Diskussion über Datenhandel: Politiker sind auch "nackt im Netz"
Millionen Deutsche werden von Internetfirmen ausgespäht - ihre Daten können zu den Personen zurückverfolgt werden. Betroffene Politiker und die Bundesdatenschutzbeauftragte diskutieren nun die Folgen.
Was immer Menschen im Internet tun, zeigt, wer sie sind: Einkaufen, Bank-Geschäfte, Reiseplanung, Porno - und je nach Nutzerverhalten jede Menge Privates. Jeder Schritt im Netz wird aufgezeichnet und ausgewertet. Das ist ein Milliardengeschäft für Firmen, die mit den gesammelten Daten handeln.. Angeblich geschieht das ausschließlich anonymisiert: Die Daten ließen sich auf keinen Fall einzelnen Personen zuordnen, heißt es. Doch Recherchen des NDR zeigten nun, wie einfach sich diese Daten konkreten Personen zuordnen lassen und wie umfangreich sie intime Details aus dem Leben der Nutzer preisgeben.
Wenn persönliche Daten an die Öffentlichkeit gelangen, können Menschen erpressbar werden. Um 21.45 Uhr sprechen Politiker in der ARD-Sendung Panorama über die aktuellen Enthüllungen. Die Browser-Daten zeigen die Reiseverläufe der Politiker, geben Hinweise auf ihre Steuerdaten und lassen Einblicke in ihre politische Arbeit zu.
Auch wenn neben den Politikern auch Journalisten, Beamte und viele Privatpersonen betroffen sind und demnach ein gezieltes Ausspähen von Politikern im aktuellen Fall unwahrscheinlich scheint, sind die Abgeordneten offenkundig geschockt: Die Fraktionen von SPD und CDU im Bundestag wollen sich in der nächsten Sitzung des Digitalausschusses am kommenden Mittwoch die Einschätzung des Falles durch den Innenminister erklären lassen. Lars Klingbeil, selbst persönlich betroffener netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte "Spiegel online": "Das Innenministerium muss darlegen, ob hier eine Rechtslücke oder lediglich ein Durchsetzungsproblem besteht. Wir müssen die zuständigen Behörden personell so ausstatten, dass sie Verdachtsmomenten und Hinweisen schnell nachgehen können. Wir brauchen hier eine Antwort des Innenministeriums auf die Frage, ob dies zur Zeit gewährleistet ist."
Wissen über Privates macht Menschen erpressbar
Valerie Wilms, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Pinneberg in Schleswig-Holstein, sagt: "Natürlich kann es schaden. Man wird damit durchaus erpressbar." Sie fühle sich "nackt demjenigen gegenüber, der die Daten hat", sagt Wilms. Die Daten von CDU-Kanzleramts-Staatsminister Helge Braun sind über den Rechner eines Mitarbeiters in den Datenhandel gelangt. Betroffen ist auch Lars Klingbeil, der netzpolitische Sprecher der SPD aus Niedersachsen.
Im Datensatz finden sich die Namen weiterer Politiker aus ganz Deutschland: Der Mecklenburger Frank Junge (SPD), im Finanzausschuss für den Haushalt der Bundesrepublik verantwortlich. Oder Waltraud Wolff aus Sachsen-Anhalt, die im Fraktionsvorstand der SPD ist und die Brandenburger Abgeordnete Annalena Baerbock (Grüne), Mitglied im Wirtschaftsausschuss. Der Europaparlamentarier Martin Häusling, ebenfalls von den Datensammlern bloßgestellt, reagiert geschockt: "Aus sowas kann ja jeder ablesen, an was ich arbeite, wo ich selber Recherchen mache, mit wem ich mich treffe."
Die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Andrea Voßhoff, hat die Deutschen angesichts des vom NDR aufgedeckten Datenhandels zu mehr Sensibilität im Umgang mit ihren Daten aufgefordert: "Ich denke nicht, dass die Deutschen zu sorglos sind. Viele Menschen wissen aber nicht, welche Daten bei der Nutzung des Internets entstehen, erfasst, analysiert und ausgewertet werden. Daher fehlen vielfach die Kenntnis und damit das Bewusstsein für die Risiken", sagte Voßhoff dem Tagesspiegel. Für manche Dienstleistungen im Netz gebe es aber auch keine datenschutzfreundlichen Alternativen - so dass viele Nutzer vor der Frage stünden, entweder das Angebot zu nutzen oder komplett auf die Dienstleistung zu verzichten.
CDU: "Datensparsamkeit gefährdet unseren Wohlstand"
Die stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Nadine Schön (CDU) warnte vor einer „Daten sind der Rohstoff der Zukunft. Das ist kein Allgemeinplatz, sondern Fakt. Wer Datensparsamkeit predigt, riskiert nicht nur wirtschaftlichen Stillstand und gefährdet damit unseren Wohlstand, sondern er verhindert auch neue Entwicklungen zum Wohle der Menschen“, sagte sie dem "Handelsblatt". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte vor kurzem in einer Rede zum Tag der Deutschen Industrie die Datensparsamkeit infrage gestellt: „Wir müssen auch eine gesellschaftliche Debatte darüber führen, dass Daten der Rohstoff der Zukunft sind und dass das uns einst vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Prinzip der Datensparsamkeit nicht mehr zur heutigen Wertschöpfung passt.“
Voßhoff, ebenfalls CDU-Politikerin, hält dagegen: Personenbezogene Daten dürften in der digitalen Welt nicht nur als das „Öl des 21. Jahrhunderts“ angesehen werden: "Diese Daten sind auch Ausdruck unseres Persönlichkeitsrechts und damit ein gesellschaftlicher Wert an sich, den es zu schützen gilt," sagte Voßhoff.
Browser-Add-Ons zeichnen jede Bewegung ihrer Benutzer im Internet auf
Für die Recherche hatten die Journalisten zum Schein eine eigene Firma zum Handel mit Daten gegründet. Dieser Firma bot ein Zwischenhändler einen kostenlosen „Probedatensatz" an, der laut NDR „alle im August aufgerufenen Webseiten von rund drei Millionen Nutzern" und insgesamt mehr als drei Milliarden Einträge zu zehn Milliarden Web-Adressen enthält – das entspricht rund einem Prozent des deutschen Internet-Verkehrs.
Anscheinend wurden die Daten über Browser-Erweiterungen, sogenannte Add-Ons, erhoben. Die Recherchen des NDR konnten das Browser-Add-On "Web of Trust" als Datenleck ausmachen. Einmal installiert, übermittelte die Erweiterung im Hintergrund alle Daten an einen Server, wo die Daten zu Nutzerprofilen gebündelt und anschließend verkauft wurden.
WOT hat seine Datenschutzbestimmungen jetzt aktuell erneuert und beschreibt seine Datensammlung nun genauer als noch vor einigen Tagen. Auf Nachfrage der "FAZ" hat die Mozilla-Stiftung als Anbieter des Firefox-Browsers das Add-on inzwischen gelöscht worden - das heißt, dass es nicht mehr heruntergeladen und in den Browser eingebaut werden kann. (Tsp, cwe)