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Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
© Pascal Rossignol/Reuters
Update

Morawiecki wirft EU „Erpressung“ vor: Polen soll Corona-Hilfen nur erhalten, wenn Justiz unabhängig ist

Die Fronten im EU-Streit um die Auffassung von Rechtsstaatlichkeit sind verhärtet. Im Parlament droht erst die Kommissionschefin, dann kontert Polens Premier.

Im Streit um den Rechtsstaat in Polen will EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen milliardenschwere Corona-Hilfen solange blockieren, bis das Land bestimmte Justizreformen zurückgenommen hat.

Die Unabhängigkeit der Justiz müsse wiederhergestellt werden, sagte von der Leyen am Dienstag bei einer Debatte mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki im Europaparlament in Straßburg. „Dazu zählt der Abbau der Disziplinarkammer, der Abbau des Disziplinarregimes, die Wiedereinsetzung der unrechtmäßig entlassenen Richterinnen und Richter. Das ist die Grundvoraussetzung.“ Morawiecki habe dies angekündigt, sagte von der Leyen, und forderte: „Tun Sie es.“

Polen hatte seinen Corona-Aufbauplan im Mai eingereicht. Um Geld aus der sogenannten sogenannte Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) der EU zu erhalten, müssen EU-Staaten einen Plan mit Investitions- und Reformvorhaben vorlegen, der eigentlich innerhalb von zwei Monaten von der Kommission beurteilt wird.

Die Genehmigung des Plans von Polen wurde allerdings verschoben. Nach derzeitigen Berechnungen soll das Land insgesamt 23,9 Milliarden Euro an Zuschüssen und zusätzlich auch noch Kredite erhalten.

In der Auseinandersetzung mit Polen gab von der Leyen sich nach mehr als vierstündiger Debatte im Parlament entschlossen. „Wir werden die Rechtsstaatlichkeit und die Verträge der Europäischen Union verteidigen, mit allen Mitteln.“

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki hat die EU scharf kritisiert.
Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki hat die EU scharf kritisiert.
© Ronald Wittek/AFP

Die EU-Kommission werde jedoch klare Prozessschritte einhalten. „Ja, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit sind langsamer als die Autokratien, weil sie alle anhören, bevor ein Urteil gefällt wird oder eine Lösung gefunden wird. Aber genau das unterscheidet uns ja von den Autokraten und den Diktatoren dieser Welt.“

Mit Blick auf das jüngste Urteil des polnischen Verfassungsgerichts sagte die CDU-Politikerin: „Es ist ein einmaliger Vorgang, dass ein Verfassungsgericht eines Mitgliedstaats Artikel des europäischen Vertrages in Frage stellt. Das trifft mitten ins Mark der Rechtsstaatlichkeit. Das hat es so noch nicht gegeben.“ Das Verfassungsgericht lege die „Axt an die europäischen Verträge“.

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Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte zuvor im Europaparlament ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts verteidigt, das den Vorrang von EU-Recht infrage stellt. In dem Rechtsstreit zwischen Warschau und Brüssel warf der Premier der EU zunächst „Erpressung“ vor.

„Ich bin nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen erpressen wollen und Polen drohen“, sagte er vor dem EU-Parlament in Straßburg. „Die Sprache der Bedrohungen und Erpressungen möchte ich zurückweisen“, sagte Morawiecki. Diese sei zu einer Methode gegenüber einigen Mitgliedstaaten geworden, fügte der Regierungschef hinzu.

„Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen, wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschritten werden“, sagte Morawiecki weiter. Die EU-Mitgliedsländer müssten Instrumente haben, um auf diese Entwicklung zu reagieren, sagte Morawiecki. Er zitierte aus Urteilen des Obersten Gerichtshofes in den Niederlanden, des französischen Verfassungsrats und des Bundesverfassungsgerichts, um seinen Standpunkt zu untermauern.

Von der Leyen droht mit schweren Sanktionen

Hintergrund des Streits ist ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, nach dem Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind. Der Streit hat Befürchtungen ausgelöst, es könne zu einem Polexit, einem Austritt Polens aus der EU, kommen.

Morawiecki verteidigte nun das Urteil des obersten Gerichts. Dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) warf er vor, „schleichend“ die EU-Kompetenzen auszuweiten. Zugleich betonte er, sein Land wolle Mitglied der EU bleiben. Daraus müssten sich Vorteile für beide Seiten ergeben.

Von der Leyen nannte auch konkrete weitere Sanktionen, die Polen drohen könnten: ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren, die Nutzung eines neuen Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln sowie eine erneute Anwendung des sogenannten Artikel-7-Verfahrens. Letzteres könnte sogar zum Entzug der polnischen Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen. (dpa, AFP, Reuters)

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