Milliarden für den Wiederaufbau Gazas: Ihr Leben in Trümmern
Nach dem 50-Tage-Krieg zwischen Israel und der Hamas ist der Schaden in Gaza immens. Der Westen und arabische Staaten stellen einen Milliardenbetrag für den Wiederaufbau zur Verfügung. Sie fordern aber gleichzeitig politische Fortschritte im Nahostkonflikt. Worauf kommt es jetzt an?
Was fordern die Palästinenser?
Nach 50 Tagen Krieg gegen Israel stehen die meisten Menschen im Gazastreifen vor dem Nichts. Der Küstenstreifen braucht deshalb umfassende Soforthilfe. Dazu gehören der Bau von Unterkünften, die Lieferung von Nahrungsmitteln, die Wiederherstellung des Stromnetzes und umfassende Investitionen in die Infrastruktur. Auch die vielen Traumatisierten benötigen Hilfe. Und das so schnell wie möglich.
Wiederaufbau allein reiche allerdings nicht aus, betont die Botschafterin und Leiterin der palästinensischen Mission in Deutschland, Khouloud Daibes. Entscheidend sei, dass die Menschen wieder eine Perspektive erhielten. "Dafür ist eine politische Lösung des Konflikts unerlässlich." Für Daibes gehört dazu unabdingbar die Aufhebung der Gaza-Blockade und ein Ende der Besatzung – Forderungen, die auch die Hamas erhebt. Die Islamisten setzten dabei bislang aber auf den bewaffneten Kampf.
Als Israel im Sommer den Gazastreifen angriff, war das vor allem eine Reaktion auf den ständigen Raketenbeschuss. Ob der folgende 50-Tage-Krieg für den jüdischen Staat ein erfolgreicher war, ist umstritten. "Auch Israel müsste klar sein: Militärisch kann es keine Lösung geben. Das hat der jüngste Konflikt gezeigt", sagt die Diplomatin Daibes. Doch bei der israelischen Regierung gebe es kein Interesse an einem souveränen palästinensischen Staat. Daher sei es notwendig, dass die Staatengemeinschaft den Druck auf Israel erhöhe. "Wir brauchen eine Zwei-Staaten-Lösung. Das ist auch im sicherheitspolitischen Interesse Israels. Sonst müssen wir schon bald wieder eine Geberkonferenz für Gaza einberufen."
Worauf legt Deutschland Wert?
Für die Bundesregierung steht fest: Es kann kein Zurück zum Status quo geben. Niemand wird langfristig investieren, wenn ein entsprechendes politisches Umfeld fehlt. Zwei Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein. Zum einen braucht es Sicherheitsgarantien für Israel. Im Klartext heißt das, Gaza darf nicht mehr von der Hamas und anderen Extremisten als Waffenlager missbraucht werden.
Zum anderen müssen sich die Lebensbedingungen der Menschen in Gaza verbessern. Ohne einen freien Personen- und Warenverkehr gibt es nach Deutschlands Auffassung keine Zukunftsperspektive für die Einwohner. Doch von einer befriedigenden politischen Lösung des Gazakonflikts ist man noch weit entfernt. Die indirekten Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern in Kairo über einen tragfähigen Waffenstillstand verliefen bislang eher "enttäuschend", heißt in deutschen Regierungskreisen. Es fehle eine ernsthafte Bereitschaft, an der Situation etwas zu ändern.
Wie steht Israel zu Gazas Wiederaufbau?
Wenn in Gaza nur Not und Elend herrschen – das weiß man auch in Israel –, treibt das die Menschen in die Hände der Hamas. Das hieße wiederum, den erklärten Feind stark zu machen. Folglich hat auch der jüdische Staat ein Interesse daran, dass sich die Lebensbedingungen im dicht bevölkerten Küstenstreifen verbessern – nicht zuletzt um der eigenen Sicherheit willen.
"Man muss den Menschen in Gaza Hoffnung geben", sagt Israels ehemaliger Botschafter Shimon Stein. "Nur: Es gab schon viele Geberkonferenzen, auf denen viel versprochen, aber wenig gehalten wurde", betont Stein. Es komme zudem darauf an, dass etwa der gelieferte Zement ausschließlich für den Häuserbau genutzt werde und nicht wie bisher für den Bau von Terrortunneln.
Mit Blick auf die Gespräche zwischen Palästinensern und Israelis über eine stabile Waffenruhe hebt Shimon Stein hervor, dass die Konfliktparteien sich bislang an die Vereinbarungen hielten. Entscheidend sei aber, eine möglichst dauerhafte Lösung zu finden. Diese müsse sowohl den Menschen in Gaza eine Perspektive aufzeigen als auch eine Aufrüstung der Hamas verhindern, also Israels Sicherheitsbedürfnis Rechnung tragen. "Deshalb muss in Kairo weiter verhandelt werden."
Doch innerhalb der Regierung von Benjamin Netanjahu gibt es dagegen heftigen Widerstand. Vor allem nationalistische Kräfte um Wirtschaftsminister Naftali Bennett und Außenminister Avigdor Lieberman halten gar nichts von Gesprächen. Sie hatten schon während des Krieges dafür plädiert, die Hamas zu stürzen und den Gazastreifen erneut zu besetzen, zumindest vorübergehend. Doch darauf wollte sich Netanjahu nicht einlassen. Allerdings weiß der Premier auch: Er muss den Menschen im Süden des Landes einen dauerhaften Schutz vor Raketenangriffen verschaffen. Anderenfalls steht sein politisches Überleben auf dem Spiel.
Was erwartet Amerika?
US-Außenminister John Kerry machte bei der Geberkonferenz in Kairo klar, ohne eine umfassende Friedenseinigung lasse sich der Kreislauf der Gewalt nicht durchbrechen. "Waffenstillstand ist kein Frieden. Wir müssen zurück an den Verhandlungstisch und den Verantwortlichen helfen, harte Entscheidungen zu fällen – Entscheidungen, die mehr sind als nur ein Waffenstillstand", sagte Kerry. Dessen erster Verhandlungsmarathon war im April gescheitert – vor allem an der ständigen israelischen Siedlungsexpansion im besetzten Westjordanland. Und der Weigerung Jerusalems, die vorab als Geste guten Willens vereinbarten palästinensischen Gefangenen auch tatsächlich alle freizulassen.
Welche Rolle spielt Ägypten als Vermittler?
Ägyptens Präsident Abdel Fattah al Sissi als Gastgeber des internationalen Treffens forderte Israel auf, die arabische Friedensinitiative von 2002 zu akzeptieren. Damals hatte die Arabische Liga bei ihrem Treffen in Beirut auf Initiative von Saudi-Arabien Israel einen umfassenden Frieden und diplomatische Anerkennung angeboten, wenn es sich auf die Grenze von 1967 zurückziehe, einer "gerechten Lösung" für die vertriebenen Palästinenser sowie der Gründung eines Palästinenserstaates zustimme. Jerusalem ging auf das Angebot jedoch nicht ein. Ob sich daran etwas ändern wird, ist unklar.
Dennoch will sich die Regierung in Kairo weiter darum bemühen, dass für Gaza eine dauerhafte Übereinkunft zwischen Israel und den Palästinensern zustande kommt. Die Beziehungen zu Jerusalem gelten als gut, das Verhältnis zur Hamas als ziemlich schwierig. Kein Wunder, die islamistische Organisation ist ein Ableger der in Ägypten verbotenen Muslimbruderschaft. Deshalb setzt Kairo alles daran, Palästinenserpräsident Abbas und seine Autonomiebehörde politisch zu stärken.
Christian Böhme, Martin Gehlen