Laschet als Ziel von „Negative Campaigning“: Die SPD bricht ein Tabu im Wahlkampf
Die religiöse Überzeugung von Gegnern im Wahlkampf zu thematisieren – davor scheuten Regierungsparteien bislang zurück. Bis zum neuen Video der SPD.
Generalsekretär Lars Klingbeil strahlte vor Stolz, als er diese Woche im Berliner Kino Delphi Lux die Wahlkampagne der SPD präsentierte. Das Echo im abgedunkelten Saal 6 des Kinos und in der Presse auf Slogans, Bildmotive und Plakate mit Olaf Scholz, dem „Zugpferd“ (Klingbeil) des Wahlkampfes fiel positiv aus.
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Doch gleichzeitig steht der Verdacht im Raum, dass die SPD-Werbeagentur „BrinkertLück Creatives“ zu den Mitteln des „Negative Campaigning“ gegriffen hat, um Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet in schlechtem Lichte dastehen zu lassen. Dazu thematisiert sie die Religion eines engen Mitarbeiters des CDU-Politikers - bislang ein Tabu im Wahlkampf deutscher Regierungsparteien.
Auf der Leinwand des Delphi-Kinos zeigte Klingbeil nämlich auch einen Spot, der anhand von Matroscka-Puppen die wahre Natur des Unions-Kanzlerkandidaten enthüllen will. Die größte Puppe ziert ein Foto Laschets, die Off-Stimme sagt: „Wer Armin Laschet von der CDU wählt ...“
Während eine Hand die Laschet- Puppe hochhebt und auf der Puppe unter ihr das Gesicht von Friedrich Merz erscheint, geht es weiter „..wählt eine Politik, die Reiche reicher und Arme ärmer macht“. Unter der Merz-Puppe erscheint eine Puppe mit dem Gesicht von Hans- Georg Maaßen, während die Stimme vor Kandidaten warnt, welche die CDU an den rechten Rand rücken.
Auf einer weiteren Puppe erscheint ein Gesicht, das viele Wählerinnen und Wähler womöglich gar nicht kennen - es gehört Nathanael Liminski, dem Leiter der nordhrein-westfälischen Staatskanzlei. Die Off-Stimme sagt dazu: „…wählt erzkatholische Laschet-Vertraute, für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist". Die letzte Puppe in dem Spot ist dann gänzlich leer.
In der CDU-Zentrale sieht man durch die Attacke die Prinzipien des fairen Wahlkampfs verletzt, will den Vorgang aber nicht kommentieren, um die Aufmerksamkeit klein zu halten. Auch die SPD hat kürzlich die Selbstverpflichtung der Bundestagsparteien jenseits der AfD („Wir treten ein für einen fairen Wahlkampf online wie offline“) unterzeichnet.
Es handle sich um eine aus dem Zusammenhang gerissene Talkshow-Äußerung Liminskis aus dem Jahr 2007, als dieser 22 Jahre alt gewesen sei, heißt es. Damals hatte der Sohn einer konservativ-katholischen Familie in einem innerkirchlichen Netzwerk („Generation Benedikt“) einen papsttreuen Glauben propagiert und vertrat diese Position in Talkshows.
Ein Parteienforscher fühlt sich an Praktiken im US-Wahlkampf erinnert
Auch unabhängige Experten kommen zu dem Schluss, dass die Attacke auf die religiöse Überzeugung eines politischen Gegners ein Tabu bricht. Es handle sich um „eine ziemlich drastische Form des ,Negative Campaigning’, die an amerikanische Vorbilder erinnert“, sagt Parteienforscher Uwe Jun von der Universität Trier. Dem Politikwissenschaftler sind in Deutschland in diesem Jahrhundert „keine solch angreifenden Statements mit Blick auf religiöse Inhalte durch die etablierten Parteien bekannt“.
Auch der Staats- und Kirchenrechtler Hans Michael Heinig von der Universität Göttingen kennt keinen anderer Fall, in dem die religiösen Präferenzen des Vertrauten eines Spitzenpolitikers „in solcher Weise bewusst politisiert wurden“. Heinig hält den Vorgang politisch für einschneidend. Denn seit dem Godesberger Programm, sei die SPD bemüht gewesen, ihr positives Verhältnis zu den Kirchen herauszustellen.
Deshalb sei die Negativkampagne „ein Paradigmenwechsel, der auch den christlichen Traditionsabbruch reflektiert“. Katholizismus strengerer Observanz sei inzwischen in weiten Teilen der Gesellschaft negativ besetzt, sagt der Rechtswissenschaftler und warnt: „Das kann die Religionsfreiheit und die hinreichende Differenzierung zwischen Religion und Politik unterspülen.“
Gelassener sieht das Benjamin Höhne vom Berliner Institut für Parlamentarismusforschung. "Es geht ja augenscheinlich nicht um die Auseinandersetzung mit einer religiösen Frage, sondern darum, den politischen Gegner ,alt aussehen' zu lassen", urteilt er.
Doch für bemerkenswert hält auch er den Spot: Er rücke "den politischen Gegner sehr einseitig in den Mittelpunkt und nicht die eigene Programmatik". Dies sei in Deutschland "eine bisher eher ungewöhnliche Kampagnentechnik, zumal sie nicht von der rechtspopulistischen AfD stammt".
Donald Trump rief "Lock her up!"
Ein krasses Beispiel für „Negative Campaigning“ in den USA war die Aufforderung von Donald Trump, seine Konkurrentin Hillary Clinton ins Gefängnis zu werfen („Lock her up!“), die sie als kriminell abstempeln sollte. In Deutschland ist das Instrument umstritten. Experten verweisen darauf, dass es auch auf die Partei zurückfallen kann, die es einsetzt.
Nach den Richtlinien des Deutschen Werberats ist auch jede Diskriminierung verboten, die auf Religion zielt. Das Selbstkontrollorgan ist aber für kommerzielle Werbung zuständig, nicht für Wahlwerbung.
Im Adenauer-Haus, wo man sich über die Attacke ärgert, ist Raphael Brinkert, Mitinhaber der Werbeagentur, übrigens bestens bekannt: Er war früher CDU-Mitglied und zuletzt an der CDU-Kampagne zur Europawahl 2019 beteiligt.
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