Asyl: Eine Million Flüchtlinge? Das ist zu schaffen!
In Deutschland wächst die Bereitschaft zu helfen auf beeindruckende Art und Weise. Das wirkt sich auch auf die Politik aus. Ein Kommentar.
Mit einer Million Flüchtlinge in diesem Jahr rechnet jetzt die Politik – und zugleich wächst in Deutschland die Bereitschaft zu helfen auf beeindruckende Art und Weise: Es wird gespendet wie noch nie, Geld, Sachen, Zeit, und eine klare Mehrheit meint: Das schaffen wir. Nur auf den ersten Blick wirkt das erstaunlich, und zwar beim Blick zurück: Anfang der neunziger Jahre war die Politik dem verbreiteten Gefühl gefolgt, nun sei es genug, mehr Flüchtende könnten nicht verkraftet, könnten den Deutschen nicht zugemutet werden – so wurden die Asylgesetze verschärft. Dass Flüchtlinge willkommen seien, war die trotzige Behauptung einiger weniger; größere Solidaritätsbekundungen – Lichterketten, „Gesicht zeigen“-Aktionen – blieben gelegentliche Ausnahmen.
"Refugees welcome" lautet die trotzige Behauptung vieler
Daran hatte sich bis Anfang dieses Jahres wenig geändert. „Refugees welcome“? Das galt vielleicht in Kreuzberg. Den angeblich „besorgten Bürgern“, die offen Rassismus propagierten, stellten sich nur ein paar Aktivisten in den Weg. Gelegentliche Berichte über ertrunkene Flüchtlinge wurden nach kurzer Empathiebekundung schnell wieder vergessen, auch von der Politik. Das ist heute anders. „Refugees welcome“ ist die trotzige Behauptung vieler, selbst in Kreisen, in denen lange das Ressentiment zu Hause war. Wohnungen und Zimmer werden zur Verfügung gestellt, Spielzeug wird zu Heimen gebracht, Nachhilfe und Unterstützung angeboten. Als unzumutbar wird von einer großen Mehrheit der Deutschen nicht mehr die Aufnahme von Flüchtlingen empfunden, auch nicht von vielen, sondern ein unwürdiger Umgang mit ihnen.
Das wirkt sich auch aus auf die Politik. Oder wirkt es gar zurück von der Politik? Bemerkenswert ist jedenfalls, dass Angela Merkel, zuletzt wegen ihrer vermeintlichen Sprachlosigkeit angesichts rassistischer Pöbler und brennender Heime gescholten, sehr früh eindeutig Stellung bezogen hat – bei ihrer Neujahrsansprache. Als Sigmar Gabriel noch nach potenziellen Wählern unter den Pegida- Mitläufern suchte, ging die Kanzlerin in die Offensive: „Folgen Sie denen nicht“, rief Merkel, „zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!“. Selbstverständlich sei es, dass Flüchtlinge aufgenommen werden, und dass sie bei uns Zuflucht suchen, „ein Kompliment für Deutschland“, „ein Gewinn für uns alle“. So ist es.
Ignorieren lässt sich das Thema jedenfalls nicht mehr, die Schlagzahl der Nachrichten zwingt zur Beschäftigung damit und so auch zu einer Haltung. Fraglich bleibt allerdings, wie haltbar diese ist. Denn klar ist auch, dass ein Kompliment flüchtig sein kann – Ansehen muss erarbeitet werden. Und bevor die Flucht nach Deutschland auch zu einem Gewinn für Deutschland wird, ist viel zu tun. Offen integrativ sind wir hier – mal ganz abgesehen vom Alltagsrassismus – jedenfalls noch lange nicht. Das beginnt bei der Bildung für Flüchtlingskinder, die nicht ausreichend gewährleistet ist und sogar in Frage gestellt wird, und das endet nicht beim Versäumnis, bei der Erstaufnahme auch nur zu fragen, was einer gelernt hat und leisten kann.
Vor allem aber kommt es jetzt auf pragmatische Hilfe an. Es müssen Unterkünfte gefunden werden, für viel mehr Menschen als noch vor Kurzem gedacht, und es steht der Winter bevor. Vorbereitet ist das alles nicht. Aber keine Frage: Wir schaffen das.