Kampf gegen die Abhängigkeit: Politiker halten wenig von höheren Alkoholpreisen
Vorbild Schottland? Mit rigider Preispolitik versucht man dort, den Alkoholkonsum zu verringern. Doch hierzulande sind die Politiker skeptisch.
Im Kleinen hat die Methode hierzulande schon mal funktioniert. Mit einer happigen Sondersteuer machte die Politik den sogenannten Alkopops vor gut zehn Jahren den Garaus. Für die Jugendlichen als Hauptkonsumenten waren die beliebten zuckersüßen Getränke auf der Basis von Rum oder Wodka binnen kürzester Zeit wieder out. Sie konnten oder wollten sich die teuer gewordenen Schnapscocktails schlicht nicht mehr leisten. Das Zeug verschwand vom Markt. Dummerweise griffen die Pubertierenden deshalb aber nicht seltener zum Alkohol. Im Gegenteil. Das hochgefährliche Koma-Saufen kam danach erst richtig in Mode.
Nun wird in Deutschland wieder über einen von oben verordneten Preisanstieg für Alkohol debattiert – und zwar nicht nur für bestimmte Produkte, sondern für alles Höherprozentige. Auslöser dafür ist eine Neuregelung in Schottland, wo es seit dem 1. Mai eine Preisuntergrenze für alkoholische Getränke gibt. Seither dürfen dort zehn Milliliter reiner Alkohol nicht weniger als 50 Pence (umgerechnet 57 Cent) kosten. Das bedeutet, dass Spirituosen im Handel schlagartig um 40 Prozent, Wein um 50 und Bier gar um 70 Prozent teurer geworden ist. Nach jahrelangem Kampf mit der Spirituosenindustrie versuchen die Schotten nun auf diese brachiale Weise, dem hohen Alkoholkonsum in ihrem Land beizukommen.
Mehr als zwölf Liter pro Einwohner
Deutschland hat ein ganz ähnliches Problem. Mit rechnerisch 10,7 Litern Alkohol jedes über 15-Jährigen pro Jahr ist der Verbrauch durchaus vergleichbar.
Laut Drogenbericht zählt Deutschland trotz rückläufigen Alkoholkonsums im weltweiten Vergleich zu den Hochkonsumländern, international liegt der Durchschnitt gerade mal bei rund sechs Litern. Die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkonsums hierzulande werden auf 26 bis 40 Milliarden Euro geschätzt.
Suchtexperte: Alkohol in Deutschland ist zu billig
Beifall für die schottische Regelung kommt von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Ihr Geschäftsführer Raphael Gaßmann betont, dass der Alkoholkonsum vor allem durch drei Faktoren beeinflusst wird: den Preis, die Verfügbarkeit und die Werbung. Es sei nachgewiesen, dass „insgesamt umso mehr Alkohol getrunken wird, je niedriger sein Preis ist“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Wer den Alkoholkonsum reduzieren wolle, müsse "dafür sorgen, dass die in Deutschland unverhältnismäßig niedrigen Preise für alkoholische Getränke angehoben werden".
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, findet zwar, dass bei der Verringerung der Zahl von Alkoholkranken „nicht nur die Politik gefragt“ sei. Doch auch die CSU-Politikerin sieht ein Problem darin, dass in vielen Supermärkten Alkoholika zum Discountpreis angeboten werden. Mit Genuss habe das nichts mehr zu tun, findet sie. Es gehe offenbar nur darum, jüngere Menschen mit wenig Einkommen auf diese Weise zum „Saufen“ zu animieren.
Lauterbach: Kein Beleg für weniger Alkoholkonsum durch Mindestpreise
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält sich aus der Debatte heraus, er mag sich nicht zu den Forderungen nach höheren Alkoholpreisen äußern. Sein Regierungskompagnon, der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, dagegen findet klare Worte. Es sei keineswegs erwiesen, dass sich der Alkoholkonsum in der Breite durch verordnete Mindestpreise verringern lasse, sagte er dem Tagesspiegel. Zudem sei die Zahl der Alkoholtoten im Land weit geringer als die aufgrund von Tabakkonsum.
Stattdessen regt Lauterbach an, sich stärker um Alkoholkranke zu kümmern und ihre Krankheit zu enttabuisieren. Die Gefahren durch Alkoholkonsum würden nach wie vor unterschätzt, sagte er. Gleichzeitig empfahl der SPD-Politiker pragmatische Maßnahmen. So sei darauf zu verzichten, an Supermarktkassen Alkohol in Kleinstmengen zu offerieren. Die „Flachmänner“, die dort oft angeboten würden, verlockten vor allem Alkoholkranke und Jugendliche zum Kauf.
Auch Krankenkassen sind skeptisch
Selbst bei den Krankenversicherern, die für die Folgekosten von Alkoholabhängigkeit aufzukommen haben, herrscht Skepsis. Einzig der AOK-Suchtexperte Kai Kolpatzik äußert Sympathie gegenüber höheren Alkoholpreisen. Bei der Techniker-Krankenkasse wollen sie dazu nichts sagen. Und die Barmer gibt sich ebenfalls zurückhaltend. Finanzielle Sanktionen seien „kein Allheilmittel“, selltt Vorstandschef Christoph Straub klar. Wenn man schon regulieren wolle, dann sei eher daran zu denken, das Mindestalter für Alkoholkonsum europaweit auf 18 Jahre zu erhöhen.