Friedensprozess in Kolumbien: Nobelpreis für einen klugen Kompromiss
In Kolumbien dreht sich eine irrationale Spirale der Gewalt. Durch den Friedensnobelpreis könnte sie jetzt doch noch zum Stillstand kommen. Ein Kommentar.
Am 2. Oktober schien der Friede ausgemacht. Viele würden zur Abstimmung gehen, die allermeisten der Kolumbianer für den Friedensvertrag stimmen, und die Freude am Abend würde groß sein. Heraus aber kam ein „Nein“. Es verhinderte, dass auf den Flügeln der Friedenstaube eine gute Nachricht um die Welt segelte.
Vier Jahre lang hatte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos mit den Farc-Rebellen um das Ende des Bürgerkriegs verhandelt, der fünf Jahrzehnte dauerte und dessen Totenregister geschätzt etwa 220.000 Namen enthalten soll. Mit knapper Mehrheit fiel die Bevölkerung dem Frieden in den Rücken: Zu wenig Haft und Rache, fand sie, zu viele Kompromisse, lautete ihr Urteil.
Was werden die Neinsager jetzt denken, fühlen, da ihr Präsident den Friedensnobelpreis erhält? Der Preis scheint wie die Ergänzung für die fehlenden paar Stimmen, wie der letzte Anstoß in Richtung „Ja“ für das soziale Kunstwerk der Verhandlung, das Santos, sein Team und die Rebellen letzten Endes gemeinsam hergestellt haben, weshalb das Nobelkomitee betont, der Preis gelte allen am Abkommen Beteiligten.
Die legendären Doppelnobelpreise
Insofern ähnelt er den legendären Doppelnobelpreisen, die das Aushandeln von Frieden würdigten: Dem von 1978 an Menachem Begin und Anwar as-Sadat, den Regierungschefs von Israel und Ägypten, und dem von 1993 an Nelson Mandela und Frederik Willem de Klerk für das Beenden der Apartheid in Südafrika. Ausgezeichnet wurde jeweils die allerschwerste Arbeit an jeder Friedensfindung: Das erfolgreiche Verhandeln.
Santos, der ein Teenager war, als der Bürgerkrieg 1966 begann, kann das. Und er will weiterverhandeln. Diplomatie und Ökonomie hat der Politiker studiert, als Verteidigungsminister Krieg gegen die Rebellen geführt, und als Präsident den Dialog mit ihnen gesucht – mit Idealisten, von denen viele zu Mördern, Kidnappern und Kokainhändeln geworden waren.
Sein wichtigster Ansprechpartner bleibt Rodrigo Londoño Echeverri, der sich „Timoschenko“ nennt. Gratuliert im Sinn guter Etikette hat der Mann nicht unbedingt in seiner Twitternachricht: „Der einzige Preis, den wir anstreben, ist Frieden und soziale Gerechtigkeit für Kolumbien.“ Das mag strategisch sein. Schließlich gibt der Preis dem Präsidenten einen meilenweiten, moralischen Vorsprung, und damit potenziell neue Vorteile. Indirekt rückt der Preis ja auch noch einmal die Tatsachen, die Taten der Farc, ins globale Scheinwerferlicht.
Nerven wie Schiffstaue
Juan Manuel Santos’ Diplomatennerven sollen stark wie Schiffstaue sein, seine Züge die des Pokerspielers. Er will die irrationale Spirale der Gewalt, der Rache und Vergeltung zum Stillstand bringen, und ihm ist so klar, wie damals Mandela und de Klerk, dass sich nicht Hunderttausende lebenslang wegsperren lassen, um Konflikte zu beenden, die über Generationen gingen. Wahrheitskommissionen wie in Südafrika könnten ein weiterer Weg werden, den der Konfliktlotse probiert (und einen wie ihn würde man sich sofort für Syrien wünschen).
Für den nach Kolumbus benannten Staat hat Santos mentales Neuland entdeckt, ein Gelände der klugen Kompromisse, auf dem Zukunft gedeihen kann. Jetzt wird es darum gehen, dass die Kolumbianer, allesamt, es auch besiedeln.
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