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Italiens Premierminister Matteo Renzi ist zurückgetreten.
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Nach dem Referendum: Italien hat richtig entschieden

Matteo Renzi tritt zurück. Um ihn ist es nicht schade, er hat zwei Jahre lang versäumt, die Probleme Italiens anzugehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Es ist Montagmorgen und Italien ist nicht untergegangen. Das allerdings hätte man erwarten müssen, wenn man der Wahlwerbung der Regierung Renzi zu lange zuhörte, Tenor: “Meine Reform oder das Chaos”. Die Verfassungsreform, die die Bürgerinnen und Bürger Italiens an diesem Sonntag mit klarer Mehrheit und mit einer für italienische Verhältnisse hohen Beteiligung abgelehnt hatten, sollte angeblich die Blockade des Landes lösen: 47 der 139 Artikel sollten sich ändern – im Grunde wäre eine ganz neue Verfassung das Ergebnis gewesen - der “vollständige Bikameralismus” sollte enden, der alle, wirklich alle Gesetze durch zwei gleichberechtigte Parlamentskammer zwingt, der Senat, zweite der beiden  Kammern, sollte kostensparend schrumpfen.

Klingt beim ersten Zuhören plausibel: Wer wollte kein funktionierendes Regierungssystem, und wenn es Politik auch billiger, also mit weniger Politikern gibt, warum nicht? Stimmt leider aber alles nur in der Theorie, ein Blick auf die Realität hätte anderes lehren können: Italien hat keineswegs Probleme mit zu langsamer Gesetzgebung, es stöhnt eher unter einer Flut von Gesetzen, von denen viele mit heißer Nadel gestrickt sind – übrigens ja nicht nur ein italienisches Problem – und deren Anwendung die seit langem vernachlässigte, personell und materiell unterversorgte Justiz überfordern.

Jetzt tritt der Premier zurück, wieder Krise

Prozesse in Italien dauern schon mindestens Jahre, ein Riesenproblem für Wirtschaft, Bürger und Demokratie. Und was die Kosten der Politik angeht: Die “Nein”-Fraktion hatte ausgerechnet, dass man, statt den Senat zu verkleinern, die üppigsten Parlamentarierdiäten Europas lediglich um 10 Prozent kürzen müsste, um ein Mehrfaches der Ersparnis einzufahren, die Renzi mit seiner Neugestaltung des Senats versprach. Das Personal dieses Senats wäre aus den Regionalräten gekommen, in den letzten Jahren die eigentlichen Zentren politischer Korruption. Der Sitz im Senat garantiert aber Immunität.

Aber, ließe sich einwenden: Jetzt tritt der Premier zurück, wieder Krise, wieder eine neue Regierung in einem Land, das seit Kriegsende deren mehr als 60 verschlissen hat. Tja, und dennoch ziemlich lange gar nicht so schlecht funktionierte, sich in Zeiten hektischster Regierungswechsel sogar einen wirtschaftlichen Boom schuf. Die Krisen genannten Regierungswechsel waren selten etwas anderes als das, was auf italienisch “Sesselwalzer” heißt, die Parteiströmungen tarierten ihr Gewicht neu aus - Ende. Während sich alles änderte, wie das geflügelte Wort aus Tommasi di Lampedusas “Leopard” sagt, blieb alles gleich: Gründervater Alcide de Gasperi war achtmal, Giulio Andreotti sieben- und Amintore Fanfani immer noch sechsmal Regierungschef. Sie alle waren Christdemokraten, die Democrazia cristiana, der “weiße Wal”, wie Italien spottete, blieb, mit kurzen Unterbrechungen von Kriegsende bis 1990 an der Macht. Ein instabiles System?

Auch Renzi hat keine Lust auf langwierige Konsenssuche

Es ist womöglich ein zu stabiles, und man muss sich wundern, dass die europäische Öffentlichkeit das seit Jahrzehnten nicht zur Kenntnis nimmt, sondern sich lieber wohlig über das angebliche Chaos der Südländer gruselt. Dass zwei deutsche Minister, Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble, sich in den letzten Wochen auf die Seite der Regierung in Rom schlugen und unnötigerweise erklärten, sie würden mit Ja stimmen. Was eigentlich tun die Stäbe ihrer Ministerien, wenn so viel Desinformation an der Spitze landet? Dass beide deutsche Politiker im Gegenteil wohlinformiert waren, aber eine heimliche Schwäche für eine Art Präsidialsystem gehabt hätten, wie es Matteo Renzi vorsah, mit ihm als starkem Mann, dürfen wir hoffentlich ausschließen. Das nämlich war das eigentliche Ziel, das schon Berlusconi verfolgte: Auch Renzi hat keine Lust auf langwierige Konsenssuche, zwei möglichst willfährige Kammern hätten dabei gut geholfen, eine starke Exekutive, von der starke Männer schon je und immer weiter träumen.

Jugendarbeitslosigkeit, Niedriglöhne, Kleinstrenten

Italiens Malaise aber hat genau mit ihnen zu tun. Nicht die Verfassung, sondern Regierungshandeln ist schuld, dass das Land von der höchsten Jugendarbeitslosigkeit Europas gequält wird, von Niedriglöhnen, Kleinstrenten, einem Riesenprekariat. Italiens Wissenschaft ist dramatisch unterfinanziert und hat mit die wenigsten Forscherinnen und Forscher eines Industrielandes – nicht weil es keine gäbe, sondern weil sie ins Ausland flüchten, um arbeiten zu können. Matteo Renzi, nicht gewählt, sondern vom damaligen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano mit der Regierungsbildung beauftragt, hat zwei Jahre lang keines der strukturellen Probleme des Landes auch nur angepackt, sondern Kleinverdienern einmal 80 Euro geschenkt und einen “Jobs Act” – man spricht denglisch bei Hofe – ins Werk gesetzt, der weitere prekäre Stellen schuf und inzwischen ausgelaufen ist.

Linke mit rechten Populisten: Entscheidend ist das Ergebnis

Das Referendum galt nicht der Person Renzis, er selbst hat es dazu gemacht, als er seine politische Zukunft damit verknüpfte. Ein bemerkenswerter Anfall politischer Beschränktheit und eines gefährlich großen Egos. Statt sein persönliches Prestige nützen zu können, das er für größer hielt, als es wirklich war, brachte er auch noch die Italienerinnen und Italiener ins Lager des “No”, denen die Verfassung womöglich egal war, die aber nur auf eine Gelegenheit warteten, den Premier, den sie nicht gewählt hatten, endlich abwählen zu können. Die Gründe des “No” waren also sicher verschieden: Der Rechten, Lega Nord, Berlusconianern e tutti quanti, ging es um beziehungsweise gegen Renzi. Linke und Liberale, darunter eine große Zahl von Verfassungsrechtlern, kämpften für eine Verfassung, deren Anwendung, wie es der Philosoph Paolo Flores d’Arcais vor Tagen formulierte “seit 1946 von wechselnden Regierungen stets blockiert wurde, weil sie aus dem (antifaschistischen und Anti-NS-) Widerstand entstanden und daher stark sozial und egalitär ist”.

Wer immer sich also im Lager des No fand – die Regierung spielte stark mit dem Argument, hier täten sich die Extreme zusammen, linke mit rechten Populisten: Entscheidend ist das Ergebnis. Und das ist gut. Nicht nur weil eine ebenso ehrwürdige wie zukunftstaugliche Verfassung gerettet wurde. Auch um Renzi ist es nicht wirklich schade: Er hat zwei Jahre im Palazzo Chigi mit seinem halbautoritären Lieblingsprojekt verschwendet, statt die Probleme Italiens anzugehen. Wenn Europas veröffentlichte Meinung nun Angst vorm Ausgang von möglichen Neuwahlen verbreitet, stellt dies eher den berühmten europäischen Werten ein mieses Zeugnis aus: Dass Wahlausgänge unberechenbar sind, ist eine demokratische Binse und jedenfalls kein Fehler der Demokratie. Dass Italien dafür kein ausreichend demokratisches Wahlgesetz hat, steht auf einem andern Blatt. Auch hier haben drei Jahre lang die postberlusconischen Regierungen versagt, Renzi eingeschlossen.

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