Krise in Mali: Rauchsäulen über Bamako
Die Unruhen in Malis Hauptstadt zeugen von einem zerrissenen Land. Droht Präsident Keïta die politische Kontrolle zu verlieren? Ein Gastbeitrag.
Christian Klatt ist Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mali mit Sitz in Bamako.
In Malis Hauptstadt Bamako kam es vorletzte Woche zu schweren Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und Protestierenden, bei denen nach offiziellen Angaben elf Menschen starben. Präsident Ibrahim Boubacar Keïta (genannt IBK) scheint das Heft des Handelns zu entgleiten, und die Protestbewegung M5 um den Imam Dicko besteht offiziell weiterhin auf seiner Absetzung. In einem Land mit großer Internationaler und deutscher Präsenz stellt sich nun die Frage: Wie soll es weitergehen?
Seit Anfang Juni gibt es in Bamako regelmäßig Freitagsdemonstrationen. In Anlehnung an das erste Datum wird die Bewegung Mouvement de 5 Juin –Rassemblement des Forces Patriotiques (Bewegung des fünften Juni – Vereinigung der patriotischen Kräfte) genannt. Ihre prominenteste Figur ist der konservative, aber nicht radikal-islamistische Imam Mamoud Dicko. Der ehemalige Vorsitzende des Hohen Islamrates von Mali hatte sich unter anderem gegen eine Liberalisierung des Familiengesetzes gewehrt und diese auch verhindert.
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Präsident und Imam sind ehemalige Verbündete. Ihre Beziehung reicht bis in die 1990er Jahre zurück. In Keïtas erster Amtszeit unterstützte Dicko diesen noch, entzog ihm aber für die Wiederwahl die Unterstützung. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist beider Verhältnis nachhaltig gestört. Bereits mit der ersten Demonstration waren die Forderungen von M5 klar – an erster Stelle der Rücktritt von Präsident Keïta: Er wird für das Gros der Probleme im Land verantwortlich gemacht.
Wunsch nach einer neuen Nationalversammlung
Zudem fordert M5 die Auflösung der Nationalversammlung, Neuwahlen, eine Neubesetzung des Verfassungsgerichtshofs sowie verstärktes Bemühen um den aller Wahrscheinlichkeit nach von Al-Qaida entführten Oppositionspolitiker Soumaïla Cissé. Seit 2012 befindet sich Mali in einem mehr oder minder konstanten Zustand der Krise. War diese ursprünglich vor allem sicherheitspolitisch, so entstanden in den letzten Jahren immer mehr soziale und ökonomische Risse.
Die Covid-19-Pandemie verschärft die bestehenden Probleme durch geschlossene Grenzen und die zeitweisen nächtlichen Ausgangssperren. Zu all dem kommt eine politische Elite, die schon lange den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern verloren hat. Das sogenannte Mali Métre, eine Meinungsumfrage der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung, belegt, dass der Rückhalt sowohl des Präsidenten als auch der Opposition schwindet. Zufriedenheitswerte schwanken zwischen knapp 17 Prozent für die Arbeit des Parlaments und 37 Prozent für den Präsidenten.
Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen im März und April 2020 brachten das Fass zum Überlaufen. Nach malischem Recht obliegt dem Verfassungsgericht die letzte Bestätigung der endgültigen Wahlergebnisse. Eingriffe in die Sitzverteilung, oftmals zum Vorteil der regierenden Parteien, sind kein neues Phänomen. Diesmal aber war die Differenz zwischen den ersten provisorischen und den späteren Endergebnissen so groß, dass die Bevölkerung aufbegehrte. Die Regierungspartei RPM von IBK gewann gegenüber der ersten Zählung acht von 147 Sitzen hinzu.
Ihren bisherigen Höhepunkt fanden die Proteste am vorletzten Freitag. Zum Abschluss der Veranstaltung riefen die Organisatoren die Teilnehmenden zum „zivilem Ungehorsam“ auf. Die Protestierenden drangen in das Parlamentsgebäude ein und plünderten es, bevor sie es in Brand steckten. Auch das Hauptgebäude des staatlichen Nachrichtensenders ORTM wurde zunächst belagert, schließlich schalteten die Protestierenden den Sendebetrieb ab. An vielen Stellen Bamakos sah man die Rauchsäulen der brennenden Blockaden.
Scharfe Munition statt Tränengas
Malische Sicherheitskräfte nahmen einige Personen in der Führungsriege von M5 fest. Beim Versuch aber, Imam Dicko in seiner Moschee festzunehmen, kam es zu schweren Zwischenfällen mit seinen Anhängern. Es wird berichtet, dass die Polizeikräfte und die malische Anti-Terroreinheit FORSAT während dieser Zusammenstöße nicht nur Tränengas, sondern auch scharfe Munition einsetzen.
Seit diesen Vorgängen ist es in Bamako ruhig geblieben. Am vergangenen Freitag sah man von einer weiteren Demonstration ab, um der Toten zu gedenken. Mit dem Ausmaß der Gewalt scheinen mehrere rote Linien überschritten zu sein. Das Militär, an den Umstürzen 1991 und 2012 maßgeblich beteiligt, mischt sich bisher nicht ein. Eine Abkehr von IBK würde einem politischen Todesstoß gleichkommen. Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS hat eine Delegation zur Vermittlung zwischen den Parteien geschickt, bisher ohne Erfolg. Soeben ist eine zweite Delegation von Staatspräsidenten nach Bamako aufgebrochen.
Die momentane Instabilität lässt die Frage nach der weiteren Entwicklung des internationalen Engagements in Malis aufkommen. Die UN-Mission MINUSMA ist seit mehreren Jahren im Land, die deutsche Beteiligung an dem Einsatz sowie der Europäischen Ausbildungsmission EUTM wurde gerade erst vom Bundestag verlängert. Zudem gibt es unzählige internationale Hilfsprogramme der UN und einzelner Staaten. M5 hat die Anwesenheit internationaler Akteure bisher nicht in Frage gestellt.
Zivile Maßnahmen sind dringend nötig
Den Eliten in Mali ist klar, dass Stabilisierung nur mit Hilfe internationaler Partner erreicht werden kann. Doch kann es ein „Weiter so“ geben, welches sich vor allem auf militärische Maßnahmen stützt? Insbesondere Frankreich nimmt mit seinem Engagement eine führende Rolle ein.
Obwohl eine deutsch-französische Partnerschaft für den Sahel geplant ist, hadert Deutschland damit, seine Position klar von der Frankreichs zu unterscheiden, welche weiterhin vorwiegend sicherheitspolitische Probleme sieht. Entsprechend werden Lösungen vor allem im Kampf gegen den Terrorismus im Sahel gesucht. Ein deutscher Ansatz vor Ort sollte jedoch stärker die Verknüpfung von zivilem und militärischem Engagement vorantreiben.
Christian Klatt