Türkei: Prozessauftakt gegen „Welt“-Journalisten Deniz Yücel
Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel war nach seiner Haftentlassung im Februar ausgereist - aber eine Verurteilung droht ihm noch immer. Nun beginnt der Prozess in Istanbul.
Gut vier Monate nach der Freilassung von Deniz Yücel aus türkischer Untersuchungshaft begann am Donnerstag in Istanbul der Prozess gegen den „Welt“-Journalisten. Das Verfahren gegen Yücel startete mit einigen Stunden Verzögerung, wie die türkische Nichtregierungsorganisation Media and Law Studies Association auf Twitter mitteilte. Yücel war nach seiner Haftentlassung im Februar ausgereist und wird an der Verhandlung nicht teilnehmen, wie Yücels Anwalt Veysel Ok der Deutschen Presse-Agentur bestätigte. Die Staatsanwaltschaft wirft Yücel Terrorpropaganda und Volksverhetzung vor. Nach Angaben von Ok könnte der Journalist zu bis zu 18 Jahren Haft verurteilt werden. Yücel war ein Jahr lang inhaftiert gewesen.
Vor Prozessbeginn sagte Ok: „Wenn die Richter sich an die Gesetze und an die Verfassung halten, muss Deniz in der ersten Sitzung freigesprochen werden.“ Der Anwalt sprach von einem „politischen Prozess“ und kritisierte, Yücel sei illegalerweise für seine Arbeit als Journalist inhaftiert worden.
Die Anklageschrift umfasst nur drei Seiten
Die Staatsanwaltschaft hatte erst am Tag von Yücels Haftentlassung am 16. Februar eine Anklageschrift vorgelegt, die nur drei Seiten umfasst und sich vor allem auf die Artikel des damaligen Türkei-Korrespondenten stützt. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte Yücel einen Terroristen und einen deutschen Agenten genannt.
Die Inhaftierung von Yücel und anderer Deutscher - darunter der Menschenrechtler Peter Steudtner - hatte im vergangenen Jahr zu einer Krise zwischen Berlin und Ankara geführt. Steudtner konnte im Oktober ausreisen, aber gegen ihn und weitere Menschenrechtler geht in Abwesenheit ein Gerichtsprozess weiter.
In der Türkei sitzen zahlreiche Journalisten im Gefängnis
Peter Steudtner sagte der dpa vor Beginn des Prozesses gegen Yücel, das Verfahren sei dem gegen ihn selbst ähnlich: „Es ist völlig ungerecht und es gibt keine Beweise.“ Menschenrechte wie die Pressefreiheit seien Grundgedanken der Zivilisation, deshalb müsse die Anklage sofort fallengelassen werden, forderte er. In der Türkei sitzen zahlreiche Journalisten im Gefängnis. Unter dem nach dem Putschversuch von 2016 ausgerufenen Ausnahmezustand ließ Staatspräsident Erdogan zudem Medien per Notstandsdekret schließen.
Noch immer sitzen mehrere Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei in Haft. Erst am Dienstagabend hatte ein Gericht im westtürkischen Edirne Untersuchungshaft gegen eine Kölnerin mit kurdischen Wurzeln verhängt, wie ihr Anwalt Hasan Tahsin Kaya der dpa am Mittwoch sagte. Ihr wird demnach Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeworfen, die in der Türkei, der EU und den USA als Terrororganisation gilt. Die Sängerin war am Freitag, kurz vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am Sonntag, auf einer Wahlkampfveranstaltung der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP festgenommen worden.
Ein Gericht in Istanbul hatte am Mittwoch unterdessen die Entlassung des regierungskritischen Journalisten Mehmet Altan aus der Untersuchungshaft angeordnet. Altan war 21 Monate lang inhaftiert. (dpa)