Die AfD-Chefin und ihr Netzwerk: Das Universum der Frauke Petry
Frauke Petry steht im Mittelpunkt der AfD. Doch neue Abhängigkeiten sind entstanden - und Unterstützer von einst wurden zu Gegnern. Ein Überblick.
Nicht nur die AfD, auch ihre Chefin Frauke Petry liefert im Moment fast jeden Tag Schlagzeilen. Mal ist es ihre Äußerung, Bundespolizisten sollten gegenüber Flüchtlingen „notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen“. Dann spricht sie über angebliche No-Go-Areas in Deutschland und benennt als Beispiel ihren früheren Wohnort Bergkamen – was die dortige Polizei umgehend als falsch zurückweist. Oder sie sorgt mit ihrem Nicht-Erscheinen im ZDF-„Morgenmagazin“ für eine kleine Medienposse. Innerparteilich ist Petry nicht unumstritten. Die 40 Jahre alte Chemikerin ist erst seit drei Jahren in der Politik. Ihren Aufstieg in die erste Reihe hat sie auch einem Netzwerk von AfD-Politikern zu verdanken – von denen längst nicht mehr jeder die Vorsitzende vorbehaltlos unterstützt.
Der Partner: Marcus Pretzell ist EU-Abgeordneter und Chef der NRW-AfD. Schon im vergangenen Frühjahr, als Petry um die Abwahl von Ex-Parteichef Bernd Lucke kämpfte, spielten sich beide die Bälle zu. Ihre private Beziehung machten Pretzell und Petry dann im Oktober öffentlich. Der Jurist Pretzell ist ein begnadeter Redner mit einem Talent für Demagogisches. Auch innerhalb der AfD aber hat er schon viele Leute vor den Kopf gestoßen. Oft schießt er über das Ziel hinaus. So zum Beispiel, als er die AfD im vergangenen Sommer auf dem Essener Parteitag als „Pegida-Partei“ bezeichnete.
Dem vierfachen Vater haftet in der Partei der Ruf des Unseriösen an. Weil er Steuern nicht bezahlte, pfändete das Finanzamt noch zu Luckes Zeiten ein Parteikonto. Nicht wenige in der AfD kritisieren, dass Pretzell einen zu großen Einfluss auf Petry habe, sie sich nur noch von ihm wirklich beraten lasse. So hatte er im Februar eine Veranstaltung zusammen mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache organisiert, bei der auch Petry sprach. Pretzell war früher in der FDP. Eine Annäherung an FPÖ und Front National dürfte an ihm nicht scheitern, im Gegenteil. Dass Waffengewalt als Ultima Ratio gegen den Grenzübertritt von Flüchtlingen in Frage komme, hatte er schon lange vor Petry gesagt, im vergangenen Herbst.
Der heimliche Vorsitzende: Alexander Gauland ist der unumstrittene Doyen der AfD. Sollte Petry einmal stürzen, dann dürfte er die Partei anführen – wenn auch nur als Interimschef. Der frühere hessische CDU-Staatssekretär, der seit Jahrzehnten in Potsdam lebt, ist in allen Teilen der Partei hochangesehen, auch wenn er seine Gunst durchaus abrupt entziehen kann. Das bekam Lucke zu spüren, von dem Gauland in den Gründungstagen der AfD in höchsten Tönen schwärmte, der dann aber im Kampf gegen Petry seine Unterstützung verlor.
Auffallend war, dass Gauland sich von Petrys Schusswaffen-Äußerung deutlich distanzierte. Gauland ist ein politischer Vollprofi. Die Winkelzüge des politischen Paars Pretzell/Petry sieht er auch daher durchaus kritisch. Schon mehrfach hat Gauland sich dagegen für Björn Höcke verwendet, den Rechtsausleger der AfD. Dieser sei kein Rechtsradikaler, sondern lediglich „ein Nationalromantiker“. Gauland ist es auch, der die AfD als „Partei der kleinen Leute“ verankern will und ihre Zukunft langfristig in der Opposition sieht. Petry hingegen will die AfD als potenzielle Regierungspartei aufstellen – „zu gegebener Zeit“, wie sie sagt.
Es gelang ihr nicht, Björn Höcke aus der AfD zu werfen
Der Widersacher: Björn Höcke und Frauke Petry werden wohl keine Freunde mehr. Dabei hatte Höcke die Wahl Petrys maßgeblich vorangetrieben – weil sie ihm als kleineres Übel gegenüber Lucke erschien. Höckes Pathos im NS-Stil aber passt nicht zu Petrys Plan, aus der AfD eine moderne rechtspopulistische Partei mit bürgerlicher Fassade zu machen. Im Gegensatz zu Petry wird Höcke zutiefst von neurechter und völkischer Ideologie angetrieben. Ende 2015 sah es kurz so aus, als könne sie ihren Widersacher, der Partei- und Fraktionschef in Thüringen ist, kaltstellen oder ganz aus der Partei werfen. Eine Rüge des AfD-Bundesvorstands wegen Höckes rassistischer Äußerungen vom „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“ und einem „europäischen Platzhaltertyp“ hatte aber keinerlei Sanktionen zu Folge, auch weil Gauland dies verhinderte. Höcke zog sich während der Landtagswahlkämpfe aus der bundesweiten Medienöffentlichkeit zurück. Vor Ort, auch in Baden-Württemberg, war er aber sehr präsent und wurde von der Parteibasis gefeiert. Was ihn für Petry umso gefährlicher macht.
Der Co-Vorsitzende: Jörg Meuthen, der VWL-Professor aus Karlsruhe, ist formal neben Petry gleichberechtigter Vorsitzener der AfD. Den bis dahin weitgehend unbekannten Meuthen hatte sie beim Parteitag in Essen aus dem Hut gezaubert. Damit wollte Petry den Abgang des Professorenflügels nach Luckes Sturz kaschieren. Immer wieder wird von AfD-Funktionären betont, dass Meuthen ein „Liberaler“ sei, auch wenn sich dies vor allem auf seine ökonomischen und nicht auf die gesellschaftspolitischen Ansichten beziehen dürfte. Meuthen duldet offene Anhänger Höckes in seinem Landesverband.
Bisher stand er wenig im Rampenlicht. Mit dem guten Wahlergebnis in Baden- Württemberg könnte sich das nun ändern. Mehr als 800 000 Stimmen fuhr die AfD unter seiner Führung ein – das ist mehr als bei allen ostdeutschen Landtagswahlen bisher zusammen. Vom Typ her wirkt Meuthen nicht wie einer, der Petry entmachten will. Neben der im öffentlichen Auftritt oft schneidend und überehrgeizig wirkenden Co-Vorsitzenden ist sein größtes Plus aber ein ruhiger Ton und die Ausstrahlung von Verbindlichkeit. Er hat auf jeden Fall Potenzial.
Die Netzwerkerin: Beatrix von Storch und Petry könnten unterschiedlicher kaum sein. Hier die kinderlose Kämpferin für ein traditionelles Familienbild und gegen die Gleichstellung von Minderheiten, dort die vierfache Mutter, die getrennt von ihrem Ehemann lebt. Storch verfolgt ihre eigene Agenda. Deshalb findet sich im AfD-Programmentwurf auch ihr Geist wieder – zum Beispiel, wenn im Scheidungsrecht wieder das Schuldprinzip eingeführt werden soll. Petry müsste wissen, dass so etwas die Massentauglichkeit der AfD gefährdet. Storch dagegen hatte mit ihrer „Zivilen Koalition“ schon immer ein Faible für reaktionäre Gesellschaftspolitik. In der AfD wird sie für ihre Netzwerkarbeit geschätzt, auch wenn niemand weiß, wie viele Menschen sie damit wirklich erreicht.
Noch scheint es zwischen Storch und Petry keine größeren Konflikte zu geben – oder sie dringen nicht an die Öffentlichkeit. Über die in Berlin lebende Juristin heißt es bisher, dass sie nicht die Führung der AfD anstrebe. Eine charismatische Rednerin ist sie ohnehin nicht. Umgekehrt ist Petry darauf angewiesen, dass die Berliner Landeschefin einen erfolgreichen Wahlkampf um das Abgeordnetenhaus führt. Storchs großes Ziel ist es, 2017 in den Bundestag einzuziehen. Petry als telegenes Gesicht kann dabei hilfreich sein, auch wenn Storch im Hintergrund viele Strippen zieht.