Mutmaßliche Rechtsterroristen: "Revolution Chemnitz" hat eine längere Vorgeschichte
Die rechte Bürgerwehr existiert nicht erst seit einigen Wochen. Es gibt Verbindungen zu den verbotenen Kameradschaften "Sturm 34" und "Nationale Sozialisten".
Einen Tag nach der Razzia bei der Gruppe "Revolution Chemnitz" hat die Linkspartei in Sachsen Unverständnis darüber geäußert, warum die mutmaßlichen Rechtsterroristen erst jetzt ins Visier der sächsischen Ermittler geraten sind. Die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz sagte, die Gruppe und deren führende Köpfe seien den Behörden schön länger bekannt. Bei Tom W., den der Generalbundesanwalt als einen der Rädelsführer bezeichnet, soll es sich nach ihren Informationen um den Kopf der verbotenen Neonazi-Kameradschaft "Sturm 34" handeln. Auch mindestens ein weiterer aktuell Beschuldigter soll zum Umfeld derselben Gruppe gehören. "Gut, dass sich jetzt Bundesbehörden kümmern", sagte Köditz.
Die Gruppe "Sturm 34" war in Mittweida (Mittelsachsen) entstanden, ihr Einzugsbereich war laut Köditz aber weit größer, reichte schon damals nach Dresden, ins Erzgebirge – und nach Chemnitz. Ihr wurden zahlreiche Gewaltstraftaten zur Last gelegt, 2007 war sie durch das sächsische Innenministerium verboten worden. Tom W. war der Verbotsbescheid damals laut Köditz persönlich zugestellt worden. In der Begründung habe es geheißen, er sei der "Anführer" des harten Kerns der Gruppe gewesen, ihm habe auch die "Entscheidungsgewalt" oblegen.
Der Gruppe "Sturm 34" waren seit 2008 mehrere Prozesse gemacht worden. 2011 urteilte das Landgericht Dresden, die Männer hätten "außenpolitische Weltherrschaftsvorstellungen" und "erkennbare Freude am gemeinschaftlichen Zeigen des Hitler-Grußes". Die juristische Aufarbeitung sei jahrelang verschleppt worden, kritisiert die Linken-Politikerin Köditz - auch Tom W. kam demnach letztlich mit einer Bewährungsstrafe davon.
Offenbar sei sogar wegen des Verdachts der illegalen Fortführung der Gruppe ermittelt worden, jedoch ohne Ergebnis, berichtet Köditz. Sie habe deshalb in den vergangenen Jahren die Staatsregierung immer wieder nach möglichen Nachfolgeaktivitäten der verbotenen Gruppierungen "Sturm 34" gefragt, zuletzt Anfang des Jahres. Mit Datum vom 1. Februar 2018 teilte Innenminister Roland Wöller (CDU) mit: "Im Jahr 2017 wurde keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung bekannt."
Verbindung zu verbotenen "Nationalen Sozialisten Chemnitz"
Über die Vorgeschichte von "Revolution Chemnitz" und die Verbindung zu "Sturm 34" hatte am Montag zunächst die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Die Bundesanwaltschaft hatte zuvor bekanntgegeben, die Gruppe "Revolution Chemnitz", die als Bürgerwehr firmierte, habe sich spätestens am 11. September 2018 gegründet, also nach den rechtsextremen Ausschreitungen Ende August und Anfang September in Chemnitz, die sich am gewaltsamen Tod des Deutsch-Kubaners Daniel H. entzündet hatten.
"Revolution Chemnitz" trat 2013 mit einem eigenen Facebook-Profil in Erscheinung. Schon in der Frühphase der Gruppe - am 14. Oktober 2013 - wurde dort eine Grafik gepostet, offenbar ein Entwurf für ein Gruppenlogo. Im Hintergrund prangt groß die Zahl "34" – eine Anspielung auf "Sturm 34", wie Köditz vermutet.
Die Abgeordnete sagt: "Das muss auch dem Innenministerium aufgefallen sein: Im sogenannten ,Internetatlas 2014' des Landesamtes für Verfassungsschutz wurde die betreffende Facebook-Seite ausdrücklich als neonazistisches Internetangebot aus Chemnitz erwähnt." Sie erklärt weiter, die "Revolution"-Drahtzieher hätten offenbar frühzeitig Kontakte zu weiteren militanten Gruppierungen gesponnen. So habe die 2014 verbotene Kameradschaft "Nationale Sozialisten Chemnitz", die unter anderem Schießübungen durchführte, das Facebook-Profil von "Revolution Chemnitz" als Propaganda-Kanal genutzt.
Fünf Verdächtige in U-Haft
Bei den Ermittlungen gegen die mutmaßliche rechtsextremistische Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" ist bislang gegen fünf Verdächtige Untersuchungshaft angeordnet worden. Drei weitere sollten am Dienstagnachmittag dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt werden, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zudem bestätigte die Sprecherin, dass es am Montagabend eine weitere Festnahme gegeben hat.
Am Montagmorgen hatte der Generalbundesanwalt zunächst sechs Männer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren im Raum Chemnitz festnehmen lassen. Der mutmaßliche Rädelsführer der Gruppe, der 31-jährige Christian K., sitzt bereits seit Mitte September wegen des Verdachts auf schweren Landfriedensbruch in Untersuchungshaft.
Die Beschuldigten stehen im Verdacht, Angriffe auf Ausländer und Andersdenkende geplant zu haben. Sie waren laut Bundesanwaltschaft im Begriff, sich Schusswaffen zu besorgen. Eine Attacke war demnach für den Tag der Deutschen Einheit an diesem Mittwoch geplant.
Am 14. September soll es laut Bundesanwaltschaft einen "Probelauf" für die Aktion gegeben haben. Demnach griffen an dem Tag fünf der Verdächtigen in Chemnitz eine Gruppe Ausländern und Deutschen auf der Schlossteichinsel im Zentrum der Stadt an, eine Person wurde durch einen Flaschenwurf verletzt. Zuvor hatten mindestens einige der Beschuldigten an einer Demonstration von "Pro Chemnitz" teilgenommen - das Bündnis organisiert seit Wochen rechte Aufmärsche in Chemnitz. Nach der Aktion wurde Christian K. festgenommen.
Kampf gegen "Merkel-Zombies" wurde im Chat geplant
Der ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt berichtete auf der Internetseite der "Tagesschau", wie schon bei früheren rechtsterroristischen Gruppen seien Planung und Kommunikation offenbar auch bei der selbst ernannten "Revolution Chemnitz" über Chats in Messengerdiensten wie WhatsApp und Telegram gelaufen.
In einem Chat habe es beispielsweise geheißen: "Wir wollen an einem Strang ziehen und etwas bewegen das klappt leider nicht immer gewaltfrei und kann auch Opfer fordern. Sollten wir es schaffen nur ein klein wenig damit zu bewegen und die Geschichte Deutschlands ändern können, sollte das mit Bedacht und Planung geschehen."
Zur Planung der "Revolution Chemnitz" sollte dabei auch gehören, sich sowohl gegen Ausländer zu wenden, als auch gegen die etablierte Politik, Linke und unliebsame Medien, wie Schmidt berichtet. In der Chatsprache der Gruppe habe das "Merkel-Zombies" oder "Linksparasiten" geheißen. Und: "Die Mediendiktatur und ihre Sklaven, Antifanten, Schwarzer Block. Egal wer! Es ist an der Zeit, nicht nur Worte sprechen zu lassen, sondern auch Taten."
Die Formulierung erinnere stark an das Motto "Taten statt Worte", mit dem die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ihre zehn Morde rechtfertigte. Der NSU sei aber im Vergleich zur "Revolution Chemnitz" nur eine "Kindergarten-Vorschulgruppe", heißt es laut "Tagesschau" in den Chats.