Krise in Spanien: Premier Rajoy droht das Aus
"Sie schaden dem Land": Spaniens Opposition dringt auf einen Rücktritt von Ministerpräsident Rajoy. Der könnte nun durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden.
Die Frage drängt sich auf: Schlittert nach Italien nun auch Spanien in eine Krise? Nach massiven Korruptionsvorwürfen gegen die konservative Regierung wackelt der Stuhl von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Es ist ungewiss, ob er am Freitag ein Misstrauensvotum im Parlament überstehen wird.
Verliert der Premier, hätte dies zunächst einen Regierungswechsel und mittelfristig wohl auch Neuwahlen zur Folge. Angesichts der schwierigen Lage wurde nicht ausgeschlossen wurde, dass Rajoy freiwillig seinen Hut nehmen wird.
„Treten Sie zurück“, hatte Spaniens sozialistischer Oppositionschef Pedro Sánchez am Donnerstag im Parlament Richtung Rajoy gerufen, der seit 2016 mit einem Minderheitskabinett regiert. „Sie schaden unserem Land. Wenn Sie im Amt bleiben, schwächen Sie die Demokratie.“
Strafen wegen Bestechlichkeit
Vergangene Woche hatte der Nationale Gerichtshof hohe Haftstrafen gegen 29 konservative Politiker und parteinahe Unternehmer wegen Bestechlichkeit verhängt. Die Richter waren zu dem Schluss gekommen, dass Rajoys Volkspartei Teil eines „wirkungsvollen Systems der institutionellen Korruption“ gewesen sei. Die Aussage des langjährigen Parteichefs Rajoy, von diesem Sumpf nichts gewusst zu haben, hatten die Richter als unglaubwürdig eingestuft.
Sozialistenchef Sánchez hatte daraufhin einen Misstrauensantrag gestellt. Sollte der 46-Jährige die Misstrauensabstimmung am heutigen Freitag gewinnen, würde er automatisch neuer Ministerpräsident werden. Sánchez kündigte an, dass er in diesem Falle Rajoys Haushaltsplan respektieren werde, „um die Regierbarkeit des Landes zu garantieren“. Zu einem späteren Zeitpunkt will Sánchez vorzeitige Neuwahlen ansetzen.
Damit sein Misstrauensantrag erfolgreich ist, muss Sánchez die absolute Mehrheit der Abgeordneten gewinnen. Im Parlament liegt die absolute Mehrheit bei 176 Stimmen. Am Donnerstag wusste Sánchez die sozialistische Fraktion und die linksalternative Protestpartei Podemos hinter sich. Damit kommt er auf insgesamt 156 Stimmen.
Den Ausschlag bei dieser Abstimmung werden vermutlich die kleinen nationalistischen Parteien aus dem Baskenland und aus Katalonien geben, die nicht abgeneigt scheinen, Sánchez zu unterstützen. Der bot den katalanischen Parteien, die mehr regionale Autonomie und ein Unabhängigkeitsreferendum fordern, einen Dialog an und versprach, „die zerstörten Brücken mit Katalonien wieder aufzubauen“.
Ausreichende Mehrheit für Misstrauensantrag nicht sicher
Rajoys Minderheitsregierung konnte bisher mit Hilfe der 32 liberalen Abgeordnete der bürgerlichen Partei Ciudadanos rechnen, um ihre Abstimmungsmehrheit im Parlament zu sichern. Doch nach dem Gerichtsurteil gingen auch die Liberalen auf Distanz zum Premier. „Die Korruption der Volkspartei hat diese Legislaturperiode liquidiert“, sagte CiudadanosSprecher José Manuel Villegas.
Doch für Sánchez Misstrauensantrag wollen die Liberalen trotzdem nicht stimmen. Sie fordern stattdessen sofortige Neuwahlen. Dies vor allem, weil sie dann mit einem kräftigen Stimmenzuwachs rechnen können. Nach allen Umfragen befindete sich Ciudadanos im Aufwind und könnte in der Wählergunst die Sozialisten und sogar Rajoys Konservative überholen.
Die Liberalen kündigten daher an, dass sie im Falle eines Scheiterns des Misstrauensantrags mit allen anderen Oppositionsparteien Neuwahlen aushandeln wollen. Einen ähnlichen Plan hat auch die Protestbewegung Podemos. Die Chancen Rajoys, im Amt zu bleiben, sind somit also eher gering, zumal seine Partei in einem historischen Umfragetief steckt.
Provisorisch weiter im Amt?
Es gilt von daher als möglich, dass der 63-jährige Konservative in letzter Sekunde noch freiwillig das Handtuch werfen wird. Damit könnte Rajoy zumindest Zeit gewinnen. Im Falle eines Rücktritts gäbe es keine Neuwahl, sondern Rajoys Regierung würde solange provisorisch im Amt bleiben, bis sich das aktuelle und ziemlich zersplitterte Parlament auf einen neuen Regierungschef geeinigt hat.
Das kann dauern. Beim letzten Mal brauchten die Abgeordneten volle 315 Tage, bis sie eine Mehrheit für eine neue Regierung zusammen hatten. An deren Spitze stand dann Rajoy.