Neue Regierung und Verfassungsreform: Putin drückt aufs Tempo
Kaum hat Präsident Putin eine Verfassungsänderung verkündet, ist der Entwurf fertig. Klar ist nun auch, wer künftig im Kabinett sitzt.
Das Tempo ist atemberaubend. Am vergangenen Mittwoch hat der russische Präsident Wladimir Putin verkündet, es werde eine Verfassungsreform geben. Zwei Tage später versammelten sich die 75 Mitglieder der Kommission, die die Veränderungen ausarbeiten soll. Sie gaben sich nicht einmal den Anschein einer inhaltlichen Diskussion. Am Sonntag traf sich die Gruppe noch einmal – und schon war der Entwurf fertig. 22 Artikel werden verändert, einige greifen grundlegend in den Staatsaufbau ein.
Neue Regierung vorgestellt
Das Präsidialamt brachte den Entwurf am Montag in die Duma ein, am Donnerstag ist die erste Lesung, die zweite soll im Februar folgen. Eine „Volksabstimmung“ wird dann voraussichtlich am 12. April stattfinden.
Zugleich stellte der neue Regierungschef Michail Mischustin am Dienstag im Beisein von Kremlchef Putin sein Kabinett vor. Demnach arbeiten Außenminister Sergej Lawrow, der seit fast 16 Jahren im Amt ist, und Verteidigungsminister Sergej Schoigu in der neuen Regierung weiter. Auch Innenminister Wladimir Kolokolzew bleibt. Zahlreiche Posten wurden aber neu besetzt. Die neue Regierung sei „sehr ausgewogen und ernsthaft erneuert“, sagte Putin.
Mischustin meinte, vor dem Land stünden großen Aufgaben, die das neue Kabinett bewältigen müsse. Der Lebensstandard, die Einkommen, die Gesundheitsversorgung und das Geschäftsklima sollten sich rasch verbessern, betonte er. Erster Vize-Regierungschef - neben acht weiteren Vertretern Mischustins - wurde Andrej Beloussow.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte die unglaubliche Geschwindigkeit am Dienstag zur Selbstverständlichkeit. Der Präsident habe die Initiative ergriffen, sagte er auf einer Pressekonferenz, und alle Initiativen des Staatsoberhauptes würden mit „außerordentlicher Priorität“ behandelt. „Das ist die Realität, in der wir leben – eine absolut verständliche und klare Realität.“
Es ist eine Realität, die die demokratischen Opposition – die im Parlament ohnehin kein Gewicht hat – überrumpelt. Der Liberale Grigori Jawlinski rief dennoch zu Wochenanfang in der „Nowaja Gazeta“ zu einer breiten Diskussion auf. Putins Entwurf sei unklar und voller innerer Widersprüche, schrieb er und verkündete: „Wir werden Änderungen der Verfassung ausarbeiten und den größtmöglichen Kreis verschiedenster Menschen einbeziehen“. Doch das wird ein Wunschtraum bleiben. Die russische Opposition meldet sich zwar stärker zu Wort, sie ist aber nach wie vor hilflos und insbesondere zerstritten. Noch bevor sie sich überhaupt gesammelt hat, wird Putins Verfassung wohl längst in Kraft sein.
Unmittelbar nach dessen Ankündigung der Reform war angenommen worden, der Präsident würde sich auf das Amt eines Staatsratsvorsitzenden zurückziehen. Das hat Putin heute schon inne, doch es ist machtpolitisch bedeutungslos. Künftig soll der Staatsrat das Zusammenwirken der Staatsorgane koordinieren, die Grundlinien der Innen- und Außenpolitik und die sozio-ökonomischen Prioritäten bestimmen. Was das bedeutet, weiß derzeit niemand. Es soll später durch ein Gesetz geregelt werden.
Juristische Spitzfindigkeiten
Putin hat inzwischen klargestellt, Russland bleibe eine Präsidialrepublik. Unter den Experten in Russland herrscht nach einer ersten Bewertung des Entwurfs weitgehend Einigkeit, dass die neue Verfassung dem Präsidenten nicht weniger, sondern sogar noch größere Macht gibt. Das hat sofort Zweifel daran geweckt, dass Putin 2024 das Amt tatsächlich aufgeben wird.
In der neuen Verfassung wird jedoch in Artikel 81 der Satz stehen: „Ein und die selbe Person darf die Position des Präsidenten der russischen Föderation nicht länger als zwei Amtszeiten ausüben.“ Das war zunächst so gedeutet worden, dass Putin im Jahr 2024 nicht noch einmal kandidieren dürfe. Schließlich war er schon vier Amtszeiten lang Präsident.
Derzeit diskutieren russische Juristen eine völlig anderen Auslegung. Sie argumentieren, Gesetze – so auch die Verfassung und ihre Regel der „zwei Amtszeiten“ – dürfen nicht rückwirkend angewandt werden. Es spiele deshalb keine Rolle, dass Putin schon vier Mal Präsident war. Man stehe „bei Null“, die Zählung beginne von vorn. Mit diesem juristischen Kniff könnte Putin bis 2036 russischer Präsident sein, dann wäre er 84 Jahre alt. Ob dies rechtens ist, müsste das Verfassungsgericht beurteilen. Dessen Richter ernennt – Putin.