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Umkämpft. Auch in der Stadt wird um Flächen gerungen: Die Wiesenburg im Berliner Wedding, ein ehemaliges Obdachlosenasyl, wird heute von Künstlern genutzt – und bald von der Degewo für den Wohnungsbau entwickelt.
© Doris Spiekermann-Klaas

Umweltgutachten: Raum für mehr

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat auf 472 Seiten Vorschläge für eine moderne Umweltpolitik gemacht. Ein Thema ist der Flächenverbrauch. Wie kann Deutschland Platz sparen?

Diese „Impulse für eine integrative Umweltpolitik“ dürften die Bundesregierung lange beschäftigen: Das letzte Hauptgutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) umfasst sechs Schwerpunktkapitel und ist schlanke 472 Seiten stark geworden.

„Deutschland hat hervorragende Voraussetzungen, um bei einem nachhaltigen Umbau der Industriegesellschaft eine Vorreiterrolle einzunehmen“, sagte Professor Martin Faulstich als Leiter des Rates bei der Übergabe des Gutachtens an Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Sie betonte, der SRU, der 1971 zum ersten Mal als Beratungsgremium der Bundesregierung berufen worden war, habe immer wieder „wichtige Impulse“ gegeben. Sie werde sich „auch weiterhin auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene dafür einsetzen, dass Deutschland eine Vorreiterpolitik betreibt“.

Ein Feld, auf dem es mit der Vorreiterrolle noch nicht allzu rosig aussieht, ist das Thema Flächenverbrauch. Als sich die Bundesregierung 2002 erstmals eine Nachhaltigkeitsstrategie gegeben hat, lag der tägliche Verbrauch für Siedlungs- und Verkehrsflächen bei 130 Hektar – etwa 182 Fußballfelder. Inzwischen liegt er bei 69 Hektar – das sind immer noch 96 Fußballfelder täglich. Bis 2020 soll der tägliche Flächenverbrauch auf 30 Hektar oder 42 Fußballfelder am Tag sinken.

"Es ist wie beim Wettrüsten"

Doch auch wenn das Ziel noch weit entfernt liegt, hat die Nachhaltigkeitsstrategie eines bewirkt: rege Forschungstätigkeit zum Flächensparen. Und sogar Experimente. Das größte war ein Versuch zum Handel mit Flächenzertifikaten des Umweltbundesamts (UBA), an dem sich knapp 100 Kommunen beteiligt haben.

Als Fazit daraus sagt Peter Fritsch vom Umweltministerium: „Der Flächenhandel hat den Charme, dass sich, ähnlich wie beim Wettrüsten, alle mal drauf geeinigt haben: Wir halten uns innerhalb des Rahmens.“ Und das funktionierte tatsächlich: Statt an den Stadt- oder Dorfrändern immer neue Flächen zu erschließen, wuchs der Anreiz, erst einmal innerhalb der Ortschaften nach geeigneten Flächen zu suchen. Ein weiteres Fazit aus dem Versuch: „Aktuell stellt jedes dritte der geplanten Siedlungsprojekte aus rein ökonomischer Sicht für die Kommunen ein Verlustgeschäft dar.“ Die Ortschaften können mit der Entwicklung der Fläche gar nicht so viel verdienen, wie es sie kostet. „Im Feldexperiment lagen 92 Prozent der fiskalisch unrentablen Baugebiete im Außenbereich“, stellt das UBA fest. Die Kommunen hätten daher auf „rund zwei Drittel der ursprünglich geplanten Bauprojekte mit negativem Fiskalwert verzichtet“.

Flächenverbrauch bis 2030 auf netto Null senken

Der Umweltrat hat sich die praktischen Erfahrungen und die Ergebnisse der vielen Forschungsprojekte genau angeschaut und daraus Empfehlungen entwickelt, wie Deutschland seinem Flächenziel näherkommen kann. Zum einen fordert er mehr Ehrgeiz: Das Flächenziel soll verschärft werden. Bis 2030 soll es auf „netto null“ sinken. Die Regierung müsste dafür maximale Flächenverbrauchsziele für den Bundesverkehrswegeplan festlegen. Und in der Raumplanung müssten Obergrenzen für die Flächenausweisung eingeführt werden.

Was innerhalb von Städten oder Ortschaften an Flächen entwickelt werden könnte, soll verpflichtend erfasst werden. In einigen Bundesländern ist das bereits Pflicht, in Baden-Württemberg zum Beispiel. Niedersachsen hat ein wirkungsvolles Hilfsmittel für die Kommunen erarbeitet, mit dem diese Baulücken erkennen – und wie die Altersstruktur der Bewohner stadträumlich aussieht. Der SRU schlägt auch vor, für jede Versiegelung die Möglichkeit einer Entsiegelung zu prüfen. Und vor allem sollten Subventionen abgebaut werden, die falsche Anreize geben. Neben der Pendlerpauschale, die der SRU seit vielen Jahren kritisiert, nennen die sieben Professoren die Grundsteuer. Weil bebaute Grundstücke höher besteuert werden als unbebaute, treibe das die Spekulation an und gebe wenig Anreiz, innerstädtisches Bauland zu nutzen. Der SRU schlägt eine gleichmäßige und größenabhängige Besteuerung der Flächen vor.

Folgekostenrechner für den demographischen Wandel

Kommunen planen ihre Verkehrsflächen oder Neubaugebiete schon heute mit Folgekostenrechnern. Diese sollen nach dem Willen des SRU so weiterentwickelt werden, dass sie auch die Kostenentwicklung für solche neuen Infrastrukturen bei sinkender Bevölkerungszahl berechnen können. Denn trotz des Flüchtlingszuzugs rechnet der SRU weiter mit sinkenden Bevölkerungszahlen – die sich allerdings anders verteilen werden: In die attraktiven Stadtregionen wie Berlin, München, Hamburg oder Leipzig wollen immer mehr Menschen ziehen, während sie aus den entvölkerten ländlichen Regionen weiterhin flüchten werden. Dort ist der Flächenverbrauch am größten – und am teuersten.

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