Die Falle ist zugeschnappt: Nun wird die AfD noch mehr Zulauf bekommen
Die AfD wird die Legende verbreiten, dass künftige Koalitionen in Brandenburg und Sachsen undemokratisch seien – und Erfolg damit haben. Ein Kommentar.
In der brandenburgischen SPD und in der sächsischen CDU hat man am Sonntagabend aufgeatmet. In den Wochen vor der Wahl haben beide Parteien aufgeholt – und die AfD doch noch auf Platz zwei verweisen können. Dass damit allerdings eine Wende im Kampf gegen den deutschen Populismus geschafft ist, wäre eine falsche Schlussfolgerung.
Der Sonntagabend und das, was in den nächsten Wochen politisch daraus folgt, enthält viel Material für eine der zentralen politischen Erzählungen, die die AfD so stark machen: die vom politischen Establishment, das sich gegen den wahren Wählerwillen verschwört. Die AfD wird – und das ist keine allzu gewagte Prognose – in den kommenden Wochen eine massive Delegitimierungskampagne fahren.
Die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel, bereitete in der ARD am Sonntagabend schon einmal den Boden dafür: „Wir müssen feststellen“, sagte Weidel, „dass 60 Prozent der Menschen in Sachsen konservativ gewählt haben. Das einfach zu ignorieren, wäre zutiefst undemokratisch.“
Mit den „konservativen“ 60 Prozent meinte die AfD-Vorsitzende die 32,1 Prozent der Wähler, die in Sachsen die CDU gewählt haben und die 27,5 Prozent, die die AfD gewählt haben.
So absurd die Behauptungen ist, die AfD sei eine „konservative“ Partei, so bleibt doch richtig, dass sich eine Mehrheit der sächsischen Wähler für eine Partei rechts der Mitte entschieden hat.
Weil der alte und mutmaßlich neue CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer (aus sehr guten Gründen) eine Koalition mit der AfD ebenso wie eine Minderheitsregierung ausgeschlossen hat, wird er nun wohl eine Drei-Parteien-Koalition bilden müssen – unter Beteiligung der Grünen. Über die Zusammenarbeit mit den Grünen hatte Kretschmer im Vorfeld gesagt: „Ich möchte das nicht.“
Auch in Brandenburg müssen sich drei Parteien zusammenschließen, um eine Mehrheit zu bilden. Auch hier wird die Koalition voraussichtlich gegen erhebliche inhaltliche Differenzen geschlossen werden müssen, etwa zwischen SPD und Grünen bei Fragen des Braunkohletagebaus. Der AfD wird es also nicht schwerfallen, diese Koalitionen als AfD-Verhinderungskoalitionen zu brandmarken, als Reaktion eines verschworenen „Altparteien“-Establishments gegen die „Alternative“.
Ist schon witzig. Die Grünen, quasi der Erzfeind aller AfDler, werden gerade durch die Anwesenheit der AfD in immer mehr Regierungen gehievt. Gut so.
schreibt NutzerIn tca
Im Wahlkampf mag es der CDU in Sachsen und besonders der SPD in Brandenburg noch geholfen haben, das Extreme und Undemokratische an der AfD herauszustellen. Während der Koalitionsverhandlungen werden die Unterschiede zwischen den „Guten“ notgedrungen wieder deutlicher werden, während die AfD aus taktischen Gründen vorerst wieder auf „bürgerlich“ umschalten wird. Schon am Wahlabend war das das Lieblingswort der auf den Bildschirmen versammelten Funktionäre.
In Sachsen wird die AfD voraussichtlich weniger Sitze im Landtag besetzen können als ihr zustünden
In Sachsen wird die AfD-Erzählung von der Verschwörung des Establishments zusätzlich gefüttert durch die Tatsache, dass die Partei womöglich weniger Sitze im Landtag wird besetzen können als ihr nach Zweitstimmen zustünden. 37 Sitze stünden der AfD laut Endergebnis zu, 33 wird die Partei voraussichtlich besetzen können.
Der Grund dafür: Der sächsische Landeswahlleiter hatte die Landesliste der AfD gekürzt, weil die Partei im Verlauf der Listenaufstellung das Verfahren geändert hatte. Das sächsische Landesverfassungsgericht erkannte auf Beschwerde der AfD mehr Listenplätze an (nämlich 30) als der Landeswahlleiter (nur 18), außerdem gewann die Partei am Sonntag mehrere Direktmandate.
Dennoch wird ein Sitz frei bleiben. Schon am Wahlabend kündigte der sächsische AfD-Chef Jörg Urban an, bis zum Bundesverfassungsgericht klagen zu wollen, sollte es bei dieser Sitzverteilung bleiben. Das Ziel: Neuwahlen.
Es ist wahrscheinlich, dass die Erzählung von der zu Unrecht von Regierungsverantwortung ferngehaltenen AfD verfangen und die Frustration der Wähler der Partei noch verstärken wird.
Sie passt sich einfach zu gut ein in die allgemeine Stimmungslage, aus der heraus die AfD mutmaßlich ihren jüngsten Erfolg zieht: Da ist einerseits ein hoher Grad an Politisierung, vor allem unter ehemaligen Nichtwählern (in beiden Ländern stieg die Wahlbeteiligung sprunghaft an), dann der Frust über die etablierten Parteien, der sich in der AfD-Protestwahl ausdrückt und schließlich die Verbindung zur Geschichte, die die AfD im Wahlkampf ausgiebig spielte.
Sie stilisierte gerade in Brandenburg die Wahl zu einem um 30 Jahre verspäteten Urteil über die Wende. Nun bietet es sich an, während der Koalitionsverhandlungen Erinnerungen an die Blockparteien zu wecken – Parteiattrappen, die letztlich nur dazu dienten, die Herrschaft „des Systems“ durch eine Pseudo-Alternative zu unterstützen.
Schon am Wahlabend sprach Alexander Gauland von einem „Zusammenschluss“ gegen seine Partei – und legte damit eine erste historische Fährte zum Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED. Gegen die historische Pseudo-Alternative der „Blockflöten“ steht, ebenso wie gegen Angela Merkels Politik der „Alternativlosigkeit“, in der Erzählung der AfD natürlich die wahre „Alternative“.
Populisten leben hervorragend von dem Narrativ, Opfer "des Systems" zu sein
Die AfD dreht damit ein Narrativ ins spezifisch (Ost)Deutsche, von dem Populisten in aller Welt ganz hervorragend leben: die wahren Vertreter eines vom politischen „Establishment“ unterdrückten wahren Volkswillens zu sein.
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Von dieser Geschichte lebt Donald Trump in den USA ebenso wie Boris Johnson in Großbritannien. Mit dieser Geschichte lassen sich allerlei Hässlichkeiten legitimieren – in Großbritannien zuletzt sogar ein Zwangsurlaub für das Parlament.
Die Geschichte ist die gefährlichste Waffe der Populisten, denn sie immunisiert sich selbst - sie ist nicht widerlegbar. Jeder Einwand dagegen von Seiten der etablierten Parteien liefert einen neuen Baustein, der verwendet werden kann, um die Geschichte weiter auszubauen.
Es ist und bleibt richtig, die AfD von einer Regierung auszuschließen. Doch das Richtige wird auch falsch sein, indem es viele Wähler der AfD in ihrer Haltung bestärkt. Daran führt, so scheint es am Morgen nach der Wahl, zunächst kein Weg vorbei. Die Falle ist zugeschnappt.
In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Alice Weidel habe ihre Aussage zu einer konservativen Mehrheit im "Bericht aus Berlin" getätigt. Sie äußerte sich in der Wahlberichterstattung der ARD, nicht aber im "Bericht aus Berlin". Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.