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Das war noch ein kleiner Protest: eine Menschenkette am vergangenen Freitag vorm Kanzleramt.
© imago images / Christian Mang

Auch Flughäfen und Brücken als Ziel?: Protest-Bündnis erhöht Druck auf Klimakabinett in Berlin

Am Freitag werden in Berlin wohl so viele Menschen wie nie zuvor für eine wirkungsvolle Klimapolitik demonstrieren – womöglich auch mit drastischen Mitteln.

Um die Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu einschneidenden Maßnahmen beim Klimaschutz zu bewegen, wollen am Freitag Zehntausende Menschen die Hauptstadt mit einem Klimastreik lahmlegen. Dabei schrecken Aktivisten wohl auch vor radikalen Protestformen nicht mehr zurück. Luisa Neubauer, eine der Hauptorganisatorinnen der Proteste, findet es zum Beispiel vertretbar, Brücken oder Flughäfen lahmzulegen. So könne man den eigenen Forderungen Nachdruck verleihen, sagte sie in einem Interview mit der „Zeit“: „Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass das, was wir da vorhaben, einer Revolution gleichen muss.“

Auf die Frage, ob sie angekündigte Blockadeaktionen der Gruppe „Extinction Rebellion“ für legitim halte, sagte Neubauer: „Ja. Wir brauchen ein breites Spektrum an Aktionen, um den Druck auf die Politik zu erhöhen.“ Dazu gehörten angemeldete Demonstrationen, aber auch Formen des zivilen Ungehorsams. Auf einer Pressekonferenz des Bündnisses Fridays for Future am Mittwochabend in Berlin wurde bekräftigt, dass der Druck erhöht werde, wenn die Vorschläge der Regierung unzureichend seien, und dass auch Blockaden von Flughäfen möglich seien.

Am Freitag sind Proteste auch in Hunderten weiteren deutschen Städten geplant. Eine solche Zahl an Parallelveranstaltungen habe es an einem Aktionstag hierzulande noch nie gegeben, erklärte das Bündnis. Die Schülerbewegung appelliert ausdrücklich auch an Erwachsene, sich den Protesten anzuschließen, Organisationen und Unternehmen unterstützen den Aufruf. Viele Schulen in Berlin ermöglichen Schülern, sanktionsfrei teilzunehmen.

Auch radikale Gruppen rufen zu Aktionen auf. Eine Sprecherin des Bündnisses „Ungehorsam für Alle“, dem linksradikale Organisationen angehören, sagte dem Tagesspiegel: „Es soll ein aktivistischer und unkontrollierbarer Moment entstehen.“ Auch die Besetzung von Flughäfen sei denkbar. Man wolle den Protest aber so gestalten, dass möglichst viele Menschen daran teilnehmen könnten.

Polizei und Sicherheitsbehörden sind auf die Großlage vorbereitet. Martin Pallgen, Sprecher der Innenverwaltung, sagte: „Wir haben die Lage im Blick.“ Aus Sicherheitskreisen erfuhr der Tagesspiegel, dass vor allem am Großen Stern in Mitte und entlang der A100 große Protestaktionen und Blockaden erwartet werden.

Mehr denn je könnten es sein, die am Freitag für eine wirksame Klimapolitik auf die Straße gehen. Hier ein Foto von einer Demonstration in Hamburg.
Mehr denn je könnten es sein, die am Freitag für eine wirksame Klimapolitik auf die Straße gehen. Hier ein Foto von einer Demonstration in Hamburg.
© Georg Wendt/dpa

Am Vorabend der Proteste ist im Kanzleramt ein Koalitionsausschuss der Spitzen von Union und SPD geplant, am Freitag sollen Eckpunkte zur Klimapolitik vorgestellt werden. „Das wird bis tief in die Nacht gehen“, hieß es aus Koalitionskreisen. Klimaaktivisten fürchten, dass schnell wirksame Maßnahmen fehlen werden – etwa eine rasche CO2-Bepreisung, um Autofahren, Fliegen und Heizen zu verteuern.

Der Klimastreik findet am Freitag weltweit in mehr als 2300 Städten in 137 Staaten statt. In New York tagt Anfang kommender Woche ein UN-Klimagipfel, um die Maßnahmen zur Eindämmung der Erderwärmung zu überprüfen. Dort muss Merkel den anderen Staaten die neuen Maßnahmen Deutschlands präsentieren.

Jeder Zweite bereit zum Klimaprotest

Eine repräsentative Umfrage von Forschern der Universitäten Konstanz und Mannheim hat ergeben, dass 48 Prozent aller Deutschen „sicher oder wahrscheinlich“ an Protestaktionen für das Klima teilnehmen wollen, sollten diese in ihrer Nähe stattfinden.

Gefragt nach dem Bedrohungspotenzial durch den Klimawandel, stufen die Teilnehmer der Umfrage diese durchschnittlich bei acht von zehn ein – wobei zehn für eine „extreme Bedrohung“ steht.

Sebastian Koos, Mitautor der Studie und Professor an der Uni Konstanz, sagte: „Im Vergleich zu 2017 nehmen die Deutschen den Klimawandel stärker als Bedrohung wahr.“ Das gelte insbesondere für den Bereich des persönlichen Lebensumfeldes. Es lasse sich jedoch nicht eindeutig bestimmen, so die Forscher, ob dies eine Folge der Fridays-For-Future-Bewegung sei – also eine Art Greta-Effekt. „Es scheint allerdings naheliegend, dass die Freitagsproteste die wahrgenommene Bedrohung deutlich verstärkt haben“, ergänzte Koos.

Ein weiteres Ergebnis der Studie, für die im Mai fast 5000 Menschen zwischen 16 und 75 Jahren befragt wurden: 58 Prozent gaben an, ihren persönlichen Lebensstil seit Anfang 2019 mindestens „etwas“ angepasst zu haben. Die Autoren sehen deshalb einen „grünen Bewusstseinswandel“ in der Bevölkerung.

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