NSU-Prozess: Sie haben ausgespielt
Im NSU-Prozess zettelt die Hauptangeklagte Beate Zschäpe einen Kleinkrieg gegen ihre Verteidiger an, die machen dabei mit - das Verfahren wird zum Drama. Manche Akteure im Gericht unterschätzen ihre Verantwortung für den Prozess. Ein Kommentar.
Niemand kann in Beate Zschäpe hineinschauen, aber ihr Verhalten sagt einiges darüber aus, welchen Verlauf der NSU-Prozess aus der Sicht der Angeklagten nimmt: Einen schlechten. Von ihren drei Verteidigern möchte sie sich trennen, nun auch noch, indem sie eine Strafanzeige gegen sie erstattet. Das tut niemand, der einen guten Ausgang erwartet. Ihrem neuen vierten Anwalt dient sie sich an, als könne er neben einem Freispruch auch ihr Seelenheil erwirken. Zschäpe erscheint zermürbt und greift zu Mitteln der Sabotage. Ihre Krise wird zur Krise des gesamten Verfahrens.
Ein betrübliches Schauspiel. Ein Schauspiel? Genau das soll es nicht werden, aber es sind nun mal die dramaturgischen Elemente, die die Öffentlichkeit mehr interessieren als die Einzelheiten der Beweisaufnahme. Dies vorausgeschickt, müssen sich die Beteiligten fragen lassen, wie sinnvoll es ist, aus ihrem eigenen Handeln eine Szene zu machen. Der Angeklagten, die ihre Aggressionen mit Sitzplatzrochaden ventiliert, muss man dies nachsehen; sie tut, was sie kann, um ein Urteil zu verhindern. Die Nebenklagevertreter sollten sich überlegen, mit welcher Kritik sie vor die Mikrofone treten, um den Gang des Verfahrens nicht noch weiter zu gefährden. Vor allem aber sind es die drei Alt-Anwälte Stahl, Sturm und Heer, die noch Einfluss haben – und Verantwortung.
Wem eigentlich galt ihr eilig gestellter Antrag, sie von dem Mandat zu entbinden? Dem Gericht kaum, denn es war von vornherein klar, dass er, unbegründet wie er war, abgelehnt würde. Also ist die Antwort wohl: Der Öffentlichkeit. Den Druck, den die drei im Innenverhältnis mit ihrer offenbar überaus schwierigen und psychisch stark belasteten Mandantin auszuhalten haben, tragen sie dadurch nach außen. Das Trio wollte einen außergewöhnlichen Fall, jetzt hat es ihn – und sendet Zeichen der Überforderung.
Unglücklich, mindestens. Pflichtverteidigung heißt nicht umsonst so. Sie kettet Angeklagte und Anwalt aneinander. Jeder als Pflichtverteidiger beigeordnete Anwalt kennt Mandanten, die unwillig sind, sie belehren, sie sogar anzeigen. An die sogenannte Entpflichtung stellt die Justiz jedoch hohe und fallweise unterschiedliche Hürden. Grund: Der Angeklagte soll es nicht in der Hand haben, einen Prozess durch sein Verhalten zum Platzen zu bringen. Gleiches gilt für die Behauptung, das Vertrauensverhältnis sei zerstört. Selbst unterschiedliche Auffassungen über die Prozessstrategie rechtfertigen es nach Meinung der Gerichte noch nicht, Verteidiger auszuwechseln.
Für Richter Götzl ist der neue Anwalt die eiserne Reserve, einer, mit dem er notfalls weitermachen kann. Götzl ist es, der das Vertrauen verloren hat – in die Verteidiger, denen dieser Prozess über den Kopf zu wachsen scheint. Für all jene, für die der Prozess nur ein Schauspiel war: Für sie ist es jetzt beendet.
Jost Müller-Neuhof