Nahost-Konflikt: Palästina anerkennen - aber nicht sofort
Das EU-Parlament hat sich heute auf eine gemeinsame Position zu Palästina verständigt. Unterdessen hat der Europäische Gerichtshof die EU angewiesen, die Hamas von ihrer Terror-Liste zu streichen.
Die Frage ist so brisant wie umstritten: Soll Europa Palästina als eigenen Staat anerkennen, bevor er de facto existiert? Wäre das ein Geschenk für den Frieden im Nahen Osten oder ein gewaltiges Hindernis? Die Meinungen darüber gehen auch in der Europäischen Union weit auseinander. Das gilt auch für das EU-Parlament, das am Mittwoch über dieses Thema kontrovers debattierte. Die Abgeordneten sollten sich in Sachen Palästinenserstaat möglichst auf eine gemeinsame Position verständigen. Das gelang auch. Die Volksvertretung „unterstützt grundsätzlich die Anerkennung Palästinas“, allerdings nur in Verbindung mit Friedensverhandlungen, hieß es in der Entschließung am Mittwoch in Straßburg.
EU soll Hamas von Terrorliste streichen
Unterdessen hat der Europäische Gerichtshof die EU angewiesen, die Palästinenserorganisation Hamas von ihrer Terror-Liste zu streichen. Die Entscheidung sei aus "Verfahrensgründen" getroffen worden, wie der Gerichtshof am Mittwoch in Luxemburg mitteilte. Die von der EU getroffene Entscheidung basiere nicht auf "untersuchten und bestätigten Akten zuständiger Behörden, sondern auf sachlichen Anschuldigungen, die aus der Presse und aus dem Internet stammen".
Die gegen die Hamas verhängten Strafmaßnahmen bleiben allerdings vorerst in Kraft, "um die Wirksamkeit jedes künftigen Einfrierens von Geldern abzusichern".
Der militärische Arm der Hamas steht seit 2001 auf der EU-Terrorliste, seit 2003 auch der politische Teil der Organisation. Dadurch wurden Gelder der Organisation und ihrer Mitglieder in Europa eingefroren.
Das Gericht betonte, seine Entscheidung äußere sich nicht wesentlich zu der Frage, ob die Hamas tatsächlich eine terroristische Organisation sei. Die Strafmaßnahmen gegen die Hamas werden dem Urteil zufolge nun noch für mindestens drei Monate aufrecht erhalten oder im Falle einer Berufung, bis dieses Verfahren entschieden ist.
Die Hamas wurde kurz nach Beginn der ersten Intifada im Dezember 1987 gegründet. Programmatisches Ziel ist die Zerstörung Israels und die Errichtung eines islamischen Staates Palästina von der Mittelmeerküste bis zum Jordan.
Breite Unterstützung für Resolutionsentwurf
Der Resolutionsentwurf zur Anerkennung Palästinas im EU-Parlament war am Dienstag von Vertretern der Konservativen, der Sozialdemokraten, der Liberalen und der Grünen erarbeitet worden. "Bei einer so wichtigen symbolischen Abstimmung muss das Europäische Parlament mit einer großen Mehrheit sprechen", sagte der SPD-Europaabgeordnete Arne Lietz dem Tagesspiegel. Er sieht in einer solchen Resolution einen wichtigen Baustein für die Nahostinitiative der neuen EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Ein weiterer sei eine gemeinsame Position der EU-Mitgliedsstaaten. "Damit können wir stärker darauf hinwirken, dass sich die Konfliktparteien wieder an einen Tisch zu setzen, denn die EU ist in der Region eine wichtige Stimme."
Sofortige Anerkennung ausgeschlossen
Klar war: Eine sofortige bedingungslose Anerkennung Palästinas, wie kürzlich von Schweden vollzogen, taugte für einen Kompromiss nicht. Dieser "schwedischen Lösung" stand zunächst die "spanische Lösung" gegenüber, die eine Anerkennung erst nach erfolgreicher Beendigung eines Friedensprozesses vorsieht. Seit Monaten wächst in Europa die Unterstützung für einen souveränen Palästinenserstaat. Die Parlamente in London, Madrid und Paris haben ein, wenngleich für die betreffenden Regierung nicht bindendes Pro-Palästina-Votum abgegeben. Ungarn, Polen und die Slowakei sind bereits vor ihrem Beitritt zur Europäischen Union diesen Schritt gegangen. Weltweit sind es mittlerweile mehr als 130 Staaten. In der Konfliktregion wird all das sehr genau verfolgt. So nannte Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas die Entscheidung in Schweden "historisch", für Israels Außenminister Avigdor Lieberman war es dagegen ein Tag der "Schande".
Befürworter wollen Druck auf Israel erhöhen
Die Befürworter einer bedingungslosen Anerkennung Palästinas argumentieren in der Regel, nur so könne der Druck auf den hartleibigen israelischen Ministerpräsidenten erhöhen. Benjamin Netanjahu habe offenkundig kein Interesse an einer Übereinkunft mit Präsident Abbas und torpediere bei jeder Gelegenheit Gespräche über eine Zwei-Staaten-Lösung - vor allem mit seiner Siedlungspolitik. Daher sei ein klares Zeichen in Richtung Jerusalem nötig. Zumal nach dem 50-Tage-Krieg in Gaza gegen die Hamas. Seitdem liegen die Verhandlungen gänzlich auf Eis.
Gegner fürchten verhärtete Fronten
Die Gegner dagegen betonen immer wieder: Eine einseitige Anerkennung des palästinensischen Staates bringt den Nahen Osten keinen Schritt näher in Richtung Frieden. Im Gegenteil. Die Fronten würden sich so nur verhärten. Entscheidend sei, dass die beiden Kontrahenten durch Verhandlungen eine Einigung erzielen. Nur dann könne eine Zwei-Staaten-Lösung funktionieren. Wenn ein Abkommen mit Israel beschlossene Sache ist, wäre die Anerkennung eines souveränen Palästinas lediglich Formsache.
Vor allem die Bundesregierung vertritt diese Linie, allen voran Kanzlerin Angela Merkel. Das hat die CDU-Politikerin in der Vergangenheit mehrfach deutlich gemacht. Und von nationalen Alleingängen hält man - bei allem Verständnis für die Lage der Palästinenser - sowohl in der Union als auch in der SPD wenig, nicht zuletzt aufgrund des besonderen Verhältnisses zu Israel.
Deutschland hält sich zurück
Die Unterstützung für diese Haltung ist recht groß. Eine Anerkennung Palästinas, sei sie durch die EU oder durch einen einzelnen Staat sei der falsche Ansatz, sagte zum Beispiel der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, dem Tagesspiegel. "Letztlich können einseitige Anerkennungen sogar den gesamten politischen Prozess in der Region gefährden", sagte er. Dies könne wie eine Belohnung verstanden werden, ohne dass am Verhandlungstisch Ergebnisse erzielt würden.
Auch der Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag, der Grüne Volker Beck, ist skeptisch, ob Resolutionen sinnvoll sind. "Deklamatorische Politik hat in Nahost selten etwas bewegt", sagte er dem Tagesspiegel. Er plädiert dafür, konkrete Ereignisse zu nutzen, um den Friedensprozess in der Region wieder in Gang zu bringen und auf die Parteien Einfluss zu nehmen. "Die EU hätte bei der Wiederaufbaukonferenz für Gaza klare Bedingungen an die Regierung von Gaza für ihre Hilfszusagen formulieren können; Deutschland hätte seine Zusagen für Waffenlieferungen nutzen sollen, um seinen Einfluss auf die israelische Regierung für einen Siedlungsstopp und eine Verbesserung der Lebenssituation der Palästinenser in den besetzten Gebieten zu nutzen."
Linkspartei fordert umgehende Anerkennung
Das sehen allerdings nicht alle Grünen so. Und auch nicht die größte Oppositionspartei im Bundestag. Erst jüngst hatte sich Fraktionschef Gregor Gysi dafür ausgesprochen, Palästina umgehend anzuerkennen. Das müsse auch für Deutschland eine Selbstverständlichkeit sein. Schließlich hätten die UN 1947 die Bildung zweier Staaten beschlossen. "Israel gibt es seitdem, und es wird höchste Zeit, dass neben einem sicheren jüdischen Staat auch ein sicherer lebensfähiger Staat Palästina in den Grenzen von 1967 geschaffen wird." Doch mehrheitsfähig ist diese Position weder im Bundestag noch im EU-Parlament.
Sorge um Verhältnis zu Israel
Reinhold Robbe treibt nicht zuletzt das ohnehin seit langem angespannte Verhältnis zwischen Israel und der EU um. Dass sich jetzt auch das Europa-Parlament in einer "überflüssigen Debatte" mit dem Thema Palästina beschäftigt, hält der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft für eine "fatales Signal" in Richtung Jerusalem. "In Brüssel bekommt man offenbar nicht mit, wie schlecht es bereits um die Beziehungen zum jüdischen Staat bestellt ist." Israel sei zunehmend enttäuscht und wende sich von der EU ab. Das Vertrauen habe gelitten. "Dabei brauchen wir Israel als Partner in der Krisen-Region dringend."
Israel unzufrieden mit Europäern
Israels Botschafter in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, kritisierte die Europäer denn auch. Dem Tagesspiegel sagte er, es scheine, als würde die Palästinensische Autonomiebehörde die Anerkennung eines unabhängigen Staates ohne Frieden und ohne ein Ende des Konflikts wollen. "Es ist bedauerlich, dass europäische Politiker und Länder diesen Prozess naiverweise antreiben." Israel schätze Deutschlands Haltung, dass diese Art von Aktionen die angestrebte Zwei-Staaten-Lösung in weite Ferne rückten. "Nur direkte Verhandlungen zwischen beiden Seiten werden einen dauerhaften Frieden, ein Ende des Nahostkonfliktes und einen unabhängigen palästinensischen Staat für die Palästinenser neben einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk möglich machen."