NSA-Affäre: Oettinger wäre abgehört worden
Der NSA-Untersuchungsausschuss hat seine Arbeit wieder aufgenommen - und bringt einen vergessenen Skandal in Erinnerung.
War da was? Der Spionageskandal hat eine lange Pause gemacht. In dieser Woche nun hat der NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag seine Arbeit wieder aufgenommen. Die ersten Sitzungen zeigen: Die Arbeit bleibt mühsam. Doch das Bohren lohnt sich.
Zunächst aber, zur Erinnerung, was zuletzt geschah: Im April war bekannt geworden, dass die NSA dem BND im Zuge der gemeinsamer Daten- und Telefonüberwachung an Leitungen in Deutschland Suchbegriffe untergeschoben hat, die sich auf europäische Unternehmen und Regierungen beziehen. Der „Spiegel“ berichtete von einer Liste mit 40.000 verdächtigen Suchbegriffen. Laut „Süddeutscher Zeitung“ waren unter anderem hochrangige Mitglieder der französischen Regierung betroffen.
Warum bemerkte der BND die Spionage der NSA so lange nicht?
Eine der Fragen, die in diesem Herbst also weiter den NSA-Untersuchungsausschuss befassen werden ist: Wie konnte das passieren? Bereits 2008, soviel ist aus Medienberichten und aus der bisherigen Ausschussarbeit bekannt, hatte der BND Hinweise, dass die Amerikaner die Kooperation missbrauchten, damals fand ein Mitarbeiter Suchbegriffe, die sich auf die europäische Rüstungsunternehmen „Eurocopter“ und „EADS“ beziehen. Dennoch gab es offenbar keine erweiterten Kontrollen.
Am Donnerstag vernahm der Ausschuss dazu den BND-Mitarbeiter W.O. Er war in der BND-Außenstelle Bad Aibling, dem Sitz des NSA-BND-Kooperationsprojekts, für die Prüfung der von den Amerikanern gelieferten Suchbegriffe zuständig, bis diese Aufgabe 2008 in die Zentrale nach Pullach übergeben wurde. 2013 überprüfte er auf Anweisung eines Vorgesetzten stichprobenartig die gemeinsame NSA-BND-Datenbank und fand schon damals eine große Anzahl nicht zulässiger „Selektoren“ – eine Erkenntnis die die Spitze des Bundeskanzleramts aber laut Zeugenaussagen nie erreichte.
BND-Mitarbeiter gibt zu: Die Suchbegriffe der NSA wurden nur "grob" geprüft
Nach dem zu urteilen, was W.O. am Donnerstag aussagte, verließ sich der BND bei der Prüfung der Selektoren lange auf einfachste Mechanismen, nämlich unter anderem auf das Ausfiltern bestimmter Domainendungen („.eu“ oder „.org“). Das sei nur eine „grobe Prüfung“, gab W.O. selbst zu. Auf die Frage des Abgeordneten Christian Flisek (SPD), ob nach diesem Prinzip etwa die Email-Adresse des deutschen EU-Kommissars Günter Oettinger, die auf „.eu“ endet, durchgerutscht wäre, sagte W.O., ja, diese Adresse hätte man wohl „eingestellt“, also Oettingers Emails erfasst. Eine „Blacklist“, also eine Liste mit Tabu-Adressen, habe man nie erstellt, bestätigte am Freitag der Leiter der Geheimdienstabteilung des Kanzleramts, Günter Heiß.
Der Sonderermittler arbeitet noch bis mindestens Ende Oktober mit der Selektorenliste
Eine Verantwortung dafür lehnte Heiß bei seiner Vernehmung am Freitag ab. Ähnlich hatten sich vor der Sommerpause schon die ehemaligen Kanzleramtschefs Thomas des Maizière (CDU) und Ronald Pofalla geäußert. „Der Kernfehler liegt zu 100 Prozent beim BND“, hatte de Maizière gesagt. Auch die BND-Spitze will von den kritischen Funden lange nichts erfahren haben, wenn auch BND-Präsident Gerhard Schindler vor der Sommerpause Defizite bei der Selektoren-Prüfung eingeräumt hatte.
Dennoch wird auch die Suche nach den politisch Verantwortlichen in diesem Herbst weitergehen. Welche Zeugen genau gehört werden sollen, darüber streiten noch die Fraktionen. Die Opposition fordert, bald Ex-Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier und Ex-BND-Präsident August Hanning zu hören. Die Grünen würden außerdem gern die Rolle des Bundesverfassungsschutzes im Kooperationsnetz der Geheimdienste klären. Wie die „Zeit“ vor kurzem berichtete, erhielt auch Bundesverfassungsschutz von den Amerikaner die Spionagesoftware XKeyscore – und versprach im Gegenzug, so viele Daten aus eigenen Überwachungsmaßnahmen zu liefern „wie irgendwie möglich“.
Die Grünen klagen vor dem Bundesverfassungsgericht
Fortsetzen wird sich auch der politische Streit über die sogenannte „Selektorenliste“. Der Untersuchungsausschuss hatte die vom BND selbst erstellte Liste verdächtiger Suchbegriffe als Beweismittel beantragt. Das Bundeskanzleramt lehnte die Herausgabe ab. Stattdessen, so der Kompromiss zwischen Bundestag und Bundesregierung, wurde der Verwaltungsrichter Kurt Graulich als „Sonderermittler“ eingesetzt. Er wertet derzeit die Liste aus. Er wird dem Ausschuss Ende Oktober oder Anfang November seine Ergebnisse vorlegen. Die Grünen wollen diesen Kompromiss weiterhin nicht akzeptieren. Die Fraktion hat die Sommerpause genutzt, um eine Klage beim Bundesverfassungsgericht vorzubereitet. Sie sehen die Rechte des Bundestags verletzt. Die Fraktion wird ihre Klageschrift in der kommenden Woche vorstellen.