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Es ist angerichtet. Der rote Teppich ist ausgerollt. Die Filmfestspiele können beginnen.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Start der Berlinale: Politisch, was sonst?

Die Berlinale hat sich oft explizit gesellschaftskritisch gegeben. Das ist in diesem Jahr anders: Sie ist es automatisch. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andreas Busche

Das Jahr ist noch jung, fühlt sich aber schon ziemlich gebraucht an. Disruptionen überall. In den USA regiert ein Rechtspopulist auf Konfrontationskurs, bei unseren Nachbarn stehen Wahlen an, deren Ausgang das fragile Konstrukt Europa auf die Probe stellen könnte. In Berlin hat man auf den Anschlag vom Breitscheidplatz zwar mit bewundernswerter Ruhe reagiert. Doch ist die Selbstverständlichkeit, mit der wir bisher unsere persönlichen Freiheiten genossen haben, der Sorge gewichen, dass die Sicherheit künftig einen hohen Preis fordert.

Vielleicht kommt die Berlinale gerade zur rechten Zeit. Für die einen ist das Festival mit dem Wettbewerb und seinen speziellen Sektionen eine routinierte Ablenkung, für andere die gesellschaftliche Instanz mit einer feinen Sensorik für aktuelle Themen. In dieser Rolle hat Festivalchef Dieter Kosslick die Berlinale gegenüber der Konkurrenz von Cannes und Venedig positioniert.

Filmfestivals stehen in einem Spannungsfeld unterschiedlichster Interessen zwischen Politik, Wirtschaft, Öffentlichkeit und, nicht zu vergessen, der Filmkunst. Die Berlinale begreift sich gerne als Forum, das die große Weltpolitik ventiliert. Es ist dem Festival hoch anzurechnen, dass im vergangenen Jahr der Dokumentarfilm „Seefeuer“ über die Flüchtlingssituation auf der Mittelmeerinsel Lampedusa mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Im Nachhall von Angela Merkels „Wir schaffen das“ war der Preis ein wichtiges Statement, auch wenn man mit der Machart des Films nicht einverstanden sein musste.

Bei der Berlinale blickt die Filmkunst auf die Realität

Kosslicks Vorgabe lautete immer: Die Berlinale ist keine Blase, sondern ein Fenster in die Realität. Das irritiert diejenigen, die die Qualität eines Festivals in erster Linie an der Zahl berühmter Gäste festmachen. Dennoch wurde die Tendenz der Berlinale, das ständig wachsende Programm in eine Litfaßsäule für gesellschaftspolitische Themen zu verwandeln, in den vergangenen Jahren auch zu Recht kritisiert.

Ein Filmfestival muss an der Qualität seiner Filme gemessen werden, nicht an seinem sozialen Engagement. Dass Filme eine Wahrhaftigkeit gegenüber Milieus, zwischenmenschlichen Beziehungen, den Widersprüchen des Alltags, kurz: der gesellschaftlichen Wirklichkeit für sich in Anspruch nehmen sollten, versteht sich von selbst. Jury-Präsident Paul Verhoeven vertritt im heutigen Tagesspiegel-Interview eine klare Position: „Kino, das sich zum Instrument der Politik machen lässt, halte ich für unglaubwürdig.“

In diesem Jahr scheint nun alles anders. Es fällt auf, dass Dieter Kosslick bisher davon abgesehen hat, die Berlinale zur großen politischen Bühne zu erklären. Auf seiner obligatorischen Pressekonferenz hielt er sich mit Interpretationsversuchen zurück, das vielfältige Programm nach tagesaktuellen Schlagzeilen zu ordnen oder Filme für gefällige Botschaften zu vereinnahmen. Stattdessen: „Unser Programm ist Protest genug!“

Man wird sehen. Vielleicht erzählt Oven Movermans Kammerspiel „The Dinner“ ja tatsächlich mehr über Amerikas Verhältnis zur Gewalt als ein Dokumentarfilm über die neue Alt-Right-Bewegung. Und möglicherweise steckt unter der Oberfläche von Agnieszka Hollands anarchischer Provinz-Komödie „Pokot“ eine kluge Reflexion über die polnischen Verhältnisse.

Der Verzicht auf eine offizielle Programmatik kommt den Filmen zugute, die sich, wie jede gute Kunst, an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen müssen. Und vielleicht sind die gesellschaftlichen Diskurse, die sich aus den unsichtbaren Verbindungen zwischen einzelnen Filmen ergeben, viel komplexer, als es ein politisches Motto je sein könnte.

Es ist ja nicht so, dass man das Kino in Zeiten wie diesen erst mit Bedeutung aufladen müsste. Ein Film, der heute in China, in Polen oder im Iran entsteht – und zunehmend in den USA –, ist per se politisch. Das wäre dann auch für die Filmkunst eine gute Nachricht.

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