Regierungskrise in Italien: Renzi ruinierte sich selbst – jetzt will er Conte stürzen
Matteo Renzi löst mitten in der Pandemie eine Regierungskrise in Italien aus. Motiv: Eitelkeit. Ein Kommentar.
Als 1998 die linke Kleinpartei PRC die Regierung von Romano Prodi platzen ließ, wählte Eugenio Scalfari, damals einer der scharfsinnigsten Leitartikler Italiens, ein schönes Gleichnis: Ein Skorpion verspricht dem, der ihn ans andere Flussufer tragen soll, hoch und heilig, ihn nicht zu stechen.
Das Argument, das dem Träger schließlich trotz seiner Angst einleuchtet: Das wäre doch auch Wahnsinn. Stäche er, müsse er ja mit dem Träger untergehen. Mitten im Fluss sticht der Skorpion trotzdem zu. Auf die entsetzte Frage des sterbenden Trägers antwortet er, es tue ihm auch leid, aber: „Es ist nun einmal meine Natur.“
Die Parabel würde auch sehr gut auf die aktuelle Regierungskrise passen. Diese Art Wahnsinn hat in der Politik des Landes leider Methode und eine traurige Tradition: Kleinstparteien, früher die Flügel der damals größeren Parteien, brachten Regierungen auch zum Einsturz, wenn sie selbst auseinanderflogen - wie es dem PRC, "Rifondazione Comunista", 1998 geschah.
Meist aber erstanden die Kabinette nach ein paar Zugeständnissen wieder. Viele Krisen in Rom, auf die die Welt perplex und zu oft herablassend schaute, waren nichts als derart erzwungene Kabinettsumbildungen.
Die Chuzpe von Matteo Renzi und seiner – ganz auf ihn zugeschnittenen – Splitterpartei „Italia viva“ muss man freilich erst einmal haben. Mitten in der Corona-Krise, der für Europa und vor allem Italien dramatischsten der Nachkriegszeit, zieht er seine drei Regierungsmitglieder ab, zwei Ministerinnen und einen Staatssekretär.
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In dem Wust aus Vorwürfen, die den Auszug aus der Regierung begründen sollen, wirken vor allem die unfreiwillig komisch, die Premier Giuseppe Conte gelten. Der nutze Social Media zu sehr, sei populistisch und – man höre und staune – mache nur noch Pandemiebekämpfungspolitik.
Mit Ausnahme des letzten Punkts war dies exakt, was Renzi selbst angekreidet wurde, als er noch Premier war. Und mit mehr Recht.
So stärkt die linke Mitte Italiens radikale Rechte
Das Argument, es gehe ihm um die Verwendung der EU-Coronahilfen, darf man getrost als vorgeschoben ansehen. Da hat Renzi bereits einiges durchgesetzt. Und 100 Prozent der eigenen Wünsche wäre ein bisschen viel für eine Kleinpartei.
Nein, Conte selbst ist das wahre Ziel. Nachdem Renzi sich 2016 durch eigene krachende Fehler aus dem Amt katapultierte, soll auch der Nachfolger weg – und er selbst wieder im Scheinwerferlicht stehen, wenn er schon nicht zurück in den Palazzo Chigi kann, Italiens Kanzleramt. Dafür reichen die zwei bis drei Prozent nicht, die Renzis Grüppchen in jüngsten Umfragen hat.
Giuseppe Conte ist ein, nicht zuletzt durch Renzi, Schwergeprüfter. Schon in die später gottlob gescheiterte Zwangsehe mit Salvinis extrem rechter Lega nötigte ihn Renzi, weil er, damals noch Chef des Partito Democratico, sich beharrlich weigerte, selbst in die Regierung einzutreten.
Jetzt darf Conte ausgerechnet auf die geringe Lernfähigkeit seines Skorpions hoffen. Renzis Irrsinn könnte eigene Leute animieren, für Conte zu stimmen, wenn der denn im Parlament die Vertrauensfrage stellt. Ob dies passiert, ob im Frühsommer Neuwahlen kommen: alles noch unklar. Sicher und an den Daten ablesbar ist vorerst nur: Mit dieser pseudolinken Mitte wird Italiens radikale Rechte stärker und stärker.