Streit um Justizreform: Polen beugt sich der EU
Kursschwenk: Polens Regierung macht die Zwangspensionierung hoher Richter rückgängig. Warschau folgt damit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs.
Polens Regierung folgt einer Anordnung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Oktober und hebt die Zwangspensionierung hoher Richter im Alter über 65 Jahre wieder auf. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verabschiedete am Mittwoch im Sejm einen entsprechenden Gesetzentwurf im Schnellverfahren.
Ein "Polexit" ist in der Bevölkerung nicht populär
Justizminister Zbigniew Ziobro, der bisher die Unterordnung der Justiz unter die Regierungspartei betrieben hatte, begründete die Korrektur in der Parlamentsdebatte so: „Wir haben stets konsequent deutlich gemacht: Wir sind in der Europäischen Union, wir achten ihre Regeln und ihre Grundsätze. Obwohl wir mit der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs nicht einverstanden sind, halten wir uns an unsere Verpflichtungen.“ Der Abgeordnete Andrzej Dera nannte die Vermeidung von Strafzahlungen der EU als weiteres Motiv. Die EU hatte mit Zwangsgeldern gedroht. Die hatte sie schon einmal erhoben, als Warschau ein Urteil des EuGH gegen die Abholzung im Naturschutzgebiet Puszcza Bialowiejska nicht respektierte.
Experten sagen zudem, die Regierung wolle vor der Europawahl den Eindruck vermeiden, sie suche den Konflikt mit der EU und strebe womöglich einen Austritt an, den „Polexit“. Der ist unter Polen nicht populär.
Allerdings hatte die PiS sich einen Monat Zeit gelassen, bis sie einlenkte. Präsident Duda hatte bei seinem Besuch in Berlin kurz nach dem EuGH-Urteil noch den Eindruck vermittelt, Polen werde es nicht anerkennen. In öffentlichen Diskussionen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte er die EU eine Zwangsgemeinschaft.
Sollen missliebige Richter entfernt werden?
Die Zwangspensionierung von Richtern ab dem 65. Lebensjahr – statt der bisherigen Altersgrenze von 70 Jahren – ist nur ein Teil der umstrittenen Justizreform. Laut PiS ist das Ziel, ein fehlerhaftes Gerichtssystem zu modernisieren und Richter, die in den kommunistischen Zeiten vor 1989 an Unrechtsurteilen beteiligt waren, zu entfernen. Als Duda in Berlin gefragt wurde, wie viele exkommunistische Richter noch im Dienst seien, gab er keine Antwort darauf.
Kritiker in Polen und der EU argwöhnen, die PiS wolle missliebige Richter entfernen und die Gerichte mit parteipolitischen Freunden besetzen. Die EU hat ein sogenanntes Artikel-7-Verfahren gegen Polen eingeleitet wegen des Verdachts von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit.