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Ein Demonstrant während der Demonstration gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung am 1. August in Berlin. Zu dem Protest aufgerufen hatte die Stuttgarter Gruppierung "Querdenken 711".
© Annette Riedl/picture alliance/dpa

Verbot des „Querdenker“-Protests: Warum die Demo gegen die Coronamaßnahmen in Berlin nicht verboten werden sollte

Das Demonstrationsrecht gilt auch für Rechte und Verschwörungsgläubige. Man sollte sie machen lassen - unter schärfsten Auflagen. Ein Kommentar.

Es gibt ein Recht auf schlechte Laune, eines auf Dummheit, eines auf Vergessen. Es gibt das Recht, Unsinn zu brabbeln oder zu skandieren, für etwas zu trommeln, zu werben und auf die Straße zu gehen. Tun dies Menschen gemeinsam, so nennen wir es eine Demonstration. Das mag mitunter lästig sein und den Verkehr behindern, vor allem aber ist es herrlich und wundervoll.

Deutschland hat eine der liberalsten Verfassungen der Welt, ein ausgeklügeltes System an Abwehrrechten gegen staatliche Eingriffe, und dazu Verfassungsgerichte, die diese Freiheiten verteidigen, wieder und wieder.

Stolz auf diese riesige Zivilisationsleistung ist durchaus angebracht. Das Versammlungsrecht ist für die Demokratie so wichtig wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, hier wird der Diskurs gestaltet, finden sich Gleichgesinnte, bilden sich Mehrheiten, kollidieren Weltanschauungen.

Der Ausbruch der Corona-Pandemie führte zeitweise zur extremen Beschränkung dieses Rechts, doch je länger die Pandemie andauert und je mehr die Gesellschaft mit Corona leben lernen muss, desto schwieriger wird es, Demonstrationen zu verbieten.

Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem Fall in Hessen klar gemacht; dabei ging es allerdings nur um wenige Teilnehmer.

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Heikel wird es am kommenden Wochenende in Berlin. Zehntausende wollen sich versammeln, um gegen die Coronapolitik der Bundesregierung zu protestieren. Für die Demonstration mobilisieren auch Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten.

Vermutlich werden die Demonstranten die nötigen Abstände nicht einhalten und auch keinen Mundschutz tragen wie schon bei der Großdemonstration am 1. August. Schließlich ist Corona in ihrem Weltbild keine echte Bedrohung.

Die Versammlungsbehörde hat die Demonstration nun verboten, und zwar komplett. Geplant war ein regelrechter Demo-Marathon über mehrere Tage mit Blockade der Straße des 17. Juni bis zum 14. September. Es wurden Busse gechartert, Teilnehmer wollen aus ganz Deutschland anreisen.

Man kann davon ausgehen, dass Andreas Geisel die Versammlungsbehörde entsprechend angewiesen hat

Innensenator Andreas Geisel (SPD) begrüßte das Verbot – es kann davon ausgegangen werden, dass er selbst die Versammlungsbehörde entsprechend angewiesen hat – und begründete das mit der Abwägung zweier Grundrechte: Versammlungsfreiheit gegen Lebensschutz. Das entspricht einer Wertung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai in einem Brandenburger Fall. Danach ist der Staat zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit seiner Bürger angehalten, und das grundsätzliche Versammlungsverbot aus der Infektionsschutzverordnung diene diesem Zweck.

Andreas Geisel (SPD), Berliner Innensenator, besucht die Polizeiakademie. Der Senator informiert sich über die aktuelle Ausbildungssituation.
Andreas Geisel (SPD), Berliner Innensenator, besucht die Polizeiakademie. Der Senator informiert sich über die aktuelle Ausbildungssituation.
© Britta Pedersen/dpa

Angesichts der zu erwartenden großen Teilnehmerzahl von mehreren 10.000 Teilnehmern in Berlin – im Mai in Brandenburg sollten es 975 Teilnehmer sein – reiche die Annahme, dass Hygieneregeln verletzt würden, schon aus.

In Berlin enthält die Infektionsschutzverordnung kein Demonstrationsverbot. Rechtlich wird es deshalb schwierig

In Berlin ist die Lage jedoch anders: Die Infektionsschutzverordnung enthält kein Demonstrationsverbot, im Gegenteil, Demonstrationen sind dort ohne Beschränkung der Teilnehmerzahl erlaubt. Ein Verbot der Demo wegen Gefahr für die öffentliche Sicherheit müsste sich auf eine andere Rechtsnorm stützen, die verletzt würde – das will gut begründet sein.

Wenn sich Geisel insoweit darauf stützt, man wolle „Corona-Leugnern und Rechtsextremisten“ nicht erneut erlauben, die Stadt „als Bühne“ zu „missbrauchen“ wie am 1. August geschehen, dann ist das politisch argumentiert – und dürfte juristisch kaum zu halten sein.

Es ist damit zu rechnen, dass die unangenehmen Zeitgenossen trotzdem kommen, dass sie ihre Zusammenkünfte notfalls als „Spontandemo“ ausgeben, dass sie Wege finden werden, sich als Opfer freiheitsbeschränkender Maßnahmen darzustellen und den Staat als unfreiheitlich.

Das Demonstrationsrecht gilt auch für Rechte, für Verrückte, für Verschwörungsmythiker. Man sollte sie einfach machen lassen – unter schärfsten Auflagen. Bei Verletzung der Auflagen sollte die Polizei allerdings sofort aktiv werden und die Versammlung auflösen.

Fatina Keilani

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