Gerettet?!: Fünf Beschlüsse gegen die Krise
Beim EU-Gipfel konnten sich die Staats- und Regierungschefs der 17 Eurostaaten in fünf wichtigen Punkten einigen. Das Ergebnis des EU-Gipfels im Überblick.
1 Hausaufgaben
Dass die Mitgliedstaaten „ihre Hausaufgaben machen müssen“, damit langfristig wieder Vertrauen in den Euro entstehen kann, nennt Angela Merkel dieser Tage stets als ersten Punkt. Die größte Entwicklung auf diesem Gebiet ist, dass sich alle 17 Eurostaaten dazu verpflichtet haben, bis Ende nächsten Jahres eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild möglichst in ihren Verfassungen zu verankern.
Dem unwilligen Italiener Silvio Berlusconi wurde bereits beim ersten Gipfelteil vorgeführt, wie ernst es nun mit den Finanzen ist. Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy ermahnten ihn öffentlich; er musste am Mittwoch schriftlich eine Reformagenda samt Zeitplan und Überwachung durch die EU-Kommission akzeptieren. Unter anderem soll der Schuldenstand bis 2014 von jetzt 119 auf 113 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zurückgefahren werden. Auch das andere große potenzielle Krisenland Spanien machte Zusagen – es soll unter anderem einen Umbau des Bankensektors und weitere Arbeitsmarktreformen geben.
2 Schuldenschnitt für Griechenland
Nach zähen Verhandlungen erklärte sich der internationale Bankenverband IIF bereit, mit Athen eine „freiwillige“ Vereinbarung zu entwickeln. Anders als Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des deutschen Bankenverbandes (BdB) behauptet, geschah der Verzicht der Banken allerdings nicht ganz freiwillig. Er sprach am Donnerstag von einem Angebot, das die Banken gemacht haben. Tatsächlich aber hat der EU-Gipfel die Institute zur Freiwilligkeit gedrängt, ansonsten hätte ihnen ein noch stärkerer Schnitt gedroht. Der IIF vertritt zwar nur einen Teil der privaten Investoren, weshalb es noch in diesem Jahr zu einer Gläubigerversammlung kommen soll. Die exakte Höhe der privaten Beteiligung und im Umkehrschluss der öffentliche Finanzierungsbedarf wird sich erst danach genau ermitteln lassen. Der Eurogipfel hat jedoch konkrete Zielmarken definiert.
So soll Griechenlands Gesamtschuldenstand bis zum Jahr 2020 bei maximal 120 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Dafür ist es notwendig, dass die Investoren auf 50 Prozent des Nominalwerts ihrer Papiere verzichten – im Juni war lediglich ein Abschlag von 21 auf den deutlich niedrigeren, aktuellen Marktwert vereinbart worden. Im Gegensatz zur Vereinbarung vom Juli bezieht sich der Schuldenschnitt von 50 Prozent und die entsprechenden Abschreibungen der Banken zudem nicht auf den aktuellen Zeitwert der Anleihen, sondern auf den Nominalwert von 100 Prozent, zu dem Athen das Geld zurückzahlen muss.
Der Umtausch von bestehenden in neue im Wert halbierte Bonds soll nach Angaben Merkels im Januar stattfinden.
Der Verlust ist den Gläubigern schmackhaft gemacht worden. Es gibt eine Absicherung der neuen Bonds. Die Europäer sichern diese mit 30 Milliarden Euro gegen einen Zahlungsausfall ab. Im Gegenzug hat sich Griechenland verpflichtet, künftige Privatisierungserlöse und mögliche Einnahmen aus dem Solarenergieprojekt Helios bis zu einer Höhe von 15 Milliarden Euro an den Krisenfonds zu überweisen.
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3 Rettungsschirm
Der Rettungsschirm EFSF wird in seiner Wirkung maximiert. Ziel ist es, möglichst viel Geld bereitzuhalten, um durch gezielte Ankäufe unter Druck geratener Staatsanleihen den Markt zu stabilisieren. Eine höhere „Feuerkraft“, wie EU-Kommissionschef José Manuel Barroso dies genannt hat, entsteht dadurch, dass die zur Verfügung stehenden 440 Milliarden Euro nicht nur für Hilfskredite an Griechenland, Portugal und Irland oder direkte Käufe von italienischen und spanischen Staatsanleihen ausgeben werden. Stattdessen soll Käufern lediglich ein Teil des Risikos abgenommen werden. Wenn diese also bei einem Zahlungsausfall garantiert 20 oder 25 Prozent des Nennwertes zurückbekämen, entstünde der von Kanzlerin Merkel genannte Hebel.
Der wiederum ist nicht auf die gesamte Summe anwendbar. Denn ein Teil der 440 Milliarden ist bereits fix für Griechenland, Portugal und Irland gebunden. Zum „Hebeln“ bleiben nach Angaben aus EU-Diplomatenkreisen somit zwischen 250 und 275 Milliarden Euro übrig. Das ergibt nach Adam Riese mindestens eine Billion und maximal 1,375 Billionen Euro an möglichen Investitionen in den europäischen Anleihemarkt.
Zudem sollen eigene Zweckgesellschaften – angesiedelt entweder beim Rettungsschirm oder dem Währungsfonds – gegründet werden. In diese würden Europäer und Chinesen, Inder oder Araber gemeinsam einzahlen. Ganz genaue Zahlen wird man deshalb erst dann bekommen, wenn klar ist, welche Garantien diese Länder verlangen. Gleich nach dem Gipfelbeschluss ist EFSF-Boss Klaus Regling deshalb gestern nach Asien aufgebrochen, um den Markt zu testen. Sarkozy telefonierte mit dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao.
4 Bankenrekapitalisierung
„Mit diesem Puffer werden die Banken einer ganzen Reihe von Schocks widerstehen können“, schreibt die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) zur neuen Kernkapitalquote, die die Institute bald vorweisen müssen. Die etwa 60 bis 70 europäischen Großbanken, deren Kollaps die ganze Finanzwirtschaft in den Abgrund reißen könnte, müssen der in London ansässigen Behörde bis Ende des Jahres einen Plan vorlegen. Sie sollen darin mitteilen, wie sie bis Ende Juni 2012 eine Eigenkapitalquote in Höhe von neun Prozent erreichen wollen. So schreibt es die Einigung vor, die der EU-Gipfel jetzt gefunden hat.
Die EBA hat errechnet, dass – ausgehend von den aktuellen Kapitalquoten – insgesamt 106 Milliarden Euro nötig sind, damit alle betroffenen Banken den geforderten Wert zu erreichen.
Bei deutschen Banken gehen die Experten bisher von knapp sechs Milliarden Euro Kapitalbedarf aus, bei den französischen von knapp neun Milliarden und bei italienischen von 14 Milliarden Euro. Griechenland ist ein Sonderfall, da es vom Schuldenschnitt besonders hart betroffen ist. Hier wird der Bedarf von 30 Milliarden Euro direkt über das zweite Hilfspaket für Athen gedeckt werden. Aber auch bei den spanischen Geldhäusern fehlen 26 Milliarden Euro. Dementsprechend hatte sich die Regierung in Madrid bei diesem Thema besonders stark engagiert. Sie wollte nicht verpflichtet werden, die Banken ihres Landes selbst zu stützen, sondern wollte ursprünglich am liebsten sofort Zugang zum Geld des Euro-Rettungsschirms bekommen. Das war im Kreis der 27 Mitgliedstaaten nicht konsensfähig.
Die vereinbarten stattdessen eine feste Reihenfolge: Zuerst müssen die Banken selbst versuchen, ihren Kapitalstock zu erhöhen. In der Zeit, in der die Institute ihre Kapitalquote zu erfüllen suchen, dürfen keine Dividenden an die Eigentümer und keine Boni an das Management ausbezahlt werden. Für den Fall, dass dies nicht möglich sein sollte, vereinbarten die EU-Staaten, dass sie ihren jeweiligen Banken dabei helfen werden. Erst wenn ein europäischer Staat die Bankenstützung nicht selbst stemmen kann, darf er Hilfe aus dem Euro-Rettungsschirm EFSF für seine Banken beantragen.
5 Wirtschaftsregierung
Neben den kurzfristigen Krisenmaßnahmen zur Stabilisierung der Märkte will die EU auch eine politische Antwort auf die Krise geben. Bis Dezember soll EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy einen Bericht dazu ausarbeiten, wie „die Wirtschaftsunion vertieft werden kann, wozu auch gehört, zu sondieren, inwieweit in begrenztem Umfang Vertragsänderungen vorgenommen werden können“. Vor allem Deutschland will, dass Defizitsünder vor den Europäischen Gerichtshof gezerrt und damit zur Haushaltskorrektur gezwungen werden können. Die Niederländer haben vorgeschlagen einen EU-Kommissar zur finanziellen Überwachung abzustellen.
Auf der praktischen Ebene soll die Arbeit der Eurozone stärker institutionalisiert werden, da gerade die aktuelle Krise zeigt, wie unterentwickelt die Strukturen waren und teilweise noch sind. Die komplexen Gipfelvorarbeiten wurden beispielsweise vom Italiener Vittorio Grilli koordiniert, der der sogenannten Euro-Arbeitsgruppe vorsteht, aber eigentlich Finanzstaatssekretär in Rom ist. Künftig wird es einen hauptamtlich Verantwortlichen in Brüssel und insgesamt mehr Personal geben. Die Euro-Staats- und Regierungschefs wollen sich künftig auch unabhängig von Krisenlagen mindestens zwei Mal im Jahr treffen. Sie werden Mitte nächsten Jahres einen eigenen Präsidenten wählen, wenn auch der EU-Ratschef von allen 27 Gipfelteilnehmern gewählt wird. Es spricht viel dafür – das ist zumindest der Wunsch von Deutschland und Frankreich – dass Van Rompuy zukünftig beide Ämter in Personalunion ausüben wird.
Christopher Ziedler, Rolf Obertreis