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ie beiden scheidenden Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck.
© imago images/Chris Emil Janßen

Parteitag der Grünen: Nur Kretschmann stört den Abschied von Baerbock und Habeck

Auf einem digitalen Parteitag verabschieden die Grünen ihre Vorsitzenden. Nicht alles ist mehr so harmonisch wie zu Beginn ihrer Amtszeit.

Was sich bei den Grünen verändert hat, zeigt sich schon beim Einlass zum Parteitag im Berliner Velodrom. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat eine Sicherheitsprüfung aller Personen angeordnet. Wer seine Daten vorab nicht geschickt hat, wird in der Eingangshalle des Berliner Velodroms gecheckt.

Auch in der Radrennhalle, die als Kulisse für das Sendezentrum des digitalen Parteitags dient, wimmelt es von BKA-Mitarbeitern. Hinter der Bühne steht ein Wagen mit laufendem Motor und wo immer die beiden scheidenden Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock in der Halle hinlaufen, stehen ein paar Meter weiter schon die Sicherheitsleute.

Es ist die erste Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen seit man in die Ampel-Regierung eingetreten ist. Und der Rollenwechsel macht sich nicht nur an den Personenschützern der Grünen-Minister deutlich. „Wir sind keine kleine Partei mehr“, sagt der ebenfalls scheidende Bundesgeschäftsführer Michael Kellner zur Begrüßung.

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Man habe den Schritt zu einer mittelgroßen Partei gemacht und habe nun, nach 16 Jahren in der Opposition, eine neue Aufgabe. „Wir werden jetzt daran gemessen, wie wir die Wirklichkeit verändern“, sagt Kellner.

Diese Aufgabe kommt vor allem auf Wirtschaftsminister Habeck und Außenministerin Baerbock zu, die von der Partei am ersten Abend des zweitägigen Parteitags verabschiedet werden. Viel zu sagen hatten sich die beiden Parteivorsitzenden in den vergangenen Monaten nicht mehr. Die zur Schau gestellte Harmonie vom Anfang ihrer Amtszeit ist seit der Kanzlerkandidatur von Baerbock, die Habeck sich auch gewünscht hatte, dahin.

Am Freitag im Velodrom versuchen die beiden ein letztes Mal als Team aufzutreten. Eine gemeinsame Rede wurde angekündigt, doch nach einer kurzen gemeinsamen Begrüßung hält erst Habeck, dann Baerbock ihre Rede.

Habeck und Baerbock in neuen Rollen

Auch hier wird der Rollenwechsel deutlich. Habeck spricht als Wirtschaftsminister, thematisiert die steigenden Energiepreise, den Taxonomie-Streit und das abrupte Ende der KfW-Förderprogramme für energieeffizienten Gebäudebau, die sein Ministerium am Wochenende kurzfristig gestoppt hatte, weil die Budgets gesprengt worden waren. „Dieses Programm ist völlig aus dem Ruder geraten“, sagt Habeck und erklärt, dass statt der veranschlagten fünf Milliarden 14 Milliarden Euro abgerufen worden wären.

Auch Baerbock tritt als Außenministerin auf, spricht über den aktuellen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. „Wir stehen an der Seite der Ukraine in Fragen von Sicherheit, bei Verteidigung, aber vor allem bei wirtschaftlicher Stabilität“, sagt sie. Der Konflikt verdeutliche, dass es der Sinn von Politik sei, ein Leben in Sicherheit und Frieden herzustellen.

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Eine gemeinsame Botschaft haben Habeck und Baerbock ihrer Partei jedoch mitgebracht. Wenn man etwas verändern wolle, müsse man auch mal über den eigenen Schatten springen, sagt Baerbock: „Ich bin richtig froh, in einem Land zu leben, wo es nicht das Prinzip `the winner takes it all´ gibt“

Noch deutlicher wird Habeck. „Eine Partei ist kein Selbstzweck. Wir waren immer dann stark, wenn man die Dinge von der Sache gedacht haben und nicht von der internen Logik der Partei.“ Die Partei sei immer nur Mittel zum Zweck, sagte der Vizekanzler: „Der Zweck ist es, die Wirklichkeit zu verändern.“

Die Grünen-Minister werben für Kompromisse

Es ist ein letzter Wunsch der beiden Vorsitzenden an ihre Basis. Die Grünen werden in der Regierung Kompromisse wie bei der Taxonomie oder in der Außenpolitik tragen müssen. Die Mitglieder sollen den Grünen Ministern dabei den Rücken stärken.

„Ja, es ist unangenehm, diese Entscheidung politisch zu verantworten“, sagt Habeck. Aber er sei ja Minister geworden, um Entscheidungen zu treffen. Dann ist Zeit für den Abschied. „Macht‘s gut“, sagt Habeck. Musik ertönt, Lichter blinken auf, die wenigen Mitarbeiter und Gäste stehen auf und spenden Applaus.

Es ist eine gelöste Atmosphäre in der Halle, die sonst Platz für 12.000 Zuschauer bietet. Kellner scherzt über die farbgleichen Outfits von Kulturstaatsministerin Claudia Roth und der Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Britta Haßelmann, die beide in der ersten Reihe sitzen. Auch die meisten Redebeiträge in der dreistündigen Aussprache fallen positiv aus. Die Delegierten betonen ihre Zufriedenheit mit den neuen Ministern und formulieren ihre Erwartungen für die kommenden vier Jahre.

Auch die Botschaft der anderen Grünen-Minister ist es, der Basis die Regierungsverantwortung zu erklären. Die Herausforderungen seien riesig, sagt der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und verweist auf das Artensterben, schlechte Haltung von Nutztieren und die schwierige finanzielle Lage von Landwirten.

Doch Özdemir dämpft die Hoffnungen. „Alles kann man nicht ändern“, sagt er und adressiert an die Partei einen Wunsch. „Es darf bei uns jetzt keine Arbeitsteilung geben, bei der die einen machen und die anderen fordern.“

Kretschmann: "Sind als Bündnispartei gestartet und als Milieupartei gelandet"

Nur einer dämpft die Stimmung an diesem Freitagabend. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann erneuert in seinem Redebeitrag die Kritik am Wahlkampf und fordert eine Aufarbeitung. „Ich weiß, dass das keine Disziplin ist, mit der man Mitarbeiter des Monats wird“, sagt der 73-Jährige und stellt dann seine eigene Analyse vor, warum die Grünen nur bei 14,8 Prozent der Stimmen gelandet sind.

„Wir müssen unsere Veränderungsbotschaft noch besser durch Sicherheitsversprechen ausgleichen“, sagt Kretschmann. Zudem habe man sich im Wahlkampf zu klein gemacht und die Themen Wirtschaft und Arbeitsplätze zu wenig angesprochen. Auch hätten die Grünen im Wahlkampf ihren Anspruch vergessen, in die Breite der Gesellschaft wirken zu wollen. „Wir sind als Bündnispartei in den Wahlkampf gestartet und als Milieupartei gelandet“, sagt Kretschmann.

Doch eine unabhängige Aufklärung des Wahlkampfes wird es wohl nicht mehr geben. Ein Antrag zur Einsetzung einer Kommission, die sich mit den Fehlern aus dem Wahlkampf beschäftigen sollte, lehnten die rund 800 Delegierten am späten Abend ab. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Aufarbeitung nicht untergehen darf“, sagte Antragsteller Joachim Fuchs. Robert Habeck, der die Gegenrede hielt, sagte: „Vieles muss analysiert werden, aber wir brauchen dafür keine Kommission.“ Das richtige Gremium dafür sei der nächste Bundesvorstand.

Am Ende stimmte eine knappe Mehrheit der Delegierten gegen den Antrag. Für Baerbock, Habeck und Kellner etwas Rückendeckung und die Erfüllung ihres Wunsches. Die Partei ist über ihren Schatten gesprungen. Nun müssen die Grünen-Minister liefern und die Wirklichkeit verändern.

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