Designierter Kanzler und „Chef-Einpeitscher“: Olaf Scholz ist die Sphinx der SPD
Er hat einen Ruf als harter Verhandler, die Hamburger Grünen erinnern sich nur ungern an ihn. Wird Olaf Scholz in den Ampel-Sondierungen ähnlich auftreten?
Seine Werbeoffensive um die neuen Partner startete Olaf Scholz gleich nach der Bundestagswahl: FDP und Grüne spricht der SPD-Kanzleranwärter neuerdings als „Freunde“ an, das Verhältnis der Parteien in einer künftigen Koalition solle von „Zuneigung“ geprägt sein, wünscht er sich.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Grüne und FDP hören die Botschaft wohl, wissen aber genau, dass der Wahlsieger ihnen in Sondierungen und Verhandlungen nichts schenken wird. Vergangene Woche hatte die grüne Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank mit Verweis auf die Koalitionsverhandlungen in der Hansestadt im Jahr 2015 ihre Parteifreunde gewarnt: „Er hat den Anspruch, der Platzhirsch zu sein, Gespräche auch dominieren zu wollen und relativ wenig Spielraum zu lassen.“
Unabhängige Beobachter verweisen auf die lange Erfahrung des SPD-Mannes in politischen Aushandlungsprozessen. „In der Tat kann Olaf Scholz als einer der erfahrensten Verhandler in Deutschland gelten“, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier.
Wenn Scholz auf seinen nächsten Führungsjob nach dem Ende seiner Zeit als SPD-Generalsekretär zu sprechen kommt, den des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Bundestagsfraktion (2005 bis 2007), verwendet er gerne den englischen Ausdruck „Chief Whip“. Auf Deutsch heißt das „Chef-Einpeitscher“.
Was Olaf Scholz in der Antragskommission der SPD lernte
Als Hamburger Bürgermeister (2011 bis 2018) rang er in wechselnden Rollen, mal als Chef der SPD-Länder, mal im Auftrag aller Ministerpräsidentenkollegen, um Kompromisse zwischen Bund und Ländern. Sein Agieren nach dem Wechsel in die große Koalition beschrieb der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Stephan Weil kürzlich so: „Dass er ein harter Verhandler ist, kann ich aus eigener Erfahrung der letzten Jahre bestätigen, denn da saß uns ja immer ein Bundesfinanzminister gegenüber, der sehr wohl wusste, was seine Interessen waren."
Unendlich viel Stunden hat der frühere Juso-Vizechef zudem in der Antragskommission der SPD verbracht, die er lange leitete. Vor und während SPD-Bundesparteitagen ist dieses Gremium der Ort, an dem widerstreitende Interessen aufeinanderprallen und ein Ausgleich gefunden werden muss zwischen dem Anspruch der Parteiflügel auf Mitbestimmung und dem Wunsch der Parteiführung, radikale Kurswechsel zu vermeiden.
Scholz sei bestens präpariert gewesen, sagt einer, der ihn dort lange beobachtete. Er habe Details im Blick gehabt und meist mehr sprachliche Disziplin, mehr Kondition und Geduld aufgebracht als seine Opponenten. Geholfen habe ihm auch „das Sphinxhafte seiner Mimik, das an Franz Müntefering erinnert: Man kann in seinen Gesichtszügen wenig lesen.“
Als Chef der Antragskommission sei er stets „kreativ im Erfinden von Ausweichmechanismen“ gewesen. Sein Repertoire habe die rhetorischen Entschärfung von Antragstexten umfasst, die Überweisung an Fachkommissionen sowie das gezielte „Einbauen von Zweideutigkeiten, die nicht jeder erkennt“.
Die Grünen-Chefin beharrt darauf, dass sie auch hart verhandeln kann
Der Ruf des gewieften Taktierers hat sich auch bei den umworbenen Partnern längst herumgesprochen. Grünen-Chefin Annalena Baerbock wurde im Deutschlandfunk auf die Härte des SPD-Politiker angesprochen. Ihre Antwort: „Hart verhandeln können wir auch.“
Politikwissenschaftler Jun glaubt nicht, dass Scholz die Härte, zu der er fähig ist, nun ausspielen wird. In Hamburg 2015 sei eine Regierungsbildung gegen die SPD nicht möglich gewesen. Heute sei die Ausgangslage auch wegen der theoretischen Option einer Jamaika-Koalition „eine spürbar andere“.
Für den Erfolg der Sondierungen sei es „wichtig die Befindlichkeiten von FDP und Grünen zentral zu berücksichtigen, um Vertrauen für eine gemeinsame Regierungszeit aufzubauen“, sagt der Hochschullehrer. Es gelte, „die anderen beiden Parteien nicht zu brüskieren“.