Alkoholfreie Getränkebegleitung: Es muss nicht immer Wein sein
Noch ist Alkohol die selbstverständliche Begleitung zum Menü. Dabei gibt es vielversprechende Alternativen - selbst zu Wasser und Saft. Drei Wege zu einer neuen Art des Speise-Getränke-Pairings
Es gibt gute Gründe, Speisen mit Wein zu begleiten: Kein anderes Getränk bietet eine vergleichbare aromatische Vielfalt von opulenter Süße bis bissiger Säure, von fast salziger Mineralität bis zu ausdrucksstarken Fruchtaromen und gereiften Petrolnoten. Dazu kommen noch Unterschiede im Mundgefühl von cremiger Sattheit bis zu pelziger Tanninattacke - ganz zu schweigen von dem Segen eines alles vermählenden Schmelzes durch den Alkohol, der obendrein eine mild euphorisierende Wirkung entfaltet, die schon manches nur fast gutes Menü gerettet hat.
Wein passt immer. Und dass zu jedem Gang ein anderer Wein serviert werden muss, ist nicht nur in der Spitzengastronomie ein Ritual, das schon lange nicht mehr infrage gestellt wird. Dem Sommelier obliegt die Aufgabe, die passenden Weine zu den Gerichten auszuwählen, durch ihn wird das Kombinieren zur Kunstform, zum unterhaltsamen Spektakel. Seine eloquenten Erklärungen, woher, wohin und wieso sind fester Bestandteil des Gourmet-Rituals, das wir alle so lieben. Manch ein Sommelier wagt, über den Weinhorizont hinauszuschauen, serviert mal Sake zu Fermentiertem, Craft-Bier zu gepoppter Schweinehaut oder gönnt sich den Luxus, die „Champagner passt immer“-Karte zu ziehen, mit der Gewissheit, dass sich niemand beschwert, wenn das mal nicht bis in die letzte Nuance harmoniert.
Wein aber bleibt die Königsdisziplin. Und auch, wenn alternative Getränkebegleitungsstile sich allmählich Bahn brechen, so bleibt doch: Alkohol ist immer dabei. Was gäbe es da sonst - Wasser? Zu langweilig. Säfte? Zu eindimensional zwischen Süß und Sauer. Tee? Ach, lassen wir das. Noch stehen wir am Anfang, die klassische Menübegleitung zu hinterfragen. Und falls ein Gast doch mal vermelden lässt: „Bitte keinen Alkohol“, legt sich der Sommelier wieder schlafen. Säfte, Wasser oder gar Limonaden sollen andere servieren. Aber gibt es denn wirklich keine Alternative auf höchstem Genussniveau, wenn kein Wein, kein Bier, kein Champagner und kein Sake serviert werden darf? Wenn man einmal hinterfragt, warum man nach jedem ausgiebigen Menü Lust hätte, das Restaurant auf allen Vieren zu verlassen? Oder man schlichtweg keinen Alkohol ausschenken darf?
So erging es Christian Singer, Küchenchef und Statthalter Tim Raues im gerade eröffneten Restaurant „Dragonfly“ in Dubai. „Als uns klar wurde, dass wir ein Restaurant ohne Alkohollizenz eröffnen werden, mussten wir uns eine interessante und qualitativ hochwertige Alternative zur Weinbegleitung überlegen. Daraus sind dann unsere Jines - angelehnt an Juice und Wine - entstanden: eine alkoholfreie Getränkebegleitung zum Großteil auf Basis von Säften, die individuell auf jedes Gericht abgestimmt sind.“ Die Vorgehensweise ergab sich daraus, dass es zuerst die Gerichte gab, teils bewährte Klassiker aus dem Raue-Universum, teils Neukreationen, aber alle dem Raueschen Motto folgend: „japanische Produktfertigkeit, thailändische Aromatik und chinesische Küchenphilosophie“, also ausdrucksstarke Kreationen, die eine ebenso kraftstrotzende Begleitung vertragen. Aber, anders als sonst, war deren Auswahl nicht mehr allein Aufgabe des Sommeliers: Die Weinexperten konnten zwar vorgeben, welche Aromen mit der Speise harmonieren würden, aber letztlich mussten Küche und Weinexperten zusammen probieren und testen, bis ein perfektes Pairing gefunden war. Bei dem Raue-Klassiker Peking-Ente zum Beispiel ist das nun ein Mix aus Pflaumensaft, Tamarinde und Madagaskar-Pfeffer. Und zum Steinbutt mit zehn Jahre alter Kamebishi-Sojasauce werden Gurken- und Selleriesaft mit Yuzu serviert - immer in speziell designten Weinflaschen abgefüllt, verkorkt und dann sowohl flaschen- als auch glasweise ausgeschenkt. Das Prinzip des „Dragonfly“ ist klar: Alkohol ist verbannt, aber die „Jines“ kontrastieren oder verstärken die Aromen des Gerichts, sie folgen zum Teil auch ästhetisch alkoholhaltigen Vorbildern. Am deutlichsten wird dies am Ende des Menüs: Singer und sein Team flankieren die dunklen Kakaonuancen der „Chocolates“ mit einer Whisky-Simulation, perfekt inszeniert in einem Whisky-Tumbler.
Im Berliner „Horváth“ waren es nicht gesetzliche Vorgaben, die ein Umdenken auslösten: „Immer mehr Gäste verzichten bewusst auf Alkohol. Dabei können ein gesteigertes Gesundheitsbewusstsein, Arbeit am Folgetag, das vor der Tür geparkte Auto oder auch gesundheitliche und religiöse Gründe eine Rolle spielen“, sagt Geschäftsführerin Jeannine Kessler. Für ihren Ehemann und Küchenchef Sebastian Frank gab es noch einen anderen Grund, sich des Themas anzunehmen: „Als meine Frau schwanger war, musste ich mir Gedanken machen, etwas Gleichwertiges ohne Alkohol anbieten zu können.“ Ein reine Saftbegleitung erwies sich als zu sättigend und zu fad. Frank begann analog zur Herangehensweise bei einer Weinbegleitung zu experimentieren: „Die Aromen des Gerichtes verstärken oder ihnen entgegengehen“, sagt er. „Wir haben aber schnell gemerkt, dass zu viele Aromen bei einer Getränkebegleitung ermüden, so fanden wir ein drittes Prinzip: eine klärende Begleitung.“ Die Basis bildet ein wässriges Medium, dessen Temperatur entscheidend ist, wie bei dem Gurkengetränk mit Senf-Eiswürfel. „Man startet mit Gurkensaft und am Ende schmeckt es nach Gurkensalat.“ Mehr und mehr öffneten sich neue Türen. Als Basis nutzt Frank inzwischen häufig einen geklärten Gemüse-Apfelsaft, der mit anderen Säften, Molke oder Bratfetten und Kaltauszügen aus Gewürzen in eine bestimmte Richtung getrimmt wird.
Um aber bis zu zehn Gänge gleichwertig ohne Alkohol begleiten zu können - auch preislich macht das Horváth da keine Unterschiede - mussten neue Wege gefunden werden. „Beim Herumexperimentieren, welches Getränk zum Gericht passt, sind aus Ideen für Getränke neue Gerichte entstanden.“ Mit Pilzwasser und kaltem Hühnersuppenschaum zum gedämpften Wirsing mit gerösteter Pilzreduktion lässt Frank die Regel hinter sich, dass ein Getränk der Speise folgen muss: Weder verstärkt noch kontert das Pilzwasser die Speise, die vermeintliche Begleitung wird zu einem apart servierten Satellit, der das Gericht nicht flankiert sondern komplettiert.
Nach neuen Pairing-Ideen suchte auch Marco Müller aus dem „Rutz“. Ihm ging es aber nicht allein darum, eine Alternative zur Weinbegleitung anbieten zu können: „Ich mag Wein, das Essen und wie beides miteinander funktioniert. Aber wenn ich mir einen schönen Abend mache, möchte ich ihn genießen und mich später daran auch noch erinnern können.“ Zehn Gänge mit zehn Weinen - wenn nicht nur ein winziger Schluck im Glas sein soll, trinkt der Gast mehr als eine Flasche zum Menü. Mit Sommelier Alexander Seiser und Souschef Dennis Quetsch suchte er eine Möglichkeit, dem Gast die Wahl zu lassen zwischen einer rein alkoholfreien Begleitung oder „einem Mischmasch aus alkoholfrei und richtigen Schlucken, die nicht im Glas verdunsten.“
Wein durch Saft zu ersetzen wäre auch für das „Rutz“-Team keine Option gewesen. „Fruchtsäfte bringen in der Regel eine zu starke Süße mit. Sie sind keine Begleiter sondern höchstens ein Ersatz, damit die Gäste nicht verdursten“, sagt Müller. So bietet er zu Stör mit Hechtkaviar, Ackersenf und gebrannter Sahne alternativ eine Kombination aus fermentiertem Fisch, Apfel-Maische und salziger Pflaume, die eine Brücke zum Fett der karamellisierten Sahne schlägt. Oder er kontert den Gang „Am Wasser“ aus Schnittlauchsprossen, Sauerklee und Käsesud mit einem Granité von Sauerampfer mit Kamillenblütentee und altem Apfelbalsam, den er mit dem Zerstäuber an den Glasrand sprüht.
Die gemischte Getränkebegleitung öffnet ihm dabei völlig neue Wege: „Wein, so vielfältig er sein kann, ist immer nur Wein. Dadurch, dass wir jetzt ein Getränk von Grund auf zusammenbauen können, haben wir jetzt viel mehr Möglichkeiten, auf die Aromen, Konsistenzen und Temperaturen der Gerichte zu reagieren.“ Das hat ihn zu einer Idee inspiriert, die bislang noch an dem logistischen Aufwand scheitert: Die starre Trennung zwischen Gericht und Begleitung aufzuheben und zu jedem Gang sowohl Wein als auch ein flüssiges Surplus anzubieten.
Bislang wird die alkoholfreie Getränkebegleitung nur von wenigen Gästen genutzt. Sie gilt noch immer als zweite Wahl, die eher aus Verlegenheit getroffen wird. Sie gilt als ein leidlich in Kauf genommenes Surrogat anstelle der scheinbar perfekten Menübegleitung durch König Wein. Aber sein absolutistischer Anspruch wackelt, und die Vorteile einer gemischten Getränkebegleitung liegen auf der Hand: Sie öffnet Spielräume, sich durch Handwerk und Kreativität zu profilieren und schafft eine neue Ebene gleichberechtigter Zusammenarbeit zwischen Küche und Service.
Und mehr Freiheit für den Gast, über den Grad seiner Betäubung selbst zu entscheiden.
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