Proteste in der Hauptstadt und Überfälle durch das Militär: Mali in Aufruhr
Korruption, Corona und Korruption erschüttern das Krisenland – jetzt soll der Präsident zurücktreten
Der westafrikanische Unruhestaat Mali, in dem unter anderem auch fast 1500 Bundeswehrsoldaten stationiert sind, wird zunehmend destabilisiert. Nachdem in den vergangenen Wochen parallel zur Verbreitung des Coronavirus eine steigende Zahl von terroristischen Zwischenfällen gemeldet worden waren, versammelten sich am Wochenende rund 20 000 Demonstranten in der Hauptstadt Bamako, um den sofortigen Rücktritt des Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta zu fordern. Gleichzeitig wurde bekannt, dass Soldaten der von der Bundeswehr trainierten Armee des Landes ein Dorf im Zentrum Malis überfallen haben und mindestens 26 Angehörige der Volksgruppe der Fulani töteten, darunter auch eine Frau und ein Kind. Zuvor hatte die französische Armee, die seit sieben Jahren im Rahmen der Operation Barkhane mit rund 5000 Soldaten in Mali stationiert ist, einen seltenen Erfolg gemeldet: Mit Unterstützung der US-Streitkräfte soll der Chef der Terrorgruppe „Al-Qaida im Islamischen Maghreb“ (Aqim), Abdelmalek Droukdal, am Mittwoch im äußersten Norden des Landes getötet worden sein. Der Tod des 50-jährigen Algeriers wurde von Aqim bislang nicht bestätigt.
Französische Truppen beendeten blutige Herrschaft
Kenner des Landes befürchten, dass Mali wie schon vor acht Jahren wieder auseinanderbrechen könnte. Damals hatten Islamisten für fast ein Jahr die nördliche Hälfte des Landes kontrolliert. Ihre blutige Herrschaft war erst von einer französischen Interventionstruppe beendet worden. Doch auch danach ist der knapp 19 Millionen Einwohner zählende Staat nicht wieder zur Ruhe gekommen. Der Protest auf dem zentralen „Platz der Unabhängigkeit“ in Bamako am Freitag war von einer neu gegründeten Oppositionsplattform, der „Front zur Rettung der Demokratie“ (FDS) organisiert worden. Ihr gehören unter anderen der populäre muslimische Geistliche Mahmoud Dicko sowie der Korruptionsbekämpfer Clément Dembélé und die zivile Aktivistengruppe „Espoir Mali Koura“ an. In einer gemeinsamen Erklärung warf die Plattform Präsident Keïta einen „chaotischen Regierungsstil“ vor. Die „katastrophale Führung“ des vor zwei Jahren wiedergewählten Staatschefs habe Mali in eine „multidimensionale Krise“ gestürzt, heißt es weiter. „Die Integrität des Landes ist in Frage gestellt, das Sozialwesen wurde auf eine bisher nicht dagewesene Weise dezimiert, eine wachsende Verarmung der arbeitenden Bevölkerung, finanzielle Misswirtschaft, Korruption...“ Die Demonstranten forderten die Freilassung „aller politischen Gefangenen“, „mehr Geld für Schuldbildung“ und einen effektiven Kampf gegen Corona.
"Mali wird zu einem riesigen Friedhof"
Präsident Keïta habe zwar jedem Malier einen Mundschutz versprochen, klagten Oppositionsanhänger. Er habe seine Ankündigung jedoch nicht eingehalten. Kaum einer der Demonstranten trug einen Mundschutz. „Jeden Tag werden neue Tote gemeldet“, sagte der 33-jährige Ben Adama Diarra zu einem Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters: „Mali wird zu einem riesigen Friedhof.“ Bislang wurden aus dem westafrikanischen Staat 1523 Corona-Infizierte gemeldet, 90 erlagen der Krankheit. Experten schätzen die wirkliche Zahl der Angesteckten wesentlich höher ein.
Kurz zuvor war der Überfall uniformierter Männern auf das Fulani-Dorf Binedama im Zentrum des Landes bekannt geworden. Aly Barry, Sprecher der Fulani-Organisation Tabital Pulaaku teilte der Nachrichtenagentur AFP mit, bei den Angreifern habe es sich um malische Soldaten gehandelt, 26 Personen seien getötet worden. Der Bevölkerungsgruppe wird von Angehörigen der Dogon und Bambara immer wieder vorgeworfen, gemeinsame Sache mit islamistischen Extremisten zu machen.
Die UN-Mission Minusma gab im April bekannt, sie habe allein zwischen Januar und März 101 widerrechtliche Exekutionen malischer Soldaten registriert. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International will von „mindestens vier Fällen von Folter und Misshandlungen“ seitens malischer Soldaten wissen.
Die Bundeswehr-Mission wurde gerade verlängert
Den Vorwürfen kommt insofern besondere Brisanz zu, als rund 350 Bundeswehrsoldaten die malischen Streitkräfte ausbilden. Ihre Ausbildung ruht derzeit wegen der Pandemie. Der Bundestag gab kürzlich grünes Licht für eine Verlängerung der europäischen Ausbildungsmission um ein Jahr. Künftig sollen sogar 100 weitere Bundeswehrsoldaten diese Aufgabe übernehmen. In der nördlichen Provinzhauptstadt Gao sind außerdem 1100 Bundeswehrsoldaten stationiert, die Drohnen-Aufklärung für Minusma liefern. Auch ihre Mission wurde im Mai vom Bundestag verlängert.
Ob der Tod des Al-Qaida-Kommandanten zu einer Beruhigung der Lage in Mali beitragen wird, gilt unter Beobachtern als eher unwahrscheinlich. Droukdal war offenbar von einem französischen Spezialkommando bereits am Mittwoch rund 80 Kilometer östlich der nordmalischen Stadt Tessalit aufgespürt und gemeinsam mit einer nicht genannten Zahl von Begleitern getötet worden.
Er finanzierte sich mit der Erpressung von Lösegeldern
Die US-Streitkräfte, die in Malis Nachbarland Niger einen Drohnenstützpunkt unterhalten, bestätigten inzwischen, bei der Suche nach Droukdal mit Aufklärungsmaterial geholfen zu haben. Der 50-jährige „Emir“ hatte sich mit seiner algerischen Terrorgruppe „Salafisten für Predigt und Kampf“ bereits vor 14 Jahren Al Qaida angeschlossen und saß zuletzt auch im Führungsrat der internationalen Terrororganisation. Droukdal kämpfte bereits in Afghanistan gegen die russischen Invasoren. Nach Hause zurückgekehrt, nahm der ausgebildete Ingenieur zunächst den Kampf gegen die eigene (Militär-)Regierung auf, später orientierte sich Droukdal zunehmend ins südöstlich gelegene Ausland, nach Libyen, Mali, Mauretanien und den Niger, schließlich auch Burkina Faso. Seine Aktivitäten finanzierte der Islamist vorwiegend mit der Erpressung von Lösegeldern entführter europäischer Touristen. Auf diese Weise soll er innerhalb von fünf Jahren 91 Millionen US-Dollar erwirtschaftet haben. Der Terrorchef wird für unzählige Anschläge in den Sahelzonen-Staaten verantwortlich gemacht, zeitweise war seine Organisation auch an der Herrschaft der Islamisten im Norden Malis beteiligt.
Johannes Dieterich