AfD-Parteitag: Politik mit einem Gefühl der Bedrohtheit
Die AfD emotionalisiert die politische Arena. Das lässt sich so schnell nicht rückgängig machen. Es gilt, dem auf ähnliche Weise ein Gefühl entgegenzusetzen. Ein Kommentar.
Bei jedem Bundesparteitag der AfD gab es bisher einen Punkt, an dem man dachte, dass der Laden aus der Kurve fliegt. Lange Geschäftsordnungsdebatten sind schließlich eine besondere Vorliebe der Parteibasis. Der mit viel Spannung erwartete Stuttgarter Parteitag kam deshalb viel schleppender voran, als von der Parteiführung erhofft. Mit dem Ergebnis kann sie dennoch zufrieden sein. Im Wesentlichen kam ihr Programmentwurf durch.
Gleichzeitig schälte sich in Stuttgart deutlich heraus, wohin die Reise geht. Unumwunden suchte die Alternative für Deutschland die Nähe zur österreichischen FPÖ. Es ist ein Weg des demokratischen Absolutismus, in dem von Fall zu Fall die Rechte von Minderheiten zur Disposition gestellt werden. Dafür steht zum Beispiel die Forderung nach einem Minarettbauverbot.
„Programm für Deutschland“ war der Parteitag überschrieben. Es war schon skurril, dass die AfD drei Jahre lang von Wahlsieg zu Wahlsieg eilen konnte, ohne ein inhaltliches Koordinatensystem zu haben. Den politischen Wettbewerbern machte das die Sache schwer und einfach zugleich. Einfach, weil sich auch jede noch so abwegige Äußerung sogar von drittrangigen AfD-Politikern zur Affäre aufplustern ließ. Schwer auf der anderen Seite, weil die AfD stets die verfolgte Unschuld geben konnte.
Damit ist es nun vorbei. Mitunter scheint es, als sei die Verabschiedung eines AfD-Grundsatzprogramms am allermeisten von den Konkurrenzparteien herbeigesehnt worden. Dort setzt sich inzwischen die Erkenntnis durch, dass nach Nicht-Wahrhaben-Wollen und Empörung eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der AfD das Gebot der Stunde ist, der berühmte „Faktencheck“. Dagegen ist nichts einzuwenden. Allein, es könnte nicht reichen. Und es könnte zu spät sein dafür.
Viele Kernpunkte erscheinen nur aus deutscher Perspektive besonders radikal
Denn bei Lichte besehen stimmt es zwar, dass die AfD bereits vorhandene Ängste vor einem radikalen Islam artikuliert und verstärkt, um die eigene Nachfrage nach Einfluss, Posten und Aufmerksamkeit zu befriedigen. Viele der nun in Stuttgart beschlossenen Kernpunkte erscheinen aber nur aus deutscher Perspektive besonders radikal. Ein Minarettbauverbot wurde vor Jahren vom Schweizer Volk beschlossen und das geforderte Kopftuchverbot auch für Schülerinnen und Studentinnen entlehnte die Partei aus Frankreich, wo es 2004 beschlossen wurde.
Sich an ihrem Programm abzuarbeiten, wird die AfD deshalb nicht „entlarven“. Entscheidender ist doch, dass die AfD mit den von ihr genutzten Symbolen auf subtile Weise ein Gefühl transportiert. Ein Empfinden von Bedrohtheit, das zugegebenermaßen nicht erst seit dem Erscheinen der AfD in der Welt ist. Diesem Gefühl gilt es auf ähnliche Weise ein Gefühl entgegensetzen. Nicht als Ersatz für rationale Argumente, aber als Ergänzung. Denn die Emotionalisierung der politischen Arena, die die AfD auf ungute Weise erreicht hat, wird sich so schnell nicht rückgängig machen lassen.
Ein empathischer Ansatz könnte sein, sich Neuem gegenüber offen zu zeigen, aber auch Verlustängste nicht von vorneherein der Lächerlichkeit preiszugeben. Angela Merkels „Wir schaffen das“ transportierte kein solches Gefühl. Es haftete ihm etwas allzu Apodiktisches an. Wohl nichts zeigt die Grenzen von Merkels Politikstil stärker auf als diese von der AfD aufgezwungene Emotionalisierung. Mit ihr wird über die Bundestagswahl 2017 hinaus zu rechnen sein.