AfA-Chef Klaus Barthel zur SPD: "Unsere Lage ist dramatisch"
Miserable Umfragen verunsichern die SPD. Was die Arbeitnehmer in der Partei von Sigmar Gabriel erwarten, sagt der AfA-Chef im Tagesspiegel-Interview.
Herr Barthel, die SPD liegt in Umfragen nur noch bei 20 Prozent oder sogar darunter. Geht es jetzt ums Überleben?
Es hilft nichts, drumrum zu reden. Unsere Lage ist dramatisch.
In Europa sind manche sozialdemokratische Parteien von der Bildfläche verschwunden. Was lernen Sie daraus?
Es gibt in Europa tatsächlich warnende Beispiele. Aber es gibt auch Schwesterparteien in der EU, von denen wir lernen können. Ich denke an die Spanische Sozialistische Arbeiterpartei oder die britische Labour-Partei, die beide ein sehr klares linkes Profil haben.
Alle bescheinigen der SPD gute Arbeit in der großen Koalition, sie hat viel durchgesetzt. Warum danken es ihr die Wähler nicht?
Auf Dankbarkeit kann man sich in der Politik nicht verlassen. Die Leute wollen jetzt von uns wissen, wie es jetzt weitergeht. Die SPD hat sich auf den Weg gemacht, Fehlentwicklungen zu korrigieren, für die sie selbst verantwortlich war. Aber wir lassen noch zu viel Zweifel zu, ob wir das mit der Rückkehr der Gerechtigkeit ernst meinen. Die Menschen nehmen es uns noch nicht ab, dass wir wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt schaffen und die Sozialsysteme wirklich stabilisieren wollen. Das müssen wir erst noch beweisen.
Muss sich die SPD von der Reformpolitik Gerhard Schröders verabschieden, damit die Leute ihr wieder glauben?
Es war nicht alles Mist an Schröders Reformpolitik. Aber wir müssen sie glaubwürdig aufarbeiten und deutlich machen, dass wir heute klüger sind. Ein Beispiel: Wir müssen klar sagen, dass die 2001 beschlossene Riester-Rente nicht mehr funktioniert. Wir sollten sie wieder abschaffen.
Auf welchem Wert wollen Sie das Rentenniveau halten – und wie wollen Sie das bezahlen?
Wir müssen mindestens 50 Prozent Netto-Rentenniveau garantieren. Finanzieren können wir das im Wesentlichen durch Mittel, die wir nicht mehr zur Finanzierung der Riesterrente brauchen, indem wir die Mütterrente aus Steuermitteln bezahlen und indem wir schrittweise eine Demografiereserve aufbauen, wie das der DGB vorschlägt.
Sigmar Gabriel warnt seine Partei vor Steuererhöhungen. Zu Recht?
Ohne Steuererhöhungen geht es nicht. Wir brauchen eine Umverteilung der Steuerlast. Wir müssen die unteren Einkommen dadurch entlasten, dass der Spitzensteuersatz erhöht wird. Das stand im Wahlprogramm 2013, und das sollten wir auch wieder in unser Wahlprogramm 2017 übernehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeit nicht mehr höher besteuert wird als Kapitalerträge.
Was heißt das für den Spitzensteuersatz?
Wir wollen im Eingangsbereich, bei den unteren Einkommen, die steile Progression abflachen, also hier entlasten. Gegenfinanzieren kann man das durch eine entsprechende Erhöhung der Steuersätze bei den Spitzeneinkommen oberhalb von 100.000 Euro bei Alleinstehenden und 200.000 Euro bei Paaren.
Sigmar Gabriel hat auch das Projekt Vermögensteuer aufgegeben...
Die SPD muss an der Vermögensteuer festhalten. Wir brauchen sie auch, um Zukunftsinvestitionen zu finanzieren. Dabei geht es etwa um das Bildungssystem oder die öffentliche Infrastruktur. Der Reichtum der Vermögenden wächst weit schneller als die Einkommen aus Arbeit wachsen. Die Vermögenden müssen künftig stärker zum Gemeinwohl beitragen.
Das halten Sie im Wahljahr 2017 für besser durchsetzbar als im Wahljahr 2013?
Eines der Hauptargumente gegen Steueroasen war immer die Behauptung, dann würden Vermögende ihr Kapital eben ins Ausland schaffen und hier noch weniger Steuern bezahlen. Die „Panama Papers“ haben uns gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir im Kampf gegen Steueroasen und Briefkastenfirmen vorankommen. Daran müssen wir arbeiten.
Muss die SPD auch die Hartz-IV-Gesetze reformieren?
Wir brauchen ein massives Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Da ist in den vergangenen Jahren viel zu stark gekürzt worden. Wer arbeitslos wird, soll künftig länger als ein Jahr lang Arbeitslosengeld I beziehen und nicht gleich Hartz IV beziehen. Und wir brauchen ein höheres Schonvermögen.
"Wir müssen uns Rot-Rot-Grün offen halten."
Mit wem wollen Sie das durchsetzen – oder wollen Sie im Wahlkampf versprechen, wieder Juniorpartner der Union zu werden?
Bestimmt nicht. Die SPD muss endlich wieder den Anspruch erheben, den Kanzler zu stellen und die Regierung zu führen. Das ist der Dreh- und Angelpunkt.
Mit wem wollen Sie das Programm dann durchsetzen?
Es wäre tödlich, wenn wir uns im Wahlkampf als Juniorpartner der Union anpreisen würden. Als reine Funktionspartei machen wir uns überflüssig. Wir Sozialdemokraten sollten uns nicht die FDP zum Vorbild nehmen, die auch deshalb 2013 aus dem Bundestag geflogen ist, weil sie ihre Eigenständigkeit aufgegeben hatte.
Welche Alternative dazu gibt es denn?
Wir müssen uns Rot-Rot-Grün offen halten. Wenn wir geklärt haben, was wir als führende Regierungspartei verändern wollen, müssen wir sehen, mit wem wir das durchsetzen können. Linkspartei und Grüne müssen dann entscheiden, ob sie das mitmachen. Aber erst kommt die Debatte über Inhalte.
Ist es angesichts der Lage der SPD eigentlich in Ordnung, dass sich die Stellvertreter von Sigmar Gabriel und eine starke Ministerin wie Andrea Nahles selber einfach aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur nehmen?
Wir sollten jetzt keine Personaldiskussion führen. Wenn wir darüber reden, lenkt uns das nur von Wichtigerem ab, nämlich von der Frage, wo es programmatisch hingehen soll mit der SPD. Auf diese Antwort warten die Wähler.
Was muss Sigmar Gabriel tun, damit er als Parteichef wieder Glaubwürdigkeit zurückgewinnt?
Er muss dafür sorgen, dass wir schnell in die Programmdebatte einsteigen. Er muss klar machen, wofür er steht – und diese Position dann durchhalten. Es hilft nichts, alle 14 Tage ein neues Thema oder eine neue Zielgruppe zu präsentieren. Der Parteichef muss den sozialen Markenkern der SPD herausstellen und darf dabei nicht wackeln.