Fusion der Spitzenverbände BDI und BDA: Angst vor der eigenen Courage
Der Arbeitgeber- und der Industrieverband scheitern erneut beim Versuch einer Fusion zum „Bundesverband Deutsche Wirtschaft“. Eine Begründung: Man wäre nach der Wahl 2017 nicht "voll handlungsfähig".
Im Herbst 2014 verständigten sich in Bremerhaven vier Männer auf einen kühnen Plan. Die verschworene Gemeinschaft wollte ein Thema anpacken, an das sich seit Jahren niemand mehr gewagt hatte. Als Gastgeber fungierte Ingo Kramer, der in Bremerhaven zu Hause ist und ein Jahr zuvor zum Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gewählt worden war. An Kramers Seite: Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der BDA. Gegenüber hatten Ulrich Grillo und Markus Kerber Platz genommen – Präsident und Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Industrie (BDI). Das Quartett war sich im Ziel schnell einig: Fusion der beiden Spitzenverbände. Göhner und Kerber bekamen den Auftrag, ein Konzept zu erarbeiten. Streng vertraulich, natürlich.
Vor einer Woche, am 19. August, zitiert das „Manager Magazin“ aus einem 13-seitigen „Vermerk für die Herren Präsidenten“, in dem Göhner und Kerber die Notwendigkeit zur Bildung eines „Bundesverbands Deutsche Wirtschaft“ erläutern und mithin für die Abschaffung ihrer Organisationen plädieren. BDA und BDI seien „nicht mehr zukunftsfähig“, der Einfluss der Verbände nehme immer weiter ab, eine ähnliche Zerklüftung der Verbändewirtschaft gebe es in der EU „nur noch in Malta“. Kurzum: Ein neuer Großverband müsse her und im Herbst 2017, wenn nach der Bundestagswahl die Koalitionsverhandlungen laufen, „voll umfänglich handlungsfähig sei“.
Der Plan ging schon mehrfach schief
So war das gedacht. Ähnlich wie schon einmal Ende der 1990er Jahre und zuletzt 2006. Und damals wie heute ging der große Plan schief.
Zu viele Leute, im Haupt- wie im Ehrenamt, sitzen auf hübschen Verbandspöstchen und wollen da nicht weg. Zu viele Vorbehalte gibt es auf der einen gegenüber der anderen Seite, vor allem auch sozial- und wirtschaftspolitischer Natur. Die BDA ist für Sozial- und Tarifpolitik zuständig, für sie und ihre Mitgliedsverbände ist Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, der Ausgleich von Interessen tägliches Geschäft. Der BDI dagegen vertritt die puren Interessen seiner Mitgliedsverbände, Gewerkschaften werden hier vor allem als Gegner wahrgenommen. Und dann gibt es die Fachverbände, etwa des Maschinenbaus und der Elektroindustrie, die befürchten, in einem Großverband verloren zu gehen.
Vor zehn Jahren war Jürgen Thumann die treibende Fusionskraft. Nach dem ätzenden Hans-Olaf Henkel und dem knarzigen Michael Rogowski, der auch schon mal Tarifverträge und sogar das Betriebsverfassungsgesetz verbrennen wollte, kamen mit Thumann wieder Vernunft und Verbindlichkeit an die BDI-Spitze. Die große Koalition war im Amt, und die Dachverbände der Wirtschaft in Sorge, von der Politik nicht mehr wahrgenommen zu werden.
Thumann machte sich also ans Werk, erwog anfangs einen Zusammenschluss mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag, dem Dachverband der IHKs, und konzentrierte sich dann aber auf den möglichen Partner BDA. Alle drei Organisationen sitzen im „Haus der Wirtschaft“ an der Breiten Straße in Berlin-Mitte; man kennt sich, man sieht sich, man schätzt sich. Mehr oder weniger.
Mit der Bildung gemeinsamer Ausschüsse und einem gemeinsamen Präsidium wollte Thumann BDA und BDI annähern und hochzeitsreif machen. Er scheiterte, weil er nach dem Fall Norbert Röttgen – Thumann konnte den CDU-Politiker damals nicht als BDI-Hauptgeschäftsführer durchsetzen – angeschlagen war. Und die Gegner waren zu stark: Der damalige BDA-Präsident Dieter Hundt wollte nicht richtig. Und Ludolf von Wartenberg, graue Eminenz in der BDI-Geschäftsführung, auch nicht. Der glücklose Thumann trat 2009 ab. Es folgten Hans-Peter Keitel und dann, seit 2013, der Duisburger Ulrich Grillo.
"Ordnungspolitisch wäre das ein Fortschritt"
Mit Grillo schien dem BDA-Führungsduo Kramer/Göhner ein neuer Versuch möglich. Und mit dem cleveren Kerber, seit 2011 als Hauptgeschäftsführer an der Spitze des BDI-Apparats, sowieso. Vor allem Göhner, der seit 1996 die BDA führt, ist über die Jahre zu einem Verfechter der Fusion geworden: mehr Einfluss auf die Politik, Bündelung von Ressourcen und Kosten sparen. Göhner stammt ebenso aus Ostwestfalen wie Martin Kannegiesser, der als langjähriger Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall nicht nur die Tarifpolitik hierzulande über viele Jahre geprägt hat, sondern auch in der Verbändewelt eine herausragende Rolle spielte.
„Ordnungspolitisch wäre das ein Fortschritt“, sagt Kannegiesser über die Fusion. Der große Verband könne „eine neue Dynamik für den Dialog mit der Politik und mit den Gewerkschaften entfalten“, meinte Kannegiesser auf Anfrage. Doch viele Unternehmen würden noch immer „eine Gänsehaut“ kriegen, wenn sie den Begriff Tarifbindung hörten. Das sei indes kurzsichtig, denn mit abnehmender Tarifbindung erhöhe sich die Neigung der Politik zu Eingriffen in die Tarifautonomie.
Ob Ulrich Grillo eine Gänsehaut bekommen hat, ist nicht bekannt. Doch in Grillos Auftrag rief Kerber am 13. Oktober 2015 Göhner an und sagte die Fusion ab. Über die Gründe wird spekuliert: Widerstände in den eigenen Reihen, Unzufriedenheit auf BDI-Seite mit dem Göhner-Nachfolger Steffen Kampeter (CDU), oder schlicht Angst vor der eigenen Courage. Am Ende kommt es wie so oft auf die Standfestigkeit der handelnden Figuren an – und da hatte das Quartett Schwächen. Grillo und Kerber verlassen demnächst den BDI, die Fusion ist tot. Bis zum nächsten Mal.
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