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Chirurgen operieren in einer Klinik einen Patienten, im Vordergrund liegt Operationsbesteck.
© Jens Ressing dpa/lby
Update

Alternative zu Spahn-Entwurf: Organspende soll freiwillige Entscheidung bleiben

Eine parteiübergreifende Parlamentariergruppe warnt davor, Schweigen als Zustimmung zur Organspende zu werten – und stellt eine Alternative vor.

Kurz vor dem Auftritt der Frauen versuchte Jens Spahn noch mal, den Streit herunterzudimmen. Er empfinde ihren Gesetzentwurf zur Organspende nicht als Widerstand gegen seine Pläne, sagte der Gesundheitsminister am Morgen im ZDF. Allen gehe es schließlich um das gleiche Ziel: die Zahl der Organspender zu erhöhen.

Tatsächlich hatte es schon Zoff gegeben, bevor die Abgeordneten um Annalena Baerbock (Grüne), Katja Kipping (Linke), Karin Maag (CDU), Hilde Mattheis (SPD) und Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) an diesem Montag ihr Konzept vorstellten. Das lag daran, dass die Gruppe um Spahn entgegen der Absprache mit ihrer Idee bereits im April an die Öffentlichkeit ging, als das Konzept der anderen noch nicht fertig war. Und es liegt, natürlich, am Inhaltlichen.

Selbstbestimmung zentral für menschliche Würde

Spahn will, dass künftig jedem, der zu Lebzeiten nicht aktiv widersprochen hat, nach dem Hirntod Organe entnommen werden dürfen. Baerbock, Kipping & Co. warnen vehement davor. Sie möchten die Bürger zwar deutlich stärker und öfter mit dem Thema konfrontieren. Organentnahmen ohne vorherige Zustimmung der Betroffenen sollen aus ihrer Sicht aber auch weiterhin untersagt sein. Denn die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, so formulieren sie in ihrem Gesetzentwurf, sei „ein zentrales Element menschlicher Würde“.

Warnung vor wachsendem Misstrauen

Organspenden müssten eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben, verlangte die CDU-Politikerin Maag bei der Präsentation des Gegenentwurfs. Sie dürften weder erzwungen noch von der Gesellschaft erwartet werden, so die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion.

Dazu kommen verfassungsrechtliche Bedenken. Schweigen als Willenserklärung umzudeuten, kenne das deutsche Recht nicht, mahnte Aschenberg-Dugnus. „Das ist nicht das Menschenbild, das wir haben.“ Zudem sei eine solche Regelung kontraproduktiv, sie fördere das Misstrauen. Es sei damit zu rechnen, dass sich dem dann auch solche Bürger wiedersetzten, die einer Organspende eigentlich positiv gegenüberstünden.

Wenigstens alle zehn Jahre ein Thema

Und Linken-Chefin Kipping beschrieb den Unterschied der beiden Entwürfe so: „Wir wollen, dass sich möglichst viele bewusst für ein Ja entscheiden.“ Spahn wolle, dass möglichst wenige „Nein“ sagten - und deshalb auch die Pflicht der Krankenkassen zu regelmäßiger Organspende-Information abschaffen. Das Schweigen von 16-Jährigen, die sich gerade mit Liebeskummer oder ihrem ersten Ausbildungsplatz herumschlügen und später nicht mehr gefragt würden, sei aber wahrlich nicht als bewusste Organspende-Entscheidung zu verstehen.

Stattdessen müsse es die Möglichkeit geben, die eigene Entscheidung einfach zu dokumentieren und sie nach Lebenssituation auch jederzeit ändern zu können, sagte Baerbock. Ihr Entwurf sieht dafür ein bundesweites Online-Register vor, auf das die berechtigten Ärzte dann Zugriff hätten. Zudem sollten die Bürger künftig immer, wenn sie Ausweise beantragen, nach ihrer Bereitschaft zur Organspende befragt werden. Das würde bedeuten: Auch wenn ihnen keine Entscheidung abverlangt wird, hätten sie sich wenigstens alle zehn Jahre mit dem Tabu-Thema auseinanderzusetzen.

Appell auch in Ausländerbehörden

"Der Mensch ist ein bequemer", sagte Maag zur Begründung. In Sachen Organspende müsse man einfach immer wieder an ihn herantreten. Vorgesehen sei dies bei allen Gelegenheiten, wo man die Bürger erreiche, betonte Mattheis: beim Erste-Hilfe-Kurs zum Erwerb des Führerscheins, bei der Passausgabe, in den Ausländerbehörden, beim Arztbesuch.

Und es gehe nicht bloß darum, mehrfach im Leben an die Unentschiedenen zu appellieren, so die SPD-Politikerin. Man wolle auch den anderen Gelegenheit zu geben, ihren Beschluss zu überdenken und sich vielleicht nochmal anders zu entscheiden. "Die Lebensumstände ändern sich, man erlebt Geburt und Tod. Vielleicht führt das ja dazu, dass man dann nicht mehr mit der Nonchalance eines 16- oder 18-Jährigen über die Frage einer Organspende hinweggeht."

Politische Entscheidung wohl im Herbst

Wer sich näher informieren wolle, könne das dann per Infotelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder beim Hausarzt tun. Die Allgemeinmediziner sollen dem Konzept zufolge für ergebnisoffene Beratung geschult werden und diese pro Patient alle zwei Jahre extrabudgetär abrechnen können. Und alle vier Jahre soll der Bundestag beraten, ob sich die Sache noch verbessern lässt.

Welches der Organspende-Konzepte Gesetz wird, dürfte sich im Herbst entscheiden. Nach Maags Worten sollen beide noch vor der Sommerpause in den Bundestag eingebracht werden. Bis dahin wird sich der Streit wohl noch verschärfen. Einen Vorgeschmack lieferten am Montag die Grünen. Es sei bemerkenswert, twitterte deren Fraktionsexpertin Maria Klein-Schmeink, dass Spahn am gleichen Tag, an dem die Parlamentariergruppe ihr lange erwartetes Gegenkonzept präsentiere, die Schlagzeilen "mit seiner zuvor lancierten Initiative zur Impfpflicht" bestimme. "Das zum Thema Respekt bei ethischen Debatten."

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