Reform des Wahlrechts: Öffnet die Debatte!
Seit einem Jahr wird im Bundestag hinter verschlossener Tür über die Wahlrechtsreform geredet. Bislang ohne Ergebnis. Mehr Öffentlichkeit könnte helfen.
Schon merkwürdig: Über das Wahlrecht, eines der wichtigsten Themen, die es in einer Demokratie überhaupt gibt, wird seit einem Jahr hinter verschlossener Tür gesprochen. Regelmäßig trifft sich eine kleine Runde im Bundestag, jede Partei stellt ein Mitglied, die Moderation hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Die Sache ist, das muss man zugeben, nicht ganz einfach. Sieben Parteien müssen sich einigen. Das Wahlrecht mit einfacher Mehrheit zu ändern, ist zwar möglich. Aber es ist nicht wünschenswert. Ein Kompromiss sollte hier immer möglichst breit getragen sein. Aber ein Kompromiss ist nicht in Sicht. Wäre das nicht ein Grund, die Debatte zu öffnen? Kann mehr Öffentlichkeit die Suche nach einer Lösung erleichtern?
Immerhin gibt es ja mehrere Vorschläge. Der Hauptanlass für die Reform ist der unerträgliche Zustand, dass im aktuellen Wahlrecht die Zahl der Sitze einer unberechenbaren Vermehrung unterliegt, je nachdem, wie das Wahlergebnis ausfällt. Die Mindestmandatszahl liegt nach dem Gesetz bei 598. Es können am Ende ein paar Dutzend mehr sein. Oder man landet bei 709 Abgeordneten wie bei der Wahl im Herbst 2017. Die aktuellen Umfragen ergeben Parlamentsgrößen von mehr als 800 Mandaten.
An die Grenzen gekommen?
Ist das System der personalisierten Verhältniswahl, das 1949 eingeführt wurde und viele Jahrzehnte solide funktionierte, damit an seine Grenzen gekommen? Die Antwort lautet: Ja. Diese Form der personalisierten Verhältniswahl funktioniert unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr. Die Verbindung von Mehrheitswahl in Wahlkreisen, mit den dort vergebenen garantierten Direktmandaten für die Sieger, und der Parteienwahl nach Landeslisten ist nicht mehr kompatibel mit dem Parteiensystem. Das hat sich einerseits ausgefächert, andererseits haben sich die Stimmenverhältnisse zwischen den Parteien angenähert. Konkreter: Die einstigen Platzhirsche sind schwächer geworden, gewinnen aber immer noch die meisten Wahlkreise (die Union erheblich mehr als die SPD). Diese Direktmandate sind jedoch nicht mehr durch entsprechend hohe Zweitstimmenergebnisse unterlegt. Linke, Grüne und AfD haben aufgeholt und holen auch Direktmandate, aber nicht genug. So entstehen die Überhänge, zuletzt vor allem bei der Union, und daraus folgt der Zwang zum Ausgleich mit Zusatzmandaten, um den Parteienproporz zu sichern. Das zu große Parlament ist das Ergebnis.
Zwei Stoßrichtungen
Will man im bestehenden System bleiben, gibt es im Grunde zwei Reformmöglichkeiten. Eine Stoßrichtung ist, die Zahl der Wahlkreise zu verringern. Man kann aber auch bei der Garantie der Direktmandate ansetzen. Diese Abwägung muss der Bundestag vornehmen. Doch wie stark kann man in die Wahlkreisgeographie einschneiden? In den moderaten Varianten geht es um eine Verringerung um ein Fünftel oder ein Sechstel. Die härteren Vorschläge operieren mit nur noch 150 oder gar 120 Wahlkreisen, mit dann allerdings zwei Direktmandaten. Doch stellt sich hier die Frage, ob der Wahlkreis als übersichtliches politisches Forum dann noch funktioniert.
In dieser Forumsfunktion aber liegt ein ganz entscheidender Vorteil des Bestimmens von und des Abstimmens über Kandidaten in kleinen Einheiten im Vergleich zur anonymeren Form der reinen Listenwahl in großen Wahlgebieten. Die Entscheidung für weniger Wahlkreise bedeutet so in jedem Fall eine Entpersonalisierung der Wahl. Der Schritt ginge auch deutlicher zu Lasten ländlicher Gebiete. In Schleswig-Holstein oder Brandenburg gäbe es nach einer Halbierung von 299 auf 150 wohl noch je vier Wahlkreise, in Mecklenburg-Vorpommern noch drei. Metropolen und Ballungsräume kämen eher damit klar, aber dort könnte der Neuzuschnitt von Wahlkreisen zu erheblichem Zoff zwischen den Parteien führen, wenn Hochburgen zerschnitten werden und neue Grenzziehungen alte Hoheiten gefährden.
Muss man Wahlkreise abschaffen?
Ein Einschnitt bei der Direktmandatsgarantie wäre ebenfalls ein Eingriff. Aber man müsste nicht an die Wahlkreise ran. Eine Variante wäre die Kappung, indem Direktmandate mit schwachen Ergebnissen nicht zugeteilt werden, um Überhänge zu vermeiden. Oder aber man wagt einen kleinen Systemwechsel hin zu einem Zwei-Listen-Modell, in dem der Wettbewerb im Wahlkreis nicht mehr dazu dient, Sieger mit Direktmandaten auszustatten, sondern die Wahlkreisbesten aller Parteien zu finden. Die Mandatszuteilung an die Parteien fände dann hälftig über Wahlkreisbestenlisten und die herkömmlichen Landeslisten statt. Es wäre eine personalisierte Verhältniswahl, aber eben ohne die bisherige Mehrheitswahlkomponente. Haken und Ösen haben aber auch diese Varianten. Ein perfektes Wahlrecht gibt es nicht.
Noch eines: Offener und breiter als bisher muss auch debattiert werden, ob das Ziel der Geschlechterparität im Parlament tatsächlich über das Wahlrecht erreicht werden kann. Oder ob man hier nicht eher den Weg des demokratischen Parteienwettbewerbs gehen soll. Gerade beim Wählen sollte man mit Lenken und Vorschreiben vorsichtig sein.
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