Kabinett beschließt umstrittene Reform: Nur noch eine Ausbildung für alle Pflegeberufe
Egal, ob sie im Altenheim oder am Krankenbett arbeiten wollen: Für Pflegekräfte soll sich die Ausbildung nicht mehr groß unterscheiden. Das wurde heute vom Bundeskabinett beschlossen.
Caritas und Diakonie sind dafür, der Berufsverband für Pflegeberufe und der Pflegerats-Präsident auch, die Pflegekassen sowieso. Doch die Gegner des Vorhabens kommen ebenfalls aus der Branche. Private Altenpflegeanbieter, die davor warnen, „einen hoch qualifizierten Beruf abzuschaffen“. Kinder- und Jugendärzte, die zum Unterzeichnen einer Online-Petition aufrufen. Arbeiterwohlfahrt, Bundesärztekammer. Und der Deutsche Gewerkschaftsbund unisono mit der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände.
Umbau von Grund auf
An diesem Mittwoch hat das Bundeskabinett eine Reform beschlossenen, die von Union wie SPD gewollt, unter Experten aber enorm umstritten ist.
Das Gemeinschaftsprojekt von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sieht vor, die bisherige Pflegeausbildung umzubauen. Und zwar von Grund auf: Statt der bisherigen Spezialisierung auf Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege von Anfang an soll es ab dem Jahr 2018 nur noch eine generalistische Ausbildung für sämtliche Pflegejobs geben.
Ergänzend sollen weiterqualifizierende Studiengänge eingerichtet werden. Und das Schulgeld, das bisher zwar nicht überall, aber in einigen Bundesländern verlangt wurde, soll verschwinden. Stattdessen gibt es für alle Azubis eine, wie es der Gesetzentwurf formuliert, „angemessene Ausbildungsvergütung“.
Ministerin will "flexibel einsetzbare" Pflegekräfte
Die Initiatoren rechtfertigen die Änderungen mit der alternden Gesellschaft und dem immer spürbarer werdenden Pflegekräftemangel. „Wir wollen den Pflegeberuf aufwerten und attraktiver machen“, sagt die auch für Senioren zuständige Familienministerin Schwesig. Die Ausbildung müsse auf die „Höhe der Zeit“ gebracht, Pflegekräfte müssten „breit aufgestellt und flexibel einsetzbar“ werden. Gröhe argumentiert ebenfalls mit steigendem Bedarf. „Deshalb“, so insistiert er, "müssen wir den Zukunftsberuf Pflege jetzt auch zukunftsfähig machen.“
Eine generalistische Ausbildung spreche Menschen mit unterschiedlichsten Bildungsabschlüssen an, so die Befürworter. Durch die leichtere Wechselmöglichkeit zwischen den Pflegebereichen komme man auch an Bewerber, die sich noch nicht für ihr ganzes Berufsleben festlegen wollten. Und vor allem seien zunehmend übergreifende Kenntnisse nötig, betonte Gröhe nach dem Kabinettsbeschluss: "Pflegekräfte müssen in Altenheimen zunehmend auch mehrfach und chronisch Kranke versorgen. Und eine Pflegekraft im Krankenhaus braucht Kenntnisse in der Versorgung Demenzkranker."
Kritiker warnen vor Kompetenzverlust
Dass ausgerechnet der Verzicht auf die sonst überall geforderte Spezialisierung den Pflegeberuf attraktiver machen soll, will den Kritikern jedoch nicht in den Kopf. Drei Ausbildungen zu einer zusammenzupacken, ohne die Ausbildungszeit zu verlängern, könne nur zu Kompetenzverlust führen, meint die Grünenexpertin Elisabeth Scharfenberg. Statt Spezialisten bekomme man „Allrounder, die sich auf eigene Kosten nachqualifizieren müssen“. Und an den Arbeitsbedingungen, die viele vom Ergreifen dieses Jobs abschrecke, ändere sich dadurch gar nichts.
Kompetenzen einzuebnen mache Pflegeberufe nicht attraktiver, meint auch Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand. „Im Gegenteil: Das führt zu einer Schmalspurausbildung, die die Berufsfähigkeit nach Abschluss der Ausbildung gefährdet.“
Sogar der Pflegebeauftragte der Union ist skeptisch
Sogar der Pflegebeauftragte der Unionsfraktion, Erwin Rüddel mit Namen, hatte vor dem Kabinettsbeschluss Protest eingelegt. Zustimmen könne er dem Gesetz nur, wenn sichergestellt sei, dass dadurch "keiner der drei Berufszweige der Pflege schlechter gestellt wird, also fachspezifische Ausbildungsinhalte nicht verloren gehen", stellte der CDU-Politiker klar. "Zudem muss es möglich sein, dass die Ausbildung mit jedem Schulabschluss absolviert werden kann."
Beides sei ihm zugesichert worden, sagte Rüddel dem Tagesspiegel. Über solche Details nämlich hat das Kabinett nicht befunden. Sie bleiben einer Verordnung vorbehalten, die den Abgeordneten erst im Frühjahr vorgelegt werden soll. Sie müsse vor der endgültigen Bundestagsentscheidung "in aller gebotenen Sorgfalt geprüft werden" können, stellte der CDU-Experte klar.
Altenpflegeanbieter fürchten Konkurrenz der Kliniken
Tatsächlich plagen die Branche aber auch ganz profane Sorgen. Die Mehrkosten von 320 Millionen Euro pro Jahr nämlich müssen von allen Beteiligten gemeinsam aufgebracht werden, also auch von Einrichtungen, die bisher nicht ausbilden. Und bei Heimbetreibern grassiert zudem die Angst, dass eine generalisierte Ausbildung viele der schlecht bezahlten Altenpfleger über kurz oder lang in besser honorierte Krankenpflegejobs ziehen könnte.
Dagegen lasse sich was unternehmen, sagen Reformbefürworter wie der Pflegebeauftragte der Regierung, Karl-Josef Laumann. Man müsse das Altenpflegepersonal eben endlich auch mal besser bezahlen. Eine generalisierte Ausbildung erhöhe diesbezüglich jedenfalls den Druck und mache schon dadurch den Altenpflegejob attraktiver.