Streit um flexible Regelungen: Rente schon mit 60?
Eine Koalitionsarbeitsgruppe soll über einen flexiblen Übergang in den Ruhestand beraten. Doch schon vorher gibt es Streit. Die Gewerkschaften wollen eine frühere Teilrente, die Arbeitgeber einen späteren Berufsausstieg.
Zumindest bei der Überschrift sind sich die Rentenexperten von SPD und Union schnell einig, wenn sie sich an diesem Donnerstag treffen: „Flexible Übergänge in den Ruhestand“ heißt die Arbeitsgruppe der Koalition, die in dieser Woche erstmals zusammenkommt. Sie ist Teil des Kompromisses zum Rentenpaket, das vor kurzem im Bundestag verabschiedet wurde und zu dem auch die umstrittene abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren gehört. Bis zum Herbst soll die zwölfköpfige Politikerrunde Vorschläge machen, wie sich der Rentenbeginn stärker individualisieren lässt.
Zugeständnis an den Wirtschaftsflügel
Dass es die Arbeitsgruppe gibt, ist auch ein Zugeständnis an den Wirtschaftsflügel der Union, der die Rente mit 63 nicht wollte und ihr am Ende nur mit deutlichem Widerwillen zugestimmt hat. Doch was unter der propagierten Flexibilisierung zu verstehen ist, bleibt strittig. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) etwa machte bereits vor dem Treffen in einem Schreiben an die Koalitionsfraktionen deutlich, was er sich unter dieser Überschrift vorstellt: mehr Möglichkeiten, auch schon vor dem gesetzlichen Rentenalter in den Ruhestand zu gehen.
Konkret verlangt der DGB, Arbeitnehmer bereits ab 60 und nicht wie bisher erst ab 63 Jahren eine so genannte Teilrente beziehen zu lassen. Dabei erhalten die Betroffenen entweder ein oder zwei Drittel ihrer regulären Rente und arbeiten parallel in Teilzeit weiter – jedoch mit Zuverdienstgrenzen, die als sehr starr gelten. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung nutzen derzeit nur 3000 Arbeitnehmer diese Möglichkeit zum gleitenden Übergang in die Rente.
SPD will höhere Zuverdienstgrenzen
In ihrem Positionspapier fordern die Gewerkschafter höhere und flexiblere Hinzuverdienstgrenzen bei Teilrenten und einen verbesserten Rechtsanspruch auf sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit im Alter. In der SPD stoßen sie damit auf offene Ohren. „Die Diskussion über eine frühere Teilrente und einfachere Zuverdienstgrenzen ist sinnvoll“, sagte Fraktionsvize Carola Reimann. Bisher arbeiteten Rentner oft nur in Minijobs. „Uns wäre es lieber, wenn dies sozialversicherungspflichtige Jobs wären.“ Ein flexibler Übergang in die Rente bedeute aber nicht nur, früher in Rente zu gehen, sondern auch später, betonte die SPD-Politikerin „Wir sollten schauen, dass wir den Rentenbeginn an die persönliche und gesundheitliche Situation und die jeweiligen Arbeitsbedingungen anpassen können“, sagte sie dem Tagesspiegel.
Der Wirtschaftsflügel der Union warnte vor neuen Möglichkeiten zu früherem Berufsausstieg. Das Ziel dürfe „jetzt nicht sein, neue Frühverrentungsprogramme zu schaffen, die auch noch steuerlich subventioniert werden“, sagte der Vorsitzende ihrer Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, Carsten Linnemann. „Diesen Fehler haben wir schon einmal gemacht.“
CDU nennt Gewerkschaftsforderung absurd
Die Gewerkschaften hätten „da was nicht verstanden“, pflichtete sein Parteifreund Jens Spahn bei. Es gehe „vor allem darum, es denen, die wollen und können, leichter und lohnender zu machen, länger zu arbeiten“, sagte er. „ Wir brauchen die älteren Fachkräfte, es kommen immer weniger junge Menschen nach.“ Angesichts dessen als Erstes eine Rente mit 60 zu thematisieren, sei „völlig absurd“.
Auch der Arbeitnehmergruppe in der Unionsfraktion ist nicht wohl bei der DGB-Forderung nach früheren Teilrente- Möglichkeiten. Ihr Vorsitzender Peter Weiß warnte davor, die Arbeitnehmer bei diesem Thema zu spalten. Bei einer Teilrente bereits mit 60 lägen die Rentenabschläge bei mehr als 25 Prozent und damit „so hoch, dass man dies sozialpolitisch eigentlich nicht vertreten kann“, sagte der CDU-Politiker dem Tagesspiegel. Dies könnten sich dann nur die wirklich gut Verdienenden leisten. Nötig sei eine zusätzliche Vereinbarung, die es Teilrentnern auch ermögliche, über die Regelarbeitsgrenze hinaus zu arbeiten, um so ihre Abschläge „wieder hereinzuholen“.
Vorwürfe an die Rentenversicherung
Die Arbeitsgruppe müsse sich daran messen lassen, ob sie mehr Beschäftigung im Rentenalter ermögliche, betonte Linnemann. „Wir brauchen hier einen radikalen Mentalitätswechsel.“ Die Erwerbstätigenquote der über 65-Jährigen liege mit 7,8 Prozent weit unter der vergleichbarer Industrieländer.
Verantwortlich dafür machte der CDU-Politiker auch die Deutsche Rentenversicherung. Faktisch würden ältere Arbeitnehmer hierzulande „in die Rente gedrängt“, behauptete er. Die Versicherer betrieben eine „irreführende Kommunikationspolitik“. Viele Beschäftigte wüssten gar nicht, dass sie jederzeit über die Regelaltersgrenze hinaus weiterarbeiten könnten – und sich ihre Rente dadurch pro Jahr über eingezahlte Beiträge und Zuschläge um etwa 8,5 Prozent erhöhe. „Wer also nur drei Jahre länger arbeitet, bekommt bis zum Lebensende 25 Prozent mehr Rente. Das ist bisher viel zu wenig kommuniziert worden.“
Die Deutsche Rentenversicherung wies Linnemanns Vorwurf zurück. „Wir weisen die Versicherten in unserer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie auch in den Beratungen auf die Möglichkeit hin, über die Regelaltersgrenze hinaus zu arbeiten, und was dabei zu beachten ist“, sagte ein Sprecher. „Dabei machen wir auch deutlich, dass ein Weiterarbeiten den Rentenanspruch erhöhen kann.“