Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen: Parlament setzt sich gegen Bundesregierung und Länder durch
Der Bundestag stimmt dem Gesetzespaket mit neuem Finanzausgleich und neuer Fernstraßenverwaltung zu. Und zeigt den Exekutiven in Bund und Ländern, wer am Ende bestimmt.
Sonderlich motiviert wirkten die beiden Minister nicht am Donnerstag im Bundestag. Kurz und bündig spulten Wolfgang Schäuble und Alexander Dobrindt ihre Reden herunter und empfahlen den versammelten Abgeordneten, dem Gesetzespaket zur Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen (inklusive Gründung der neuen Autobahngesellschaft) doch bitte zuzustimmen. Es ist eines der größeren Vorhaben der großen Koalition, und mit einem guten Dutzend Grundgesetzänderungen auch eine der größten Eingriffe in die Verfassung in den vergangenen Jahrzehnten.
Aber Dobrindt und Schäuble waren nicht recht in Stimmung. Kein Wunder: Die Minister mussten die Zustimmung zu einem Gesetz empfehlen, das mit ihrem im Januar vorgelegten Entwurf nicht mehr sonderlich viel zu tun hatte. Jedenfalls in dem Teil, in dem es um die Autobahngesellschaft geht. Die eigenen Koalitionsfraktionen hatten den Entwurf massiv verändert. Selten zuvor wurde eine Vorlage aus dem Kabinett im parlamentarischen Verfahren so zerzaust. Auch die Riege der Ministerpräsidenten auf der Bundesratsbank wirkte irgendwie gedämpft. Ebenfalls kein Wunder: Der Bundestag hatte noch einige Änderungen eingefügt, die den Bund gegenüber den Ländern stärken – über die Liste hinaus, die Schäuble den Ministerpräsidenten schon abverlangt hatte.
Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus klang fast triumphierend: Man zeige damit, dass Gesetze immer noch im Deutschen Bundestag gemacht würden „und nicht in der Ministerpräsidentenkonferenz oder irgendwelchen Runden im Kanzleramt“. Die SPD-Abgeordnete Bettina Hagedorn sekundierte: „Eine Sternstunde des Parlaments.“ Die Sitzung am Donnerstag war gewissermaßen der Höhepunkt der Rache des Parlaments an der Exekutive. Den Finanzausgleich hatten Bundesregierung und Länderchefs allein unter sich verhandelt, die Autobahngesellschaft war so konzipiert, dass die Parlamentarier völlig ausgebootet waren.
Wie sieht der neue Finanzausgleich aus?
Kern der Neuordnung ist ein verändertes System des Finanzausgleichs unter den Ländern und eine Entlastung der starken Länder durch den Bund. Bisher wurde die vom Grundgesetz verlangte finanzielle Solidarität der Länder untereinander zweistufig geregelt: über die Verteilung des Umsatzsteueranteils und über Abflüsse aus den Etats der Zahlerländer an die mit schwächeren Steuereinnahmen. Letzteres war der Länderfinanzausgleich im engeren Sinn, über den regelmäßig gestritten wurde, weil sich die starken Länder, voran Bayern, überlastet fühlten. Freilich waren diese Zahlungen letztlich nichts anderes als Durchlaufposten.
Künftig wird es nur noch eine Stufe geben, weshalb der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag von einem Mehr an Transparenz und einem einfacheren System sprach. Die Länder verteilen künftig ihren Umsatzsteueranteil nach Einwohnerzahl, wobei mit Zu- und Abschlägen je nach Finanzkraft ausgeglichen wird. Bei der Berechnung der Finanzkraft fließen die Einnahmen der Kommunen jetzt zu 75 Prozent ein (bisher 64 Prozent), was die stärkeren Länder etwas stärker rannimmt.
Dieser horizontale Finanzausgleich wird, wie bisher, ergänzt um Leistungen aus dem Bundeshaushalt. Nur eben ein bisschen mehr. Statt der Sonderzuweisung allein für den Osten wird es künftig eine Bundeszuweisung geben, die sich an der Gemeindefinanzkraft orientiert – von der aber auch die Ost-Länder am meisten profitieren. Das Saarland und Bremen bekommen aus dem Bundesetat jeweils 400 Millionen Euro im Jahr zur Haushaltssanierung. Einige schwächere West-Länder wie Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein bekommen zusätzliche Bundesmittel für Forschungsförderung. Und ganz pauschal gibt der Bund noch vier Milliarden Euro jährlich ins System. Insgesamt sinkt damit der horizontale Finanzausgleich der Länder von 18,4 auf 16,1 Milliarden Euro.
Wie stark be- und entlastet das neue Modell?
Schäuble hat immer vorgerechnet, dass der Bund insgesamt mit 9,5 Milliarden Euro zusätzlich belastet wird im Vergleich zum Status quo. Etwas anders sehen das die Länder, die bisherige Leistungen des Bundes, die 2019 auslaufen, in die Berechnung hineinnehmen. Laut Scholz macht das finanzielle Engagement des Bundes – jeweils bezogen auf 2019 – im alten Modell zehn Milliarden Euro aus, im neuen Modell 14 Milliarden. Die Entlastung der Länder durch den höheren Bundesanteil liegt je Einwohner zwischen 76 Euro (Niedersachsen) und 229 Euro (Mecklenburg-Vorpommern). Bayern (106 Euro) profitiert fast so stark wie Brandenburg (114 Euro). Berlin kommt um 142 Euro je Einwohner besser weg. Die Grünen-Finanzexpertin Anja Hajduk kritisierte, dass der neue Ausgleich vor allem stärkeren Ländern helfe.
Freilich hat sich der Bund sein stärkeres Engagement auch bezahlen lassen – über mehr Weisungsrechte in der Steuerverwaltung (die Ländersache ist), mehr Kontrollrechte des Bundes bei Mischfinanzierungen, stärkere Befugnisse des Bundesrechnungshofs auch in Ländern und Kommunen und mehr Vorgaben beim Aufbau eines bundesweiten Online-Portals für Bürokratisches, das für alle Bürger zugänglich sein soll.
Zudem darf der Bund künftig Schulbauten in finanzschwachen Kommunen mitfinanzieren – ob das schon ein Aufbrechen des Verfassungsgebots ist, dass der Bund sich nicht in die Schulpolitik der Länder einmischen darf, ist zwischen Union und SPD umstritten. Während Brinkhaus sagt, das „Kooperationsverbot“ sei davon gar nicht berührt, feierte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann dessen Ende.
Wie privatwirtschaftlich wird die Autobahngesellschaft?
Vor allem aber schnappte sich der Bund die alleinige Zuständigkeit für das Planen und Bauen der Autobahnen. Bisher erledigen das die Länder im Auftrag des Bundes mit ihren Straßenbauverwaltungen, doch der Bundestag war zunehmend unzufrieden damit, zwar das Geld zu geben, aber wenig Einfluss auf die Umsetzung von Autobahnprojekten zu haben. Wobei sich am Ende eben im Bundestag eine ganz andere Lösung ergab, als die Regierung vorhatte. Die neue „Infrastrukturgesellschaft“, die sich um die Autobahnen kümmern soll, wird zwar privatrechtlich als GmbH gegründet.
Aber die Regierungslinie, letztlich eine Art Autobahn-AG analog zur Deutschen Bahn zu schaffen und dabei auch eine Privatisierungspolitik zu ermöglichen (durch die Vergabe von großen Autobahnprojekten an Konzerne und Finanzinvestoren), fern der Kontrolle durch die Parlamentarier, wurde durchkreuzt. Man habe, was die Privatisierungsmöglichkeiten betrifft, dem Entwurf die „Giftzähne“ gezogen, lobte Hagedorn das eigene Werk.
Gibt es Hintertüren für Private?
In der Tat ist der Plan Dobrindts und Schäubles, die Gesellschaft möglichst staatsfern anzusiedeln, gescheitert – auch weil der Bundesrechnungshof im Gesetzgebungsverfahren massive Kritik an dem Vorhaben übte. Die Autobahngesellschaft wird nicht zur AG, sie darf nicht verkauft werden (und damit auch nicht die Autobahnen), sie darf keine eigenen Schulden aufnehmen, sie muss allein über den Bundeshaushalt finanziert werden, an den damit auch die künftigen Mauteinnahmen fließen. Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) werden beschränkt – sie sollen nicht mehr als hundert Kilometer umfassen und nicht in Ketten möglich sein. Ein Teil dieser Privatisierungsschranken wird sogar im Grundgesetz verankert, womit für künftige Änderungen Zweidrittelmehrheiten im Bundestag und im Bundesrat nötig sind.
Allerdings kritisierte der Grünen-Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler, dass drei „Hintertüren für eine Privatisierung“ noch offen seien. Die Umwandlung in eine AG, die Ausweitung von ÖPP-Einzelprojekten und die Nutzung privaten Kapitals durch Kredite oder die Ausgabe von Genussscheinen solle ebenfalls grundgesetzlich ausgeschlossen werden. Dobrindt allerdings machte deutlich, dass er an seiner ÖPP-Politik festhalten wolle und weiter solche Projekte anstrebe.
Der Bundesrechnungshof hält ÖPP, bei denen das Planen und Bauen, aber auch der Betrieb auf Jahrzehnte hinaus an ein Privatunternehmen (meist ein Firmenkonsortium) vergeben wird, für zu teuer im Vergleich mit der normalen Auftragsvergabe durch den Staat. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht warf der schwarz-roten Koalition vor, die Öffentlichkeit zu täuschen und trotz aller Privatisierungsschranken das Autobahnnetz als „Melkkuh für private Profiteure“ nutzen zu wollen. ÖPP seien „Raubverträge zur Plünderung der Steuerzahler“. Der Bundesrat wird an diesem Freitag wohl zustimmen.
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