Referendum in Ungarn: Orban gewinnt nicht genug Flüchtlingsgegner
Das ungarische Referendum über die Verteilung von Flüchtlingen in Europa ist ungültig. Mit 40 Prozent fiel die Beteiligung zu gering aus. Die Strategie der Opposition ist aufgegangen.
Das Referendum in Ungarn über die umstrittenen EU-Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen ist ungültig. An der Abstimmung nahmen am Sonntag nur 39,9 Prozent der Wahlberechtigten teil, wie die Wahlbehörde nach Auszählung von 99,8 Prozent der Stimmen meldete. Unmittelbar nach Schließung der Wahllokale hatte der Vize-Präsident der Regierungspartei Fidesz, Gergely Gulyas, immerhin noch von 45 Prozent gesprochen. Für einen Erfolg wäre aber eine Wahlbeteiligung von mehr als 50 Prozent notwendig gewesen.
Bei dem Referendum stimmten 98,3 Prozent oder umgerechnet 3,2 Millionen Wähler mit Nein - also gegen die umstrittenen EU-Flüchtlingsquoten, mit denen Asylbewerber gleichmäßiger auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden sollen. Mehr als acht Millionen Bürger waren dazu aufgerufen, über die Frage zu entscheiden: „Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?“
Der rechts-konservative Ministerpräsident Viktor Orban präsentierte sich vor Anhängern seiner Regierungspartei Fidesz dennoch in Siegerpose. „Wir haben ein großartiges Ergebnis erzielt“, sagte er am späten Abend in Budapest. „Die Waffe wird auch in Brüssel ziemlich scharf sein“, fügte er hinzu. Er ging mit keinem Wort darauf ein, dass das Referendum ungültig war. Zuvor hatte auch der Fidesz-Vize Gergely Gulyas von einem „überwältigenden Sieg“ gesprochen.
Freilich hatte die Opposition mehrheitlich zum Boykott des Referendums aufgerufen, wie der grüne Europa-Parlamentarier Jan Philipp Albrecht bei Twitter betonte. Diese Strategie ist nun aufgegangen. Das Scheitern des Referendums gilt als Rückschlag für Ministerpräsident Viktor Orban, der die verpflichtende Aufnahme von Migranten ablehnt und bis zuletzt Wahlkampf gemacht hatte. Seine Regierung hatte das Referendum initiiert. Die monatelange Kampagne enthielt auch fremdenfeindliche Untertöne.
Schön wie das Ergebnis von jedermann zurecht interpretiert wird. Richtiger Protest wäre aus meiner Sicht eine weitaus höhere Wahlbeteiligung mit einer Pro-Flüchtlinge-Mehrheit gewesen. So weiß man genau gar nichts!
schreibt NutzerIn andreas2000
Luxemburg Außenminister Jean Asselborn wertete die unzureichende Wahlbeteiligung dementsprechend als „passiven Widerstand“ einer Mehrheit der ungarischen Bevölkerung. „Das ist kein guter Tag für Herrn Orban und kein so schlechter Tag für Ungarn und die EU“, sagte er am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur. Die Ungarn hätten sich europäischer als ihre Regierung gezeigt. „Ich hoffe, dass wir uns in der EU konsequent auf die Seite der Mehrheit der Ungarn und gegen den Kurs der ungarischen Regierung stellen“, sagte der Sozialdemokrat Asselborn. „Die Ungarn verdienen unseren Respekt.“
Orban hatte seine Landsleute noch am Samstag dazu aufgerufen, der EU deutlich mitzuteilen, dass ihre Flüchtlingspolitik falsch sei und ein Risiko für die Sicherheit Europas. Die Politik in den kommenden Monaten müsse darin bestehen, Brüssel davon abzuhalten, die verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen durchzusetzen. Flüchtlingspolitik sei Aufgabe der nationalen Regierungen.
Der Ministerpräsident hatte mehrfach die Bedeutung einer gültigen Volksabstimmung für seinen „Kampf gegen die Brüsseler Bürokratie“ betont. Bei der Stimmabgabe am Vormittag ruderte er allerdings zurück. „Die juristischen Konsequenzen werden in jedem Fall eintreten“, unabhängig von der Gültigkeit der Volksabstimmung, sagte Orban vor Reportern. Man werde gesetzlich festschreiben, dass nur das ungarische Parlament bestimmen könne, „mit wem die Ungarn zusammenleben wollen“, fügte er hinzu. „Die einzige Bedingung ist, dass es mehr Nein als Ja geben muss.“ Das Übergewicht der Nein-Stimmen stand - auch angesichts des Boykotts von Orbans Gegnern - nie in Zweifel.
Die mäßige Beteiligung hatte sich im Laufe des Tages abgezeichnet. Bis zum Nachmittag gaben lediglich 30 Prozent der Wähler ihre Stimme ab. Um 17.30 Uhr hatten nur knapp 40 Prozent der Stimmberechtigten den Weg ins Wahllokal gefunden.
Der EU-Quotenplan wurde im vergangenen Jahr gegen die Stimmen Ungarns, Tschechiens, Rumäniens und der Slowakei beschlossen. Reiche Staaten wie Deutschland, in die die meisten Migranten streben, erhoffen sich von der EU-Regelung eine Entlastung. Ungarn müsste nach dem Verteilungsschlüssel nur 1300 von insgesamt 160.000 Flüchtlingen aufnehmen, deren Umverteilung 2015 in Brüssel beschlossen wurde, um die Hauptaufnahmeländer Griechenland und Italien zu entlasten. Tatsächlich hat das Land bislang keinen einzigen Flüchtling nach dem Verteilungsschlüssel einreisen lassen.
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz forderte die EU auf, nicht länger an der Umverteilung von Flüchtlingen festzuhalten. "Das Ziel ist völlig unrealistisch", sagte Kurz der "Welt am Sonntag". Sollten die 160.000 Flüchtlinge weiterhin in demselben Tempo wie bisher auf die EU-Länder verteilt werden, werde dies 30 Jahre dauern, sagte der Politiker von der konservativen ÖVP. Das Flüchtlingsproblem lasse sich also nicht durch eine Verteilung nach Quoten lösen. (Tsp, rtr, dpa, AFP)
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