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Grüne und Linke fordern Wahlrecht für alle Menschen mit Behinderungen
© picture alliance / dpa/Jens Wolf

Vor der Bundestagswahl: Opposition will Diskriminierung im Wahlrecht für Behinderte beenden

Grüne und Linke fordern, Menschen mit Behinderungen nicht mehr willkürlich vom Wahlrecht auszuschließen. Doch ein entsprechender Gesetzentwurf wird in dieser Wahlperiode wohl nicht mehr behandelt.

Rund 85.000 Menschen mit Behinderungen dürfen in Deutschland nicht wählen. Das liegt unter anderem daran, dass das Wahlgesetz all jene Menschen pauschal vom Wahlrecht ausschließt, die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer benötigen. Die Oppositionsfraktionen sehen darin einen klaren Verstoß gegen "menschenrechtliche Standards". Mit einer solchen Diskriminierung müsse Schluss sein, fordern die Grünen und die Linke im Bundestag und haben dazu einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorgelegt.

Doch dieser wird in dieser Wahlperiode wohl nicht mehr im Bundestag behandelt. Eigentlich stand er an diesem Mittwoch auf der Tagesordnung des Innenausschusses, wurde aber mit den Stimmen von Union und SPD abgesetzt. Und Ende Juni endet bereits der reguläre Sitzungsbetrieb des Bundestags.

Thema wurde kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt

Die beiden behindertenpolitischen Sprecherinnen von Grünen und Linken, Corinna Rüffer und Katrin Werner, finden die Entscheidung der großen Koalition nicht nachvollziehbar. "Abgeordnete der SPD haben in den vergangenen Wochen mehrfach betont, dass sie eine Abschaffung befürworten. In der kommenden Woche haben sie die letzte Chance vor der Bundestagswahl, die sollten sie auch nutzen", sagte Werner dem Tagesspiegel. Auch ihre Grünen-Kollegin Rüffer kritisiert, dass die Abstimmung im Bundestag verhindert wurde. "Angeblich haben Union und SPD noch Beratungsbedarf. Eine schlechtere Ausrede habe ich selten gehört", sagte sie.

In dem gemeinsamen Gesetzentwurf führen Grüne und Linke aus, dass der in Deutschland geltende Wahlrechtsausschluss im Widerspruch den den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention stehe, die seit 2009 in
Deutschland geltendes Recht ist. Artikel 29 der Konvention garantiert Menschen mit Behinderungen ihre politischen Rechte und die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen beanspruchen zu können. Gleichzeitig verpflichtet die Konvention die Vertragsstaaten, Menschen mit Behinderungen im Bedarfsfall und auf Wunsch zu erlauben, sich durch eine Person ihrer Wahl bei der Stimmabgabe unterstützen zu lassen.

Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind schon weiter

Doch im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz sind nicht nur die Menschen vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, für die ein Betreuer zur Besorgung ihrer Angelegenheiten bestellt ist. Ebenfalls ausgeschlossen sind Menschen, die eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben und die deswegen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind. Andere europäische Länder sehen dagegen keine entsprechenden Beschränkungen mehr vor, wie Österreich, Großbritannien, Italien oder Finnland. Aber auch in Deutschland haben mit Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein schon zwei Bundesländer die Wahlrechtsausschlüsse aus ihren Landeswahlgesetzen gestrichen.

Zuletzt hatten auch die zuständigen Fachpolitiker der SPD gefordert, volljährigen Staatsbürgern nicht mehr "ein zentrales Bürgerrecht" vorzuenthalten. Die SPD-Bundestagsfraktion wolle diese Diskriminierung noch in dieser Wahlperiode abschaffen, hieß es noch Anfang diesen Jahres - verbunden mit dem Appell an den Koalitionspartner Union, sich an der Initiative zu beteiligen.

Ob das Thema in den wenigen Tagen bis zur offiziellen parlamentarischen Sommerpause noch im Bundestags behandelt wird, ist nach dem Beschluss des Innenausschusses mehr als ungewiss. Die Grünen-Politikerin Rüffer findet vor allem das Verhalten der SPD-Kollegen enttäuschend. "Die SPD treibt das gleiche falsche Spiel wie bei der Ehe für alle: Sie plustert sich öffentlich auf, verhindert aber die Abstimmung im Bundestag. Sie schmückt sich mit Positionen, für die sie aber nicht eintritt, wenn’s drauf ankommt", sagte sie. Seit mehr als fünf Jahren befasse sich der Bundestag bereits mit den willkürlichen Wahlrechtsausschlüssen behinderter Menschen, sagte sie.

Die Linken-Politikerin Werner sagte, statt Menschen mit Behinderungen von politischen Grundrechten auszuschließen, müsse es vielmehr darum gehen, die notwendigen Unterstützungen zu schaffen, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu Wahlen zu ermöglichen. "Dazu gehört unter anderem eine barrierefreie Ausgestaltung von Wahllokalen, aber auch eine barrierefreie politische Kommunikation.“

Cordula Eubel

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