Minister im Alleingang: Peter Altmaier gibt beim Klimaschutz ein großes Versprechen - kann er es halten?
Wirtschaftsminister Altmaier hat - erst einmal verbal - das Steuer beim Klimaschutz herumgerissen. Wovon der Erfolg dieser Pläne jetzt abhängt.
Sind Peter Altmaiers Pläne zum Klimaschutz tatsächlich ein "historischer Konsens"? Die Europäische Union soll noch klimafreundlicher werden. Das hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon in ihrer Bewerbungsrede vor einem Jahr angekündigt. Nächste Woche nun wird sie ein neues Klimaziel der Union für 2030 ankündigen.
Vorher hatte die Kommission durchrechnen lassen, welche Folgen dies für Wirtschaft und Gesellschaft hätte. Durchgesickert ist bereits, dass von der Leyen sich für 55 Prozent weniger Emissionen im Vergleich zu 1990 entschieden hat. Vielleicht wird sogar das Wort „mindestens“ davorstehen. Im Moment steht das Ziel bei 40 Prozent. 55 Prozent wäre also noch einmal fast die Hälfte mehr. Es wäre aber realistisch, denn schon 2050 will die EU klimaneutral sein. Bis dahin müsste ja alles geschafft werden, was bis 2030 nicht erreicht ist.
Nun hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit einem eigenen Vorschlag zur Verbindung von Klimaneutralität und Wohlstand eine ganz neue Dynamik in die Debatte gebracht. Ein Überblick.
Was schlägt Altmaier genau vor –und wie passt es zu von der Leyens Plänen?
Der Minister hat einen seiner berüchtigten Alleingänge gestartet, wie so oft mit ungewissem Ausgang und schlechten Aussichten. Aber auch: So etwas gab es noch nie zu hören von einem Regierungsmitglied, zumal von der CDU. Altmaier gab ein sehr großes Versprechen ab: Wir meinen es jetzt ernst und wir bekommen es hin mit drastischem Klimaschutz.
In bisher noch nicht vernommener Schärfe räumte er Fehler „seit den 90er Jahren“ in der Klimapolitik ein, die Erwärmung habe „existenzielle Folgen für die Ökosphäre und die gesamte Menschheit“. Er verstehe, dass „viele junge Menschen zweifeln“. Nun will er mit einem 20-Punkte-Plan einen deutschlandweiten Klimakonsens herbeiführen, den auch die Opposition unterstützen soll. Damit es nicht mit jeder Wahl einen Richtungswechsel gibt.
Deshalb sollen sich Bund und Länder, aber auch auf Wunsch Kommunen und Wirtschaft, einer „Charta für Klimaneutralität und Wirtschaftskraft“ verpflichten, die noch vor der Bundestagswahl 2021 beschlossen werden soll. Ziel: Klimaneutralität bis 2050 und Minderungsziele für jedes Jahr ab 2022. Öffentliche Einrichtungen sollen bis 2035 klimaneutral arbeiten.
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Ein bestimmter Teil der Wirtschaftsleistung (BIP) soll in den Klimaschutz fließen. Und obendrein soll ein öffentliches „Scoreboard“ Transparenz über die Fortschritte verschaffen. Das erfordert natürlich einen massiven Umbau der staatlichen Anreize, die Altmaier auch vorsieht: Die Industrie soll unterstützt werden mit Subventionszahlungen für den Umstieg auf klimaneutrale Produktion, und zwar umso mehr je schneller es geht. Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll zum Beispiel wieder auf Kurs kommen – Altmaier verantwortet als Wirtschaftsminister bislang einen massiven Einbruch des Windenergieausbaus.
Kann der Plan des Wirtschaftsministers umgesetzt werden?
Als Impuls ist er ohne Frage bedeutsam. Altmaier ist immerhin Regierungsmitglied und galt als enger Vertrauter Angela Merkels – und vor allem war er bis vor kurzem strenger Verfechter der Einstellung, dass der Klimaschutz nicht gegen die Wirtschaftskraft ginge und deshalb enge Grenzen gesetzt seien. Erstes Problem ist aber, dass der Plan spät kommt. Ein Jahr vor der Bundestagswahl bleibt wenig Zeit, zu überzeugen und die vielen Dutzenden großen Durchbrüche und kleinen Kompromisse zu erzielen, die für eine völlige Neuaufstellung der Klimapolitik notwendig sind.
Zumal die 20 Punkte auf zwei DIN-A4-Seiten passen – viel mehr als eine Stichwortsammlung ist es nicht.
Noch ist unklar, wie vor allem die Unionsfraktion reagieren wird. Eingebunden ist sie noch nicht, wie Altmaier am Freitag freimütig erzählte. Gegen den wirtschaftsliberalen Flügel in der Union konnte sich Altmaier zuletzt schon im Kleinen kaum durchsetzen und auch in seinem Ministerium wird nicht stringent pro Klimaschutz und Energiewende gearbeitet.
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Wie soll da erst der große Wurf gelingen? Die Opposition reagiert eher spöttisch. Dort wird vermutet, dass Altmaier vielleicht seine persönliche Klima-Erweckung erlebt hat. Aber es ist auch ein günstiges Manöver für den Wahlkampf, der Hauptkonkurrenz, den Grünen, ihr mit Abstand stärkstes Mobilisierungsthema durch einen großen Konsens zu neutralisieren. Kurz: Ein parteiübergreifender Kompromiss ist unwahrscheinlich.
Was haben Deutschland und Europa von ihren Klimazielen bis heute erreicht?
Deutschland wird sein ehrgeiziges Ziel von minus 40 Prozent bis 2020 wohl erreichen, der sinkenden Wirtschaftsleistung durch die Coronakrise geschuldet. Das ist aber kein Vorbild für einen geordneten Strukturwandel, wie er Altmaier vorschwebt. Die EU muss zusehen, dass sie einen Überhang von Millionen Verschmutzungszertifikaten abbaut, sonst gerät sie mit ihrem Emissionshandel bei der Zielerfüllung ins Hintertreffen. Im Bereich Gebäude, Landwirtschaft und Verkehr hängt die Antwort davon ab, auf welches Land und in welchen Sektor man schaut. Deutsches Sorgenkind ist der Verkehr, da sind die Emissionen seit 1990 fast gleichgeblieben.
Was würde die Umsetzung konkret für die Bürger bedeuten?
Unglaublich viel. Klimaneutralität bis 2050 ist ein fundamentaler Umbau unserer Gesellschaft. Die ersten Schritte dazu hat Deutschland mit dem Klimaschutzgesetz und dem Beschluss für einen Preis auf Kohlendioxid gemacht. Er gilt ab kommendem Jahr, beträgt dann 25 Euro pro Tonne CO2 und wird stufenweise steigen. An dem Zeitplan dafür will Altmaier nicht rütteln, sagte er gestern. Autofahren und Heizen wird dann teurer – es sei denn, man nutzt erneuerbare Energien. Teilweise ausgeglichen wird der CO2-Preis beim Autofahren über ein Pendlerpauschale für Autofahrer. Beabsichtigt ist aber, dass sich die Verbraucher langsam umorientieren und ihr Verhalten anpassen. Sei eigenes Haus besser zu dämmen würde sich außerdem finanziell mehr lohnen. Mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zur Arbeit zu fahren würde mehr Geld sparen, als heute. Insgesamt steht der Gesellschaft damit etwas Schwieriges bevor: Viele Menschen müssten ihr Verhalten stark ändern. Dafür bekämen sie bessere Luft, weniger Lärm in den Städten und die Gewissheit, dass sie einen lebenswerten Planeten hinterlassen.
Welche Folgen hat der Plan für Wirtschaft und Jobs?
Seit jeher gehen die Einschätzungen weit auseinander, ob entschlossener Klimaschutz nun Jobs kosten oder schaffen würde. Auch Dutzende hochrangige Gutachten und Jahrzehnte nach den ersten Argumenten in die eine oder andere Richtung lautet die wohl ehrlichste Antwort: Es kommt darauf an. Weniger erfüllt hat sich zum Beispiel die Hoffnung, dass hierzulande eine gewaltige Industrie für erneuerbare Energien entsteht.
Auf der anderen Seite ist Deutschland, zum Beispiel laut einer Erhebung der Großbank HSBC, das Land auf der Welt, das am meisten von einer globalen Klimaschutzwirtschaft profitieren würde – weil es hier hochspezialisierte Firmen gibt, die dafür gute Lösungen anbieten, zum Beispiel im Anlagen- und Maschinenbau. Die hierzulande so wichtige Autoindustrie verkörpert den Zwiespalt recht gut.
Volkswagen ruft neuerdings nach einem hohen CO2-Preis und setzt auf E-Mobilität. Auf der anderen Seite würde der Abschied vom Verbrennungsmotor insgesamt Zehntausende Jobs kosten. Viel hängt davon ab, wie gut sich die Unternehmen wirklich umstellen können. Ganz genau wissen das nicht mal sie selbst.
Was ist in den Sektoren geplant –und was bedeutet es für die Autoindustrie?
Es müsste die Menge der Verschmutzungsrechte im europäischen Emissionshandel verringert werden. Er gilt für Energiewirtschaft und Industrie. Für Gebäude und Verkehr haben sich die Mitgliedsstaaten der EU vor Jahren auf einen Schlüssel geeinigt, wer wie viel mindern muss. Das waren zähe Verhandlungen. Die müssten wohl von vorne losgehen.
Wobei damals vor allem nach Wirtschaftskraft sortiert wurde: Schweden musste so mehr leisten als Bulgarien. Experten erwarten, dass auch die Staaten in Ost- und Südeuropa bald mehr zur CO2-Minderung beitragen müssen, sonst seien die Ziele nicht zu schaffen. Dafür müssten diese Länder aber Unterstützung der reicheren EU-Länder bekommen.
Ohne neue, schärfere Flottengrenzwerte für Pkw werden die neuen Klimaziele ebenfalls nicht zu schaffen sein. Dies dürfte einer der Knackpunkte des Plans werden. Denn dafür müssten viel mehr Elektroautos verkauft werden oder weniger Spritfresser – gerechnet wird ja immer, wie viel die ganze Flotte eines Herstellers an CO2 ausstößt.
Ist die von Altmaier versprochene „Planungssicherheit“ für alle Akteure realistisch?
Bemerkenswert an Altmaiers Einlassungen war auch, wie er seinen Meinungsumschwung begründete. Auf der einen Seite mit dem Offensichtlichen: Der Klima-Jugend auf der Straße. Auf der anderen Seite auch damit, dass Top-Manager – BASF-Chef Martin Brudermüller wurde namentlich erwähnt – auf ihn zugekommen seien und Investitionssicherheit gefordert hätten – und zwar mit im Vergleich zur Vergangenheit genau umgekehrten Vorzeichen. Sie glauben daran, dass der Klimaschutz ohnehin nicht abzuwenden ist, und wollen endlich investieren in neue Techniken und neue Anlagen.
Das hat Altmaier offenbar endgültig überzeugt. Sicherheit für die Wirtschaft bedeutet vor allem, dass die Preise, zum Beispiel für CO2, relativ klar absehbar sind und man sich genau ausrechnen kann, wann sich welche neue Klimaschutztechnik lohnt. Dafür braucht es klar festgelegte Reduktionsziele und Preise.
Kann Europa durch die Umsetzung der Klimaziele unabhängiger werden von Gasimporten und arabischem Öl?
Auf jeden Fall, und es würde der Volkswirtschaft sehr viel Geld sparen. Diese Mittel, die bisher zum großen Teil in autoritäre Staaten fließen, könnten hierzulande für den Umbau des Energiesystems eingesetzt werden. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien hat Deutschland gezeigt, dass man auch mit Sonne und Wind ein funktionierendes Stromnetz aufrechterhalten kann. Jetzt müsste die Energiewende aber auch im Gebäudesektor und im Verkehr ankommen.
Das wird aus vielen Gründen schwieriger als im Strombereich.Theoretisch könnte man Klimaneutralität aber ganz allein aus Wind- und Solaranlagen auf deutschem Boden schaffen. Der Platz dafür wäre da. Wahrscheinlich wird es aber billiger, wenn man Energie in Form von Wasserstoff aus sonnenreichen Ländern importiert. Da viel bereits viel Zeit verstrichen ist, wird man auch Technologien brauchen, die Kohlendioxid aus der Luft ziehen. Technische Lösungen sind nur in kleinem Maßstab erprobt. Es wird deshalb hohe Zeit für die Pläne von Peter Altmaier und Ursula von der Leyen.