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Wer im Internet surft, hinterlässt eine Datenspur.
© dpa

Handel mit Daten: Millionen Internetnutzer ausgespäht

Der Handel mit Nutzerdaten ist ein Milliardengeschäft. Eine NDR-Recherche zeigt jedoch, dass diese sensiblen Informationen oft nicht so anonymisiert sind, wie es die Firmen behaupten.

Von Carsten Werner

Dass jeder Internetnutzer Datenspuren produziert und hinterlässt, die von Tracking-Programmen verfolgt und analysiert werden, ist längst bekannt: Mit vielen Apps für Smartphones, Browser-Erweiterungen (Add-ons) und Programmen auf Webseiten können so Werbung, Nachrichten und andere automatische Einblendungen und Vorschläge persönlichen Vorlieben angepasst oder auch ausgeschaltet werden, sensible Daten besonders geschützt oder die Vielfalt an Benutzernamen und Passwörtern bequem verwaltet werden.

Auch dass diese Daten für viel Geld gehandelt werden, damit Firmen Trends und Vorlieben, Kommunikations- und Surfmuster erkennen und analysieren können, ist nicht neu. NDR-Reportern ist es jetzt aber gelungen, aus solchen – angeblich anonymisierten – Datenpaketen sehr detaillierte Nutzerprofile zu rekonstruieren. Aus Daten, Uhrzeiten, Internetadressen und dem dokumentierten Verhalten im Internet mit teilweise geheimen, sensiblen und intimen persönlichen Informationen und Dokumenten konnten sie über 50 konkrete Nutzer identifizieren.

Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, sprach im RBB von einem „Super-GAU für Internetnutzer".

"Probedatensatz" enthält 1 Prozent des deutschen Internet-Verkehrs

Für die Recherche gründeten die Journalisten zum Schein eine eigene Firma zum Handel mit Daten. Dieser Firma bot ein Zwischenhändler einen kostenlosen „Probedatensatz" an, der laut NDR „alle im August aufgerufenen Webseiten von rund drei Millionen Nutzern" und insgesamt mehr als drei Milliarden Einträge zu zehn Milliarden Web-Adressen enthält – das entspricht rund einem Prozent des deutschen Internet-Verkehrs.

Woher die Daten ursprünglich stammen, blieb zunächst unklar. In den Recherchen des NDR fiel aber beispielsweise eine beliebte Browser-Erweiterung der Firma „Web of Trust" auf, die Nutzern verspricht, besonders sicher zu surfen - indem sie die Zuverlässigkeit von Webseiten prüft und bewertet. Nach Angaben der Firma wurde die Erweiterung weltweit 100 Millionen mal geladen. Das Programm ordnet regelmäßig einer Nutzerkennung alle beim Surfen, Einkaufen oder Kommunizieren im Netz aufgerufenen Adressen zu und speichert dieses Profil. Die Datenbündel werden – angeblich anonymisiert – verkauft.

Über ein Add-on von "Web of Trust" sollen Daten von Millionen Nutzern aufgezeichnet worden sein.
Über ein Add-on von "Web of Trust" sollen Daten von Millionen Nutzern aufgezeichnet worden sein.
© www.mywot.com

Intime Details, Geschäftszahlen und Tagesabläufe waren einsehbar

Einem Manager aus Hamburg konnten die Reporter jedoch über Links zu einem Online-Speicherdienst Architektenzeichnungen, Bankunterlagen und Lohnabrechnungen zu seinem Hausbau, Hinweise auf das Bonus-System des Arbeitgebers und eine Ablichtung seines Personalausweises zuordnen. Aus aufgerufenen Internetseiten ließ sich auch interpretieren, dass er mit seiner Frau bald Nachwuchs erwartet.

Von anderen Personen wurden Reisen und Einkäufe, Krankheiten, sexuelle Vorlieben, Nicknames und Passwörter eingesehen – wie auch die Umsatzzahlen eines Medienhauses und Ermittlungen eines Polizisten.

Dem Journalisten und Digital-Experten Dirk von Gehlen von der „Süddeutschen Zeitung" legten die Reporter seine Browser-Verläufe aus dem August vor. Er zeigte sich schockiert über sein „eigenes Tagebuch" und sagte dem NDR: „Hier findet man Anknüpfungspunkte, über die man mich einschüchtern könnte, wenn ich schlecht drauf bin."

Kriminelle könnten das erlangte Wissen vielfältig nutzen

Aus der Kombination von Informationen lassen sich auch Lebensgewohnheiten, Beziehungen und Bewegungsprofile rekonstruieren.

Mit gestohlenen Identitäten können Kriminelle kommunizieren und wirtschaftlich agieren. Gerade Personen des öffentlichen Lebens – auch Politiker, Polizisten, Richter, Staatsanwälte sind unter den Identifizierten – könnten mit persönlichsten Daten auch erpresst werden.

Datenschützer und Netzpolitiker warnen seit langem, dass bestehende Gesetze zum Datenschutz bezüglich der Anonymisierung und der Löschung von Daten unzureichend beachtet und kontrolliert werden. Auch der Handel mit Daten bis hin zur Preisgestaltung gilt als undurchsichtig – nicht zuletzt auch für die, die sie liefern: Alle Internet-Nutzer.

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