Griechenland: Papandreou fordert sein Volk heraus
Die Griechen sollen über das Euro-Rettungspaket und die Sparmaßnahmen abstimmen. Damit schockt der Ministerpräsident Europa und stürzt sein Land in eine schwere politische Krise.
Völlig überraschend hat der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou am Montagabend ein Referendum über das umstrittene neue Hilfspaket der EU angekündigt. Die Volksabstimmung soll demnach „bindend“ sein. Lehnt das Volk die neue Vereinbarung ab, „wird sie nicht verabschiedet“, sagte Papandreou vor den Abgeordneten seiner sozialistischen PASOK-Partei. Neben dem Referendum über die Beschlüsse des Euro-Gipfels in Brüssel kündigte der Premier eine Vertrauensabstimmung im Parlament noch für diese Woche an.
Nach Angaben seines Finanzministers Evangelos Venizelos soll die Volksabstimmung erst abgehalten werden, wenn die Einzelheiten des Schuldendeals ausgehandelt sind – ein Prozess, der sich bis Anfang des kommenden Jahres hinziehen dürfte. Es gilt als wahrscheinlich, dass eine Mehrheit der Griechen den Schuldenschnitt und die damit verbundenen Sparmaßnahmen ablehnen wird.
In einer am Samstag veröffentlichten Umfrage hatten fast 60 Prozent der Griechen das neue Rettungspaket, das auf dem Euro-Gipfel am Mittwoch beschlossen worden war, als negativ oder wahrscheinlich negativ bewertet. Nur 12,6 Prozent befürworteten die Maßnahmen. Dann wäre der nächste Schritt womöglich ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone.
Das Volk sei der Souverän, es müsse in einer „historischen Stunde“ wie dieser unmittelbar und selbst entscheiden, begründete der Premier seine Entscheidung. „Wir vertrauen den Bürgern, wir glauben an ihr Urteilsvermögen“, sagte Papandreou. Wie die Frage, auf die Griechenlands Wähler mit Ja oder Nein antworten sollen, formuliert sein soll, verriet der Premier noch nicht. Die Kommentatoren in Athen waren zunächst ratlos. Manche Analysten sprechen bereits von einem „politischen Selbstmord“ Papandreous.
Lesen Sie auf Seite 2, warum Papandreou sein Land in eine schwere politische Krise stürzt.
Mit den Ankündigungen stürzt der griechische Premier sein Land, das seit zwei Jahren gegen den Staatsbankrott kämpft, nun in eine schwere politische Krise. Denn für eine Volksabstimmung bedarf es zunächst eines neuen Gesetzes, über das im Parlament abgestimmt werden muss. Überdies verbietet die griechische Verfassung ausdrücklich Volksabstimmungen über finanzpolitische Fragen.
Unter diesen neuen Voraussetzungen ist zudem ungewiss, ob sich die privaten Gläubiger noch zur freiwilligen Teilnahme an dem vergangene Woche beschlossenen Schuldenschnitt durchringen werden. Papandreou verstärkte die Verwirrung, indem er ankündigte, am Dienstag im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. Das Votum, über das das Parlament bis Freitag um Mitternacht debattieren soll, wird für Papandreou und sein Land zur Zitterpartie. Denn die regierende Pasok-Partei hatte zwar 160 Sitze nach der Wahl vom Oktober 2009. Inzwischen ist Papandreous Mehrheit aber bereits auf 153 der 300 Sitze zusammengeschmolzen. Verliert Papandreou den Rückhalt im Parlament, dürfte es nicht zu der Volksabstimmung kommen, sondern zu Neuwahlen.
Die Bundesregierung ist vom Plan Papandreous offensichtlich überrascht worden. Es handle sich dabei um eine „innenpolitische Entwicklung in Griechenland, über die der Bundesregierung bisher noch keine offiziellen Informationen vorliegen“, teilte das Bundesfinanzministerium am Montagabend in Berlin mit.
Gerd Höhler