Christen in China: Peking und der Pontifex - eine unheilige Allianz?
Chinas Christen sind im Aufwind, Papst Franziskus will Einfluss nehmen. Nun wurde ein Abkommen unterzeichnet. Für Kritiker ist es ein Pakt mit dem Teufel.
Wovon träumt der Papst? Das weiß nur er allein. Was bewegt ihn? Dafür gibt es Indizien. Folgendes geschah am 3. Oktober im Vatikan zur Eröffnung der 15. Generalversammlung der Bischofssynode: Mehr als 250 katholische Geistliche aus aller Welt waren angereist, zwei davon begrüßte Franziskus persönlich, sichtlich gerührt und unter Applaus. Denn sie kamen aus einem Land, aus dem noch nie Bischöfe zu Synoden hatten reisen dürfen – aus China. Zu Ehren von Yang Xiaoting und Guo Jincai wurde auch die erste Fürbitte des Gottesdienstes auf Chinesisch gesprochen.
Was nach einer kleinen internen Neuigkeit klingt, hat eine Vorgeschichte – und die gleicht einer Sensation. Am 22. September war eine „provisorische Übereinkunft“ zwischen dem Heiligen Stuhl und dem kommunistischen Regime unterzeichnet worden – die erste der beiden Staaten seit Abbruch der diplomatischen Beziehungen im Jahre 1951.
Das Abkommen regelt eine Frage, die stets strittig war: Wer darf in China Bischöfe ernennen? Der Pontifex reklamiert dieses Recht für sich. Das aber lehnen die chinesischen Machthaber als Einmischung in die inneren Angelegenheiten ab. Der Vatikanmitarbeiter, der nach jahrelangen Verhandlungen eine Einigung mit Peking erzielte, der 72-jährige Gianfranco Rota Graziosi, wurde prompt zum außenpolitischen Berater im Staatssekretariat befördert.
Die „provisorische Übereinkunft“ sieht vor, dass China den Papst künftig als geistliches Oberhaupt der rund 13 Millionen Katholiken im Land akzeptiert, der Papst acht von der staatlich kontrollierten Kirche ohne päpstliche Genehmigung ernannte Bischöfe nachträglich anerkennt und er bei Bischofswahlen ein Veto gegen bestimmte Personen einlegen kann, um einen neuen Findungsprozess einzuleiten.
Das klingt technisch, bedeutet aber, dass der Vatikan nun einen Fuß hinter die spirituelle chinesische Mauer gesetzt hat. Chinas Christen sind die am schnellsten wachsende Religionsgemeinschaft weltweit. Jährlich steigt ihre Zahl um mindestens eine Million, inzwischen sollen es 60 Millionen sein. Sonntäglich lassen sich Tausende taufen. Von einem Boom ist die Rede, einem Fieber, einem Hype. Bald schon könnte China das Land mit den meisten Christen sein.
Christen gelten als subversiv
Entsprechend nervös sind die Machthaber. Einige haben gar Angst. Christen gelten als subversiv. War es nicht Papst Johannes Paul II., der mit seiner Losung „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“ die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc ermutigte, für Reformen auf die Straße zu gehen?
Oder die Dissidenten in der DDR: Formierten sie sich nicht zuerst in Kirchen? Menschen, die auf das Wort einer anderen Autorität hören als das der weltlichen Macht und dieses Wort als oberste Richtschnur ihres Handelns ansehen, werden besonders von kommunistischen Regimes als Bedrohung empfunden.
Zu Maos Zeiten waren sämtliche Formen der Religionsausübung verboten. Viele Christen verließen das Land, andere gingen in den Untergrund, trafen sich geheim in sogenannten Hauskirchen. Maos Nachfolger, Deng Xiaoping, ließ 1979 pro forma die Religionsfreiheit in die Verfassung aufnehmen.
Gleichzeitig wurde aber versucht, das christliche Leben möglichst umfassend zu kontrollieren. Protestanten wurden in die staatlich unterstützte „Drei-Selbst-Bewegung“ eingebunden – die Kirchen müssen sich selbst verwalten, selbst finanzieren und selbst das Evangelium verkünden. Für Katholiken gilt dasselbe im Rahmen der „Patriotischen Vereinigung“.
Das hat, bei Katholiken wie bei Protestanten, zu einem Schisma zwischen Untergrundkirche und offizieller Kirche geführt, wobei die stärkste Wachstumsdynamik bei den Untergrundkirchen zu verzeichnen ist. Was dort gelehrt und gepredigt wird, entzieht sich freilich nicht nur der Kontrolle durch den Staat, sondern auch der Beeinflussung etwa durch Vorgaben aus Rom oder von etablierten evangelischen Kirchen. Das macht Untergrundkirchen anfällig für Missionare, Sektierer, Charismatiker. Die Liturgie ist oft synkretistisch.
In dieser für beide Seiten, den Staat wie die offiziellen Kirchen, unbefriedigenden Situation verändert die provisorische Übereinkunft zwischen Peking und dem Pontifex die Kräfteverhältnisse. Der Druck auf die Untergrundkirche nimmt zu. Entsprechend harsch fallen deren Reaktionen aus. Von einem „Abkommen mit dem Teufel“ ist die Rede, einem „moralischen Verrat an gläubigen Katholiken“.
Hongkongs emeritierter Bischof, Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, der in Schanghai aufgewachsen ist, wirft Rom Naivität vor und warnt vor einem „Ausverkauf“. Die Mitglieder der Untergrundkirche fühlten sich im Stich gelassen. „All die Jahrzehnte haben sie der Kommunistischen Partei und der von ihr aufgebauten falschen Kirche widerstanden.
Nun stehen sie da wie begossene Pudel.“ Papst Franziskus habe immer wieder das Recht auf Widerstand aus Gewissensgründen verteidigt, sagt der 86-jährige Geistliche. „Ich sage den Menschen: Nehmt dieses Recht wahr! Wenn sie auf euch zugehen und sagen: Werdet Mitglieder der offiziellen Partei-Kirche, dann weigert euch.“
Der Papst als Komplize im Kampf gegen die Untergrundkirche
Papst Franziskus indes hat vor allem die Einheit der katholischen Kirche im Blick. Das Abkommen solle zu einer Überwindung anhaltender Konflikte beitragen, heißt es in einer Botschaft an die Katholiken in China. Der mit den Behörden aufgenommene Dialog solle zu gegenseitigem Respekt und zum „Aufbau einer gemeinsamen Zukunft in größter Harmonie“ beitragen. „Ich fordere deshalb alle katholischen Chinesen auf, zu Urhebern der Versöhnung zu werden.“ Sie sollten gute Bürger sein, die ihre Heimat lieben und ihrem Land dienen.
Es ist ein Balanceakt. China gewinnt den Papst als Komplizen im Kampf gegen die katholische Untergrundkirche, der außerdem darauf verzichtet, chinesische Menschenrechtsverstöße und Verletzungen des Rechts auf Religionsfreiheit öffentlich anzuprangern. Der Papst wiederum weicht das chinesische Prinzip auf, sich nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen zu dürfen. Er leitet einen Prozess ein, von dem er sich eine Überwindung des Schismas der katholischen Kirche in China erhofft, und er ebnet den Weg, um die spirituelle Dynamik im Land mit beeinflussen zu können.
Am Ende dieses Weges könnte die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen stehen – und womöglich sogar eine Reise des katholischen Kirchenoberhauptes nach China. Wovon träumt der Papst? Das weiß nur er allein. Auf der Liste seiner Träume dürfte ein solcher Besuch ziemlich weit oben stehen.