Energiewende, KfW-Kredite, Taxonomie: Robert Habecks Liste an Problemen wird immer länger
Zum ersten Mal musste sich der neue Wirtschaftsminister in der Regierungsbefragung dem Parlament stellen. Er bekam viel Kritik zu hören.
Robert Habeck kommt mit eiligen Schritten in den Plenarsaal des Bundestags. Die Tasche über seiner Schulter ist schon halb geöffnet. Kurz herzt er die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, dann nimmt er Platz auf der Regierungsbank. Erste Reihe, zweite Position von rechts neben dem Präsidium, weiter rechts darf nur noch Olaf Scholz (SPD) sitzen.
Doch der Kanzler ist nicht da, am Mittwochnachmittag muss der Vizekanzler Rede und Antwort im Parlament stehen. Kurz setzt Habeck seine Lesebrille auf und wirft noch einen letzten Blick in seinen Sprechzettel, dann beginnen ihn die Parlamentarier mit Fragen zu traktieren.
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Es ist die erste Regierungsbefragung für den neuen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck. Der Grünen-Politiker hat in diesen Tagen einen prall gefüllten Terminkalender – und fast ebenso viele Probleme. Die hohen Energiekosten machen vielen Menschen im Land zu schaffen. Um die Energiewende beim Windkraftausbau voranzubringen, muss Habeck die Widerstände der Länderchefs und von Naturschützern brechen.
Am Vortag war er zum Antrittsbesuch in Brüssel, wo er unter anderem Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen getroffen hat. Im Taxonomie-Streit konnte er dort noch einmal seine ablehnende Haltung zum grünen Label für Atomstrom äußern – Einfluss hat er in Brüssel jedoch nicht.
Im Parlament wird Habeck erst einmal zu einem weiteren Problem befragt. Sein Ministerium hat am Wochenende die KfW-Förderprogramme für energieeffizienten Gebäudebau gestoppt, seitdem laufen Häuslebauer Sturm. Das Programm, das Habecks Vorgänger Peter Altmaier (CDU) Anfang November verlängert hatte, wäre Ende des Monats ausgelaufen.
In den letzten Tagen wollten noch einmal Tausende die Gelder mitnehmen. Doch das Budget von fünf Milliarden hätte dafür bei weitem nicht ausgereicht. Habecks Ministerium zog die Notbremse. Rund 24000 Antragsteller mit gewünschten Forderungen in Höhe von sieben Milliarden Euro seien nun nicht zum Zug gekommen. Eine „bittere Nachricht“ für sie, sagte Habeck und kündigte eine „sehr zeitnahe“ Neuregelung an.
CDU: "Mit Ihrem Vorgehen haben Sie Vertrauen beschädigt"
Von der Opposition erhielt er dennoch Kritik: „Mit Ihrem Vorgehen haben Sie Vertrauen beschädigt“, warf ihm Andreas Jung, Vize-Fraktionssprecher der Union, vor. Menschen, die seit vielen Jahren ihre Häuser planen würden, bräuchten umgehend Planungssicherheit. Jung kritisierte zudem den Alleingang von Habeck: „Sie haben nicht das Parlament informiert, Sie haben die Betroffen nicht informiert, wie es weitergeht.“
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Habeck verteidigte die Entscheidung. Die energieeffiziente Förderung sei längst Standard und damit überholt. Im Jahr 2010, bei der Einführung des Programms, seien 4000 Anträge gestellt worden. Im vergangenen Jahr dann schon 120000 Anträge. Es gebe eine „Überförderung“, konstatierte Habeck und schob die Verantwortung auf seinen Vorgänger. „Dass ein Fehler im November begangen wurde, ist offensichtlich.“ Künftig müsse man Subventionen auch vom Ende her denken, damit es nicht eine Fördergelderexplosion zum Schluss gebe.
Habeck kündigt Eingriff in Gasmarkt an
Es ist nicht der einzige Punkt, bei dem sich Habeck im Plenum verantworten muss. Die AfD will vom Wirtschaftsminister wissen, wie er die kürzlich insolvent gegangenen MV Werften und die damit verbundenen Arbeitsplätze stützen will. „Die Insolvenz ist nicht das Ende des Werftenbaus an den beiden Standorten“, antwortet Habeck. Die deutschen Werften müssten sich künftig auf klimafreundliche Produktionen oder die Verbesserung von Antriebstechniken spezialisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Es sind die Niederungen der Tagespolitik, in die sich Habeck an diesem Mittwoch begibt. Die Entwicklungen bei den Corona-Hilfsgeldern, den Stand für ein Gesetz zum Bürokratieabbau und die Fortschritte beim Ausbau von Windkraft an Wind und Land. Habeck zeigt sich sattelfest, beantwortet eine Stunde lang jede Antwort im Stehen.
Kurz vor Schluss kündigt er einen Eingriff in den Gasmarkt an. Bislang habe die Politik fast keine Möglichkeit, die stark steigenden Kosten zu drücken. In Zukunft soll sich das ändern, eine nationale Gas-Reserve sei denkbar. „Zum Winter nächsten Jahres muss das Thema gelöst sein“, sagt der Wirtschaftsminister.
Nach einer guten Stunde packt Habeck seine Tasche, klatscht sich mit seiner Parlamentarischen Staatssekretärin Franziska Brantner ab und eilt aus dem Plenarsaal. Ein paar Meter weiter stellt er in der Bundespressekonferenz den Jahreswirtschaftsbericht vor. Die Bilanz fällt gemischt aus, die Omikron-Variante hemmt die Wirtschaft in vielen Bereichen. Zeit hat Habeck in diesen Tagen kaum, Probleme dafür umso mehr.