, bei seinem Einzug in den Saal empfangen wird. Oder an der Wortwahl Meuthens, der sich „ein Deutschland weg vom links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland“ wünscht. Oder an der Abstimmung über den Beschluss des Bundesvorstands, den Landesverband Saarland wegen angeblicher Kontakte führender Persönlichkeiten zu Rechtsextremisten aufzulösen. Dieser Antrag kommt zwar durch, erreicht aber nur knapp über 50 Prozent der Stimmen. Es hat auch mit Marcus Pretzell zu tun, dem Chef der NRW-AfD und Lebenspartner Petrys.
Pretzell kündigt den Eintritt in die ENF-Fraktion an - großer Applaus
Pretzell versteht es in Stuttgart, sich in Szene zu setzen. Er flog kürzlich als EU-Abgeordneter aus der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) in Brüssel. Fraktionslos will Pretzell dort aber nicht bleiben. Über seine künftige Fraktionszugehörigkeit wollte er in Stuttgart abstimmen lassen. Das galt deshalb als pikant, weil es dabei im Kern um eine enge Zusammenarbeit mit dem französischen Front National (FN) und der FPÖ geht.
Doch zu der Abstimmung kommt es erst gar nicht – die Mitglieder setzen den Punkt kurzerhand von der Tagesordnung ab. Was Pretzell offenbar ganz recht ist. Er postiert sich an einem Saalmikrofon: Wenn der Parteitag ihm die Wahl überlasse, dann wolle er seine Wahl auch gleich begründen, sagt er. Wie erwartet kündigt Pretzell unter großem Applaus seinen Eintritt in die vom FN dominierte ENF-Fraktion an – ein Wechsel, der noch vor einem halben Jahr unmöglich schien. Hatte doch Petry noch am Tag nach den Landtagswahlen den FN als „sozialistisch“ bezeichnet und geringe Schnittmengen mit der AfD gesehen.
Doch bei der AfD schwimmen sie auf einer Welle der Euphorie in diesen Tagen, was nicht nur mit den eigenen Wahlergebnissen, sondern auch mit dem Erfolg der FPÖ bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich zu tun hat. Da erscheint plötzlich vieles möglich. Pretzell zieht einen Zettel hervor, verliest eine Grußbotschaft aus Wien. Adressiert an „Dr. Frauke Petry und Parteifreunde“ und unterschrieben vom FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer, dem „künftigen österreichischen Bundespräsidenten“, wie der EU-Abgeordnete mehrmals grinsend betont. Dabei muss Hofer sich in Österreich noch einer Stichwahl stellen.
Pretzell und Petry wollen die AfD zur einigenden Kraft der EU-kritischen Kräfte in ganz Europa machen, wie sie sagen. Eine ambitionierte Aufgabe – deren profaner Grund aber wohl auch darin liegt, dass die zweite AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch andere Wege geht. Sie will auch weiterhin in der Fraktion des britischen EU-Kritikers Nigel Farage sitzen, was zu dem unschönen Bild führt, dass die beiden Abgeordneten nicht an einem Strang ziehen werden.
Die Aufgabe kann nicht groß genug sein. Diesen Eindruck vermittelt Petry auch mit ihrer Ankündigung, den stellvertretenden Parteivorsitzenden Albrecht Glaser zum Kandidaten für die deutsche Bundespräsidentenwahl auszurufen. Mehrere Dutzend Vertreter wird die AfD wohl in die Bundesversammlung entsenden können. Glaser, früher CDU-Mitglied und Stadtkämmerer von Frankfurt am Main, gilt als eigenwilliger konservativer Kopf. Er wird ins Rennen geschickt, nachdem Gauland aus persönlichen Gründen abgesagt hatte. Petry findet eine ungewöhnliche Begründung für ihren Vorschlag: Die „biologische Jugend“ des 74-Jährigen erweise sich unter anderem dadurch, dass das jüngste seiner Kinder ein „wunderbarer 10-jähriger Junge“ sei, für den die AfD mindestens „sein zweites Zuhause“ sei.