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Bitte in der Türkei bleiben! Das Archivfoto zeigt einen Flüchtling, der aus Europa zurückgeschickt wurde in die Türkei.
© Ozan Kose, AFP

Ein Jahr EU-Türkei-Abkommen: Nur ein kaltes Stück Realpolitik

In der Flüchtlingspolitik ist Europa eine Union der Heuchler, die humanitäre Werte nach Belieben aufruft. Der Türkei-Deal ist wirklich nur ein Deal. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Da hilft kein Verbrämen mit großem humanitären Gestus und kein Schönreden: Das Flüchtlingsabkommen, das am 18. März 2016 zwischen der Türkei und der Europäischen Union geschlossen wurde, ist ein kaltes Stück Realpolitik. Mit der Vereinbarung, die völlig zu recht als Deal bezeichnet wurde, sollte eine Wiederholung der Situation des Sommers 2015 verhindert werden, als jeden Tag tausende von verzweifelten Menschen erst die Außen- und dann die Binnengrenzen der Europäischen Union überschritten, um in Sicherheit zu sein.

Deshalb ist auch nachvollziehbar, weshalb kein europäischer Regierungschef mit vergleichbarer Intensität und Verbissenheit um das Zustandekommen der Vereinbarung verhandelt hat, wie Angela Merkel: Für sie war der Türkei-Pakt der Schutzschirm, der verhinderte, dass sie aus dem Amt gejagt wurde.
Der einzige Sinn des Deals war und ist bis auf den heutigen Tag, ein Jahr danach, die auf der Flucht vor dem Krieg Asyl und Sicherheit suchenden Menschen vor allem aus Syrien, aber am Ende auch aus Afghanistan und dem Irak, von den Küsten der EU-Mittelmeerstaaten fernzuhalten.

Kinder im türkischen Flüchtlingslager Nizip (Archivbild vom April 2016)
Kinder im türkischen Flüchtlingslager Nizip (Archivbild vom April 2016)
© dpa/Uygar Onder Simsek

Die Türkei wurde von der EU mit Milliardenbeträgen alimentiert, damit sie die Schleuserbanden in der Ägäis stoppt, deren widerliches Geschäft unterbindet und die Millionen von Heimatlosen im eigenen Land einigermaßen menschenwürdig unterbringen kann. Das hat die Türkei übrigens schon davor getan. Bis 2015 lebten bereits zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien im Lande. Ihre Unterbringung gelang dank der großen Gastfreundschaft der Türkei, aber eben auch, weil die Integration von Muslimen in eine muslimische Gesellschaft viel unproblematischer ist als deren Einfügung in einen christlich-westlichen Lebensraum.

Mehr als das Geld lockte die Aussicht auf Visaerleichterungen

Über das rein Materielle hinaus – es geht um insgesamt sechs Milliarden Euro – war die größte Verlockung für die Regierung in Ankara, sich auf den Deal einzulassen, die Zusage von Visaerleichterungen. Zu denen kam es nicht, und wird es vor der Abstimmung am 16. April kaum dazu kommen. Weder wurden die brutalen Antiterrorgesetze gemildert, deren rigorose Anwendung Menschen, die politisch anders als Präsident Erdogan denken, ins Verderben stürzen kann, noch darf von allgemeiner Rechtsstaatlichkeit die Rede sein.

Wird die Türkei das Abkommen also kündigen, wie sie dauernd droht? Was geschieht, sollte sie es tun, ist klar: Eine neue Massenflucht wird einsetzen. Sie wird vor allem Griechenland treffen. Der Rest Europas wird den Griechen bei der Bewältigung auch diesmal so wenig helfen wie bei der Aufnahme von Asylsuchenden. In der Flüchtlingspolitik zeigt sich Europa als Union der Heuchler, auf die Gnade Erdogans angewiesen.

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