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Verteidigt "sein" Altersvorsorgeprodukt: der frühere Arbeitsminister Walter Riester (SPD).
© Thilo Rückeis

Walter Riester im Interview: "Private Altersvorsorge muss Pflicht werden"

Aus seiner Sicht verunsichert "das Gerede" über die Riester-Rente Millionen von Menschen: Ex-Arbeitsminister Walter Riester über die aktuelle Rentendebatte, seine Nachfolgerin Andrea Nahles - und die Krise der SPD.

Herr Riester, bereuen Sie es, Ihren Namen für ein umstrittenes Altersvorsorgeprodukt hergegeben zu haben?

Mich hat niemand gefragt, die Bezeichnung Riester-Rente war eine Erfindung der Medien. Zwei enge Mitarbeiter haben mir damals geraten, mit einer einstweiligen Verfügung dagegen vorzugehen. Ich habe mich aber entschieden, das laufen zu lassen. Der Begriff stört mich nicht.

Heute sagen Politiker aller Parteien, die Riester-Rente sei gescheitert. Ärgert Sie das?

Mich ärgert, dass durch dieses Gerede Millionen Menschen verunsichert werden. Es ist absurd, die Riester-Rente als gescheitert zu bezeichnen. Sie ist eine Erfolgsstory. 16 Millionen Menschen haben sich auf freiwilliger Basis entschieden, einen Vertrag abzuschließen und eigene Beiträge für die Altersvorsorge einzubringen. Das ist doch ein gewaltiges Pfund.

Sie selbst haben die Rentenreform aus dem Jahr 2001 als die größte Sozialreform der Nachkriegsgeschichte gelobt. Würden Sie das heute noch so sagen?

Nein. Aber es war die richtige Entscheidung, die gesetzliche Rente durch staatlich gefördertes Altersvorsorgesparen zu ergänzen. Die Menschen leben immer länger, deshalb müssen sie höhere Rücklagen fürs Alter bilden. Außerdem sind die Ansprüche gestiegen. Anders als die Kriegsgeneration wollen heute viele ihren hohen Lebensstandard behalten und sich im Alter nicht einschränken müssen.

Um die jüngere Generation nicht zu überfordern, wurde beschlossen, den Rentenbeitrag zu deckeln – auf Kosten des Rentenniveaus. Sind Sie dabei übers Ziel hinausgeschossen?

Damals gab es eine heftige, teilweise ideologisch gefärbte Debatte über Lohnnebenkosten. Ich habe das skeptisch gesehen. Aber es gab eine Mehrheit in der Gesellschaft, die davon ausging, dass durch niedrigere Lohnnebenkosten Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Auch Gerhard Schröder glaubte fest daran. Es wäre undenkbar gewesen, in dieser Situation den Rentenbeitrag auf 25 Prozent anzuheben, um Rentnern später ihren Lebensstandard besser zu sichern.

Inzwischen sagt auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, das Rentenniveau dürfe nicht weiter sinken. Einverstanden?

Das Rentenniveau setzt die Rentenhöhe, die ein Durchschnittsverdiener nach 45 Beitragsjahren erhält, ins Verhältnis zum aktuellen allgemeinen Durchschnittsverdienst. Daran sehen Sie schon: Nur Kundige können mit dieser Zahl etwas anfangen, der Stammtisch nicht. In der politischen Debatte läuft man damit schnell Gefahr, die Menschen zu verunsichern. Sie bekommen den Eindruck, dass ihnen allen Altersarmut droht. Das ist fatal.

Haben Sie den Eindruck, dass die heutige SPD zu wenig zu Gerhard Schröders Sozialreformen steht?

Ja.

Woran liegt das?

Heftige Kritik daran hat es in der SPD von Anfang an gegeben und beileibe nicht nur von Einzelnen. Aber man muss eines sehen: Schröder ist es damals wie keinem anderen gelungen, Wähler aus der Mitte zu mobilisieren. Momentan erreicht die SPD nicht mal mehr ihre Kernklientel. Sie verliert Wahl um Wahl. Die Auseinandersetzungen in der SPD lassen viele nicht mehr erkennen, wofür diese Partei steht. Wenn man die Menschen derart verunsichert, wie es Teile der SPD seit Langem machen, kann man nicht mit Wählerzuwachs rechnen.

Die SPD argumentiert, wer lebenslang gearbeitet hat, muss auch eine auskömmliche Rente haben. Sehen Sie das anders?

Man muss den Menschen wieder klarmachen, dass die Rente ein öffentliches Versicherungssystem ist. Was man rausbekommt, hängt vor allem von der Dauer und der Höhe der Einzahlungen ab. Die Rente ist nicht das Ergebnis einer Lebensleistung. Deshalb finde ich es auch irreführend, wenn die Koalition nun verspricht, eine Lebensleistungsrente einzuführen.

Was heißt das für die Kassiererin, die 40 Jahre oder länger gearbeitet hat? Soll die keinen Anspruch auf eine Rente oberhalb der Grundsicherung haben?

Möglicherweise nein. Bei vielen ist der falsche Eindruck entstanden, dass der Staat dafür sorgen muss, dass man eine anständige Rente bekommt, wenn man sein Leben lang arbeitet. Das ist eine Illusion. Wenn eine Kassiererin auf 450-Euro-Basis arbeitet und keine Rentenbeiträge zahlt, muss sie sich nicht wundern, wenn sie am Ende auch keine Rente, sondern Grundsicherung ausgezahlt bekommt.

Brauchen wir eine Rentenreform?

Ja, wir brauchen eine große Rentenreform. Ich nenne Ihnen drei Gründe: Die Lebenserwartung steigt und damit auch die Zeit, die man in der Rente verbringt. Der Arbeitsmarkt hat sich gravierend verändert: Es gibt immer mehr Menschen, die Teilzeit arbeiten und entsprechend weniger in die Rentenkasse einbezahlen, es gibt viele geringfügig Beschäftigte, der Niedriglohnsektor wächst. Und wir haben zunehmend Freiberufler, die nicht ausreichend abgesichert sind.

Was ist aus Ihrer Sicht zu tun?

Wir müssen sicherstellen, dass aus allen Erwerbseinkommen Rücklagen fürs Alter gebildet werden. Nicht nur normale Arbeitnehmer sollten ins gesetzliche Rentensystem einzahlen, sondern auch Beamte, Selbstständige und Minijobber. Zudem brauchen wir mehr Privatvorsorge. Wir müssen das ergänzende Vorsorgesparen verpflichtend für alle machen. Es war ein Fehler, das nicht schon bei der Einführung der Riester-Rente beschlossen zu haben.

Seit Jahren stagniert die Nachfrage nach Riester-Verträgen. Könnte das auch daran liegen, dass die Produkte überteuert sind?

Gebühren fallen auch für andere Finanzprodukte an. Es stimmt nicht, dass die Riester-Rente ein Riesengeschäft für die Branche ist. Im Gegenteil. Viele Anbieter steigen aus diesem Geschäft aus, weil andere Produkte für sie ertragreicher sind und weniger Aufwand verursachen.

Was halten Sie von der Idee, das Ganze über die gesetzliche Rentenversicherung zu Selbstkosten verwalten zu lassen?

Das haben wir damals im Gesetzgebungsverfahren geprüft. Aber die Rentenversicherung entschied sich dagegen. Der Grund war, dass sie sich dazu ohne Vertriebssystem nicht in der Lage sah. Ohne Verpflichtung hätten die Menschen ja von privater Zusatzvorsorge überzeugt werden müssen.

Ihre SPD-Kollegin Andrea Nahles beklagt, dass zu wenig Geringverdiener von der staatlichen Förderung profitieren – weil sie sich keine Riesterrente leisten können.

Wir haben bewusst ein Zulagensystem geschaffen, das diejenigen am stärksten unterstützt, die sich beim Sparen am schwersten tun. Nehmen Sie eine alleinerziehende Mutter, teilzeitbeschäftigt, mit zwei kleinen Kindern. Wenn die im Jahr 10.000 Euro verdient, muss sie pro Monat nur fünf Euro aufwenden, um die volle Förderung zu bekommen. Das kann sich jeder leisten. Aus 60 Euro Erspartem im Jahr werden mit der Förderung 814 Euro auf dem Konto.

Die ihr später auf die Grundsicherung angerechnet werden. Ist das, aus Geringverdiener-Sicht, nicht rausgeworfenes Geld?

Wer so argumentiert, muss Geringverdiener auffordern, auch nicht mehr in die Rentenversicherung einzuzahlen. Denn jeder Euro, den sie einmal als gesetzliche Rente erhalten, mindert ebenfalls die Grundsicherung. Mit der Existenzsicherung ist verbunden, dass eigene Einkünfte berücksichtigt werden. Wer davon abrücken will, stellt ein Grundprinzip infrage. Dann müsste man konsequenterweise auch die gesetzliche Rente nicht mehr anrechnen. Und private Ersparnisse auch nicht mehr. Dann wäre man bei einem bedarfsunabhängigen Grundeinkommen.

Für Geringverdiener wird die Riester- Rente dadurch nicht attraktiver.

Andrea Nahles könnte sich, wenn sie wollte, jederzeit die Zahlen geben lassen. Mehr als 25 Prozent der Zulagenempfänger haben im Jahr unter 10.000 Euro. Weitere 20 Prozent verdienen zwischen 10.000 und 20.000 Euro. Bei einem Jahreseinkommen bis zu 35.000 Euro – der gegenwärtige Verdienstdurchschnitt – sind es zwei Drittel der Leistungsempfänger. Wer da behauptet, Geringverdiener würden zu wenig von der Förderung profitieren, der plappert entweder irgendwas ungeprüft nach oder er informiert die Menschen bewusst falsch.

Die Gewerkschaften planen eine Kampagne mit dem Slogan „Rente muss für ein gutes Leben reichen“. Ist diese Forderung realistisch?

Nein. Die gesetzliche Rente allein hat für viele Menschen den Lebensstandard noch nie gesichert. Mit der geförderten Zusatzvorsorge habe ich ja auch versucht, diese Lüge aus der Welt zu räumen. Statt wieder damit anzufangen, müsste der DGB die Stärke haben, den Menschen zu sagen: Nehmt alle Möglichkeiten wahr, stärkere Rücklagen zu bilden. Über Steuern fließen jetzt schon jährlich 83 Milliarden ins System. Wie sollen wir es bei zunehmender Staatsverschuldung schaffen, das stark auszuweiten?

Man könnte auch die Beiträge stärker erhöhen, für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber ...

Man sollte nur versprechen, was sich umsetzen lässt. Wir haben uns damals massiv mit der Wirtschaft angelegt. Vielleicht massiver, als es sich mancher Gewerkschafter heute vorstellen kann.

Prognosen zufolge kommen Millionen künftiger Rentner im Alter kaum noch über die Grundsicherung. Untergräbt das nicht jedes Vertrauen in die gesetzliche Rente?

Ich habe erhebliche Zweifel, dass diese Analyse richtig ist. Und wenn sie es wäre, nützt es auch nichts, nur nach dem Staat zu rufen. Wissen Sie, was ich als Gewerkschafter machen würde? Ich würde versuchen, möglichst viele Beschäftigte in eine gute betriebliche Vorsorge zu bekommen. Man könnte auch überlegen, ob es richtig ist, alle Schichtzulagen sozialversicherungsfrei zu halten. Stellen Sie sich vor, was erreicht wäre, wenn wir 50 Prozent der Schichtzulagen in die betriebliche Altersvorsorge bekämen. Aber das zu fordern, traut sich keiner.

Hat die Finanzkrise gezeigt, dass die gesetzliche Rente besser ist als Privatvorsorge?

Nein. Um nicht missverstanden zu werden: Ich möchte auf keinen Fall, dass das Umlagesystem geschwächt wird. Aber man muss auch seine Grenzen erkennen. Anzunehmen, die sieben guten Jahre, die wir jetzt hatten, ließen sich auf Dauer fortschreiben, wäre naiv. In Krisensituationen sehen wir in vielen europäischen Staaten, dass die gesetzlichen Renten gekürzt werden. Was denken Sie, was los ist, wenn wir mal wieder einen wirtschaftlichen Einbruch haben.

Die gesetzliche Rente ist, anders als von Blüm behauptet, nicht sicher?

Kein System ist absolut sicher. Richtig ist, dass die Niedrigzinsphase die Sparer ganz erheblich trifft. Aber vor allem diejenigen, die kurz- und mittelfristig sparen. Wer über Jahrzehnte Altersvorsorge betreibt, erlebt Hoch- und Niedrigzinsphasen. Er ist am wenigsten betroffen.

Wie haben Sie denn selber vorgesorgt?

Eine Riester-Rente konnte ich nicht abschließen, weil Minister und Abgeordnete nicht gesetzlich rentenversichert sind. Aber ich habe 43 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt – und eigentlich immer den Höchstsatz. Erst als Fliesenleger im Akkord, dann in der Gewerkschaft, wo noch die betriebliche Altersvorsorge dazukam. Die Bezüge aus meinen vier Jahren als Minister werden damit natürlich verrechnet.

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