AfD nach dem Parteitag: "NPD mit Schafspelz"
Nach der Abwahl von Bernd Lucke auf dem Parteitag der AfD beraten dessen Anhänger über eine neue Partei. Die neu gewählte Vorsitzende Frauke Petry will trotz aller Hetzreden keinen Rechtsrutsch erkennen.
Am Ende bemühte die neue Chefin sich noch um Schadensbegrenzung. „Lassen Sie uns sachlich bleiben bei der Einwanderungspolitik“, sagte Frauke Petry oben auf der Bühne und beendete so den Mitgliederparteitag der AfD in Essen. Worte, die womöglich zu früherer Stunde noch Wirkung gezeigt hätten. So aber sah es so aus, als billige Petry stillschweigend all die Hetze gegen „Scheinasylanten“, Muslime und andere Minderheiten, die am Sonntag vom Podium der Grugahalle aus zu hören war - und für die es meist donnernden Applaus gab. Um harmlose Poltereien, wie Petry nun glauben machen will, ging es schon lange nicht mehr, als zum Beispiel ein Kandidat vom „Pol-Pot-Gangster Kretschmann“ sprach, ein anderer seinen Spruch vom „Quotenneger Obama“ verteidigte.
Dies und die Art und Weise, wie Parteigründer Bernd Lucke am Sonntag buchstäblich vom Hof gejagt wurde, haben den Entscheidungsprozess im gemäßigten Teil der AfD nun beschleunigt. Lucke selbst hatte zunächst vor überstürzten Entscheidungen gewarnt. Aber schon am Sonntagabend trat, wie zu erwarten, Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel aus. Wenig später folgte ihm Joachim Starbatty, sein Kollege im EU-Parlament. Henkel teilte mit, es drohe eine „NPD mit Schafspelz“. Die AfD habe sich „nicht nur für einen scharfen Rechtskurs, sondern auch für Pöbelei, Protest und das Verbreiten von Vorurteilen entschieden“.
Vier der sieben Europaabgeordneten treten aus, darunter Henkel und Starbatty
Vor allem im Internet hatte da schon der Kampf um die Deutungshoheit über den Parteitag begonnen. Der „Weckruf“, die Vereinigung des Lucke-Flügels, setzte eine Online-Abstimmung unter den rund 4000 Sympathisanten an. Sie sollen in den nächsten Tagen beantworten, „ob wir gemeinsam austreten sollen aus der AfD“. Weitere Alternativen sind die Gründung einer neuen, eigenen Partei, „oder wir gehen in der AfD in den Winterschlaf“.
Die Weckruf-Vorsitzende Ulrike Trebesius und Bernd Kölmel, AfD-Chef in Baden-Württemberg, wollten darauf nicht warten und kündigten schon am Montag ebenfalls ihren Austritt an. Damit sind vier der sieben vor einem Jahr auf der AfD-Liste gewählten Europaabgeordneten keine Parteimitglieder mehr. Insgesamt könnten mehrere tausend der noch 22 000 AfD-Mitglieder austreten, nimmt man zum Maßstab, dass in Essen fast die Hälfte der angemeldeten Mitglieder nach Luckes Sturz abtauchte. Ein solcher Aderlass dürfte die AfD in Zukunft auch vor Geldprobleme stellen.
Auch in Bremen, wo die AfD im Mai ihren letzten Wahlerfolg verzeichnen konnte, kündigt sich eine Spaltung der Bürgerschaftsfraktion an. Drei der vier Abgeordneten dort gehören nun dem Weckruf an, darunter Piet Leidreiter, früherer AfD-Bundesschatzmeister. Die Entscheidung des Weckrufes über eine kollektive Abspaltung müsse schnell getroffen werden, sagte er dem Tagesspiegel. So lange wolle er noch in der AfD bleiben. Er sieht gute Chancen für eine neue Partei unter Luckes Führung: „Wir könnten den Platz rechts der Mitte einnehmen, den die CDU und die FDP vor Jahren verlassen haben.“ Ein Problem des Weckrufes allerdings ist, dass er formal nur aus einer Handvoll Mitgliedern besteht – die Sympathisanten hatte man nach der Gründung im Mai nicht offiziell aufgenommen, aus „vereinsrechtlichen Gründen“, wie es hieß. Das alles erschwert nun einen schnellen Schlag.
Neues Vorstandsmitglied André Poggenburg verharmloste die NPD
Ohnehin ist fraglich, ob Lucke sich die Strapazen einer erneuten Parteigründung wirklich antun will. Gerüchte darüber hatten die neue AfD-Führung bereits in Essen ausgesprochen nervös gemacht. Parteivize Alexander Gauland machte auf dem Gang der Grugahalle deutlich, warum: Zu Lucke sagte er, in diesem Fall würden „wir beide nicht über fünf Prozent kommen“. Dieser antwortete ihm: „Das ist doch völlig wurscht, wenn Sie für die falschen Inhalte werben.“ Lucke sieht vor allem Gaulands Außenpolitik skeptisch, der für eine Freihandelszone mit Russland statt TTIP warb.
Widerspruch zu dieser Haltung dürfte Gauland zumindest im neuen Vorstand nicht zu erwarten haben: Petry selbst will keinen Rechtsruck erkennen, ihr neuer Führungszirkel aber besteht fast durchgängig aus Vertretern des rechtsnationalen Flügels. Mit André Poggenburg aus Sachsen-Anhalt gehört ihm sogar ein Mitglied des völkischen Kreises um den Thüringer Fraktionschef Björn Höcke an. Dessen „Erfurter Resolution“, die auch Poggenburg unterschrieb, will die AfD als „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ aufstellen. Höcke und Poggenburg hatten auch gesagt, man könne nicht jedes NPD-Mitglied als extremistisch einschätzen. Gauland sagte dem MDR zur Wahl Poggenburgs, er könne über dessen politische Ansichten nichts sagen: „Ich finde es aber gut und richtig, dass die Partei ihn in den Vorstand gewählt hat, denn er hat sehr bald Landtagswahlen zu bestreiten.“